Urs Lehmann ist begeistert und ernüchtert. Begeistert über die Fussball-EM der Frauen in der Schweiz. Ein Anlass und ein Schweizer Team, denen man zuerst eher skeptisch gegenüberstand, hätten inzwischen bewiesen, «wie schnell man die Schweiz für den Sport und für einen Grossanlass bewegen und euphorisieren kann. Alle ziehen mit.»
Der Schweizer Equipe windet der Co-Präsident des Vereins «Olympische und paralympische Winterspiele 2038 in der Schweiz» ein Kränzchen. Das erfrischende Auftreten mache auf natürlichste Art und Weise Werbung für den Frauensport. «Diese Kompetenz und Wirkung dient der Sache viel mehr als irgendwelche Quoten», sagt Lehmann.
Die Frauen-EM mit reibungsloser Ausführung und vollen Stadien unterstreiche einmal mehr, dass die Schweiz Grossanlässe organisieren könne. Im Hinblick auf mögliche Olympische Winterspiele im Jahr 2038 sagt der ehemalige Abfahrtsweltmeister: «Ich bin überzeugt, dass dieser Anlass ein Volksfest werden würde, wie es die Schweiz noch nie gesehen hat.»
Allerdings bereitet Olympia Urs Lehmann aktuell ein wenig Bauchweh. Nicht wegen des «privilegierten Dialogs» mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Dieser laufe weiterhin ausgezeichnet. Bis Ende 2027 muss sich die Schweiz entscheiden, ob man den Grossevent durchführen will oder nicht.
Auch die jüngsten Äusserungen der neuen IOC-Präsidentin Kirsty Coventry, die Vergabe der Olympischen Spiele in Zukunft reformieren zu wollen, machen Lehmann keine Sorgen. Man habe vom IOC eine schriftliche Bestätigung, dass solche Überlegungen eine Schweizer Kandidatur für 2038 nicht tangieren.
Verhalten optimistisch zeigt sich der Co-Präsident von Swiss Ski auch über die aktuell grösste Herausforderung, an welcher der Verein arbeitet – die Bereitstellung der Garantiesumme von rund 200 Millionen Franken und den Aufbau eines tragenden Sponsoringkonzepts. Beides ist eine noch nie dagewesene Grössenordnung im Schweizer Sport.
Urs Lehmann spricht von einer «aktuell sehr intensiven und wahrscheinlich auch wegweisenden Phase». Er reist derzeit regelmässig zum IOC nach Lausanne und sein Olympiateam wird bei möglichen Grosssponsoren vorstellig. So warb der Verein zuletzt bei Schweizer Weltkonzernen auf höchster Ebene für Unterstützung.
Urs Lehmann sieht interessante Möglichkeiten für die Unternehmen: Entweder spezifisch als Unterstützer des Events, als nationaler Partner von Swiss Olympic mit einem Impact über die nächsten zwölf Jahre oder sogar als neuer Top-Partner des IOC. «Wir sind verhalten zuversichtlich. Wir sind uns sehr bewusst, dass es trotz der spürbaren Begeisterung dieser Konzerne bei unserer Präsentation erst zählt, wenn die Verträge tatsächlich unterschrieben sind.»
Ein anderer Weg hingegen dauert länger als ursprünglich dargestellt und angedacht: der politische! Hier ist man auf die enge Zusammenarbeit vor allem durch das Bundesamt für Sport (Baspo) angewiesen. Lehmann wünscht sich mehr Unterstützung durch das Baspo, so wie man dies zu Beginn des Projekts gespürt habe.
Lehmann spricht von der Gefahr einer «Verpolitisierung» des Prozesses. Man komme bei einem solchen Jahrhundertprojekt mit «politischen Standardprozessen, die unglaublich viel Zeit benötigen» zu langsam oder schlicht gar nicht zum Ziel. Der als Macher bekannte Funktionär sagt: «Damit der Olympia-Traum Realität werden kann, müssen alle Beteiligten mit der nötigen Dringlichkeit dahinter.»
Allerdings würden nicht alle im Sport bei einem Scheitern in Tränen ausbrechen. Patrick Magyar, langjähriger Direktor von Weltklasse Zürich und CEO der Leichtathletik-EM 2014, forderte zuletzt eine Denkpause in der Schweizer Sportpolitik. Er sieht Milliardenausgaben für einen Monster-Event wie Olympia zu sprechen und gleichzeitig J+S-Gelder zu streichen als falschen Weg und plädiert stattdessen für die Ausrichtung von jährlichen Weltmeisterschaften in einzelnen Sportarten mit klarem Vermächtnis für den Nachwuchs.
Urs Lehmann hat nichts gegen eine WM-Strategie. Schliesslich verfolgt er bei Swiss Ski exakt eine ebensolche langfristige Planung. Aber er wehrt sich dagegen, eine Olympiakandidatur gegen fehlende Nachwuchs-Unterstützung auszuspielen. «Der Sport braucht beides: Nachwuchs sowie Vorbilder und Leuchtturm-Anlässe.» Und er betont, dass für Olympische Spiele 2038 in der Schweiz mit einer Wertschöpfung von einem Faktor 1,5 ausgegangen werden kann. «Wenn wir zwei Milliarden investieren, kann dies eine Wertschöpfung von drei Milliarden generieren. Man könnte Olympia auch als ein Geschäft für unsere Volkswirtschaft sehen.» (riz/aargauerzeitung.ch)