Nachdem er in den Achtelfinals der US Open gegen den Spanier Pablo Carreno Busta im ersten Satz beim Stand von 5:5 den Aufschlag abgeben musste, schlug Novak Djokovic im Frust einen Ball in Richtung der Tribüne – und traf dabei eine Linienrichterin, die zusammensackte und um Atem rang. Es folgten Diskussionen mit dem obersten Schiedsrichter, dem Deutschen Sören Friemel. Djokovic flehte um einen Punktabzug. Er hätte auch mit einem abgezogenen Satz gut leben können.
Doch die Regeln liessen keinen Spielraum. Djokovic, der 17-fache Grand-Slam-Sieger und Favorit auf den Sieg bei den US Open, wurde disqualifiziert. Dabei spielte es auch keine Rolle, dass Djokovic nicht vorsätzlich gehandelt hatte.
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Dass ein Spieler disqualifiziert wird, kommt im Tennis nur sehr selten vor. Unvergessen ist, wie John McEnroe 1990 bei den Australian Open in der vierten Runde gegen Mikael Pernfors disqualifiziert wurde. Allerdings hatte sich das Drama damals angekündigt, McEnroe war zuvor bereits zwei Mal verwarnt worden. Djokovic wurde gleich das erste Vergehen zum Verhängnis. Allerdings war der 33-jährige Serbe schon bei anderen Gelegenheiten nur knapp einer Disqualifikation entgangen. Zum Beispiel in den Viertelfinals der French Open 2016, bei dem er aus Frustration sein Racket geworfen und nur knapp einen Linienrichter nicht getroffen hatte.
Es waren nur Sekundenbruchteile, die über sein Schicksal entschieden, doch sie stehen sinnbildlich für das letzte Halbjahr des Novak Djokovic. Niemand weiss mit abschliessender Sicherheit, was ihn getrieben hat, als er auf dem Höhepunkt einer Pandemie auf dem Balkan ein Turnier, seine Adria-Tour, veranstaltete. War es der Wunsch, Gutes zu tun und Menschen in Not zu helfen, wie er selber behauptete? War es die Sehnsucht nach Anerkennung, die ihn seit seiner Jugend in der kriegsversehrten Heimat nicht loslässt? Oder waren es schlicht Dummheit und Ignoranz? Was auch immer seine Motivation war: Das Debakel wird Djokovic nicht mehr los.
Seither tobt über Djokovic ein Sturm, der völlig ausser Kontrolle geraten ist. Und Djokovic selber tat wenig, um diesen zu beruhigen. Das Gegenteil war der Fall. Er nutzte die Aufmerksamkeit, die sich während der US Open auf ihn konzentrierte, um bekannt zu machen, dass er eine Gewerkschaft gegründet hatte. Seine Forderungen geniessen zwar breite Akzeptanz. Doch sie kommen zur Unzeit und spalten die Spieler, statt sie zu vereinen. Entsprechend heftig waren die Reaktionen. Männer- und Frauentour (ATP, WTA), der Tennisweltverband (ITF) und die vier Grand-Slam-Turniere verurteilten das Vorgehen in einer gemeinsamen Erklärung. Auch die Abwesenden Roger Federer und Rafael Nadal kritisierten das Vorgehen.
Das alles mag zwar wenig mit der Disqualifikation bei den US Open zu tun haben, doch diese markiert den Tiefpunkt eines Dramas, das sich schon über Monate abgezeichnet hatte. In Abwesenheit von Titelverteidiger Rafael Nadal, Roger Federer und Stan Wawrinka, der Djokovic in zwei Grand-Slam-Finals bezwungen hatte (darunter 2016 bei den US Open), konnte er in New York nur verlieren – weil es ein Erfolg mit Sternchen gewesen wäre. Nun ist Djokovic nicht nur der grosse Verlierer, sondern Sinnbild eines Turniers, das in der ersten Woche weniger durch den Sport als die groteske Umsetzung der Quarantäne-Regeln für Aufsehen sorgte.
Benoit Paire war vor dem Turnier positiv auf das Coronavirus getestet und folgerichtig in Isolation versetzt worden. Elf Spieler, die in engem Kontakt zu ihm gestanden waren, mussten daraufhin in Quarantäne, wurden aber nicht vom Turnier ausgeschlossen, wie es das Protokoll vorgesehen hätte. Einige beklagten sich dennoch, sie würden wie «Kriminelle» behandelt.
Und dann änderten sich auch noch die Spielregeln, als der Staat New York eingriff, die Stadt überging und Adrian Mannarino das Spielen verbot. Als Djokovic davon erfahren hatte, versuchte er, Gouverneur Andrew Cuomo zu kontaktieren. Doch der hatte offenbar keine Zeit oder Lust, sich mit dem Serben zu unterhalten. Auch hier machte Djokovic keine gute Figur.
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Weil er disqualifiziert wurde, wird Novak Djokovic weder Preisgeld noch Weltranglistenpunkte erhalten. Die obligatorische Medienkonferenz verweigerte er und verliess die Anlage des Billie Jean King National Tennis Centers umgehend. Auch das wird eine Busse zur Folge haben. Djokovic wollte die Linienrichterin nicht verletzen, er wollte sie nicht einmal treffen. Doch die Disqualifikation war die einzige richtige Entscheidung. Die wahre Grösse eines Sportlers zeigt sich in der Niederlage. Novak Djokovic geht in New York nicht nur als Verlierer. Sondern als Sinnbild dafür, was im Tennis in den letzten Monaten alles schief gelaufen ist.
Leider nein. 5min vorher hatte er einen Ball mit Wucht in die Bande gehauen und wurde dafür verwarnt.