Sie hat es geschafft! Mikaela Shiffrin gewinnt den Slalom von Sestriere und damit ihr 100. Weltcuprennen – eine bislang unerreichte, ja eigentlich unfassbare Marke im alpinen Skirennsport. Im Ziel ist sofort ersichtlich, welch grosse Last von den Schultern der 29-jährigen US-Amerikanerinnen fällt. Shiffrin liegt zuerst mit ungläubigem Blick im Schnee und weint später beim Siegerinnen-Interview hemmungslose Tränen.
Die Suche nach dem Grund der Erleichterung ist einfach. Im November 2024 stürzt Shiffrin, mit diesem 100. Weltcupsieg vor Augen, im Heim-Riesenslalom von Killington. Die Einheimische zieht sich dabei eine mehrere Zentimeter tiefe Stichwunde zu – von einem Stock oder einem anderen spitzigen Gegenstand am Pistenrand. Shiffrin muss sich einer Operation unterziehen und kehrt erst kurz vor der WM in den Weltcup zurück.
Doch die Dämonen ihres Sturzes begleiten sie weiterhin. Shiffrin traut sich nach der traumatischen Erfahrung im WM-Riesenslalom nicht an den Start. In Sestriere startet sie erstmals wieder in dieser Disziplin, verliert aber viel Zeit auf die Besten. Ja, im Rennen vom Samstag verpasst sie erstmals seit 12 Jahren die Qualifikation für einen zweiten Lauf, ohne auszuscheiden.
Das alles zeigt, wie absurd die Zahl von 100 Weltcupsiegen ist. Ein kleiner Fehler, ein Unfall und schon ist auch die beste Skifahrerin der Geschichte plötzlich chancenlos. Es zeigt, wie wenig selbstverständlich Erfolge sind und wie schwierig Konstanz auf diesem Niveau ist. Vielleicht ist das auch ein leichtes Warnzeichen, dass die grossen Erfolge, die derzeit insbesondere die Männer im Speed-Bereich feiern, alles andere als selbstverständlich sind.
Doch Slalom und Riesenslalom sind zwei unterschiedliche Disziplinen. Die Ski sind kürzer, das Tempo geringer und die Sturzbilder von Killington fahren bei Shiffrin hier nicht mit. Nach dem Verpassen des zweiten Durchgangs im gestrigen Riesenslalom hat sich die US-Amerikanerin gleich wieder die Slalomskier angeschnallt und einige Trainingsläufe gefahren. Auch dieser unbändige Trainingswille zeichnet sie neben dem riesigen Talent und der mentalen Stärke eben aus. So ermöglicht sie sich den grossen Triumph. Am Sonntag führt Shiffrin nach dem 1. Lauf knapp, bringt diesen Vorsprung aber mit all ihrer Routine locker ins Ziel.
Zweifel an Shiffrins Klasse gab es sowieso keine mehr. Aber nach dem traumatischen Sturz in Killington gab es leise Zweifel, ob die Amerikanerin in dieser Saison nochmals ihre Bestform erreicht. Nun hat sie aber einmal mehr bewiesen, welch aussergewöhnliche Athletin sie ist.
Odermatt, selber ein absolutes Ausnahmetalent, ist bei 45 Siegen angelangt, und bloss anderthalb Jahre jünger als Shiffrin. Stenmarks Bestmarke von 86 Siegen hat immerhin fast 40 Jahre gehalten, und Schiffrin setzt immer noch oben drauf.