Was! Für! Ein! Tor!
Als alles schon längst entschieden ist, überkommt Neymar noch einmal die Spiellust. An der Strafraumgrenze wird der Brasilianer angespielt. Er nimmt den Ball an, setzt sich auf engstem Raum gegen drei Verteidiger durch, sprintet in eine Lücke, muss sich den Ball wegspitzeln lassen, holt ihn sich sofort zurück, legt ihn sich mit dem Rücken zum Tor zurecht, dreht sich blitzschnell um die eigene Achse und schiesst ein zum 6:2-Sieg des PSG gegen Toulouse. Genial!
Schon zuvor zeigt Neymar, weshalb Paris Saint-Germain für ihn 222 Millionen Euro nach Barcelona überwiesen hat. Er ist Dreh- und Angelpunkt seines Teams, schiesst zwei Tore, gibt zwei Assists, trifft dazu noch Pfosten und Latte. Zweifellos gehört der 25-Jährige momentan zu den allerbesten Fussballern der Welt.
Und so einer verschleudert sein Talent in der Ligue 1! Neymar muss gegen Troyes spielen, gegen Caen oder Guingamp, gegen Dijon oder Amiens. Kein Wunder, kann Neymar mit den Gegnern, denen er überlegen ist, Katz' und Maus spielen:
Der PSG schiesst sagenhafte Tore, wie das 5:2 nach einem Corner Neymars, den er mit unheimlich viel Dampf in die Mitte schlägt. Aber erhält Torschütze Layvin Kurzawa auch gegen einen «richtigen» Gegner so viel Platz für seinen spektakulären Scherenschlag?
Leider ist die Ligue 1 nicht die einzige, in welcher wenige Teams dem Rest weit überlegen sind. In Spanien hatte Neymar mit Barça auch nicht nur Spiele gegen Real Madrid, Atlético Madrid oder Sevilla auf dem Programm. Sondern auch gegen Mannschaften wie CD Leganes, Sporting Gijon oder UD Las Palmas – Kanonenfutter für eine Weltauswahl.
Aber Fussball ist kein Zirkus. Wer in den Zirkus geht, der macht das, weil er von A bis Z köstlich unterhalten werden will. Wer zum Fussball geht, der macht das, weil er einen spannenden Abend erleben will und weil er nicht weiss, wie dieser endet. Das geht nicht, wenn ein Team dem anderen haushoch überlegen ist. Nur selten tritt der Idealfall ein und der Fussballfan erlebt die Kombination aus Unterhaltung und Spannung.
Neymar hat drei Tore geschossen? Schon sehr bald wird diese Nachricht keine Push-Notiz mehr auf dem Smartphone sein, sondern bloss achselzuckend registriert werden. Mit dem Zusatz «ah, schon wieder». Interessant wird es erst, wenn er den PSG-Rekord von Zlatan Ibrahimovic (38 Saisonstore) angreift oder wenn er sogar die Liga-Bestmarke von Josip Skoblar (44 Tore für Olympique Marseille 1970/71) knackt.
In rund drei Wochen beginnt die neue Champions-League-Saison. Auch dort werden Neymar und der PSG nicht in jeder Partie gefordert werden, die Gruppenphase wird für ein Team dieses Kalibers zu einem Spaziergang. Die Schere geht weiter und weiter auf; nach der Auslosung kann bereits mit grosser Gewissheit gesagt werden, welche zwei der vier Mannschaften es in die Achtelfinals schaffen. Letzte Saison gab es nur in einer Gruppe eine Überraschung: Das schlechter gesetzte Monaco qualifizierte sich auf Kosten von ZSKA Moskau.
Und so lässt Neymar zur Zeit nicht nur alle Fans von Paris Saint-Germain auf Wolke sieben schweben. Er macht auch allerbeste Werbung für eine neue Europa-Super-Liga, geschlossen, ohne Abstieg. Wo die 16 oder 18 besten Teams, die Allerallerbesten, gegeneinander spielen. In einer noch fernen Zukunft könnte dort vielleicht auch das US-Modell funktionieren, mit Draft und Salary Cap.
Der Stellenwert der nationalen Ligen wird ohne Zweifel sinken, wenn die Topteams einmal nicht mehr dabei sind. Aber in unserer sich rasant ändernden Welt muss alles hinterfragt werden, auch Modelle, die seit hundert Jahren funktioniert haben. Denn wenn für einen einzigen Fussballer 222 Millionen Euro bezahlt und dann darauf hingewiesen wird, dass man diese Ausgaben locker wieder einspielen werde, dann ist nichts mehr so, wie es früher einmal war.