Immerhin ist es ein stilvolles Ende: Es schneit unten im Dorf. Der Himmel ist verhangen. Das Matterhorn, der Berg der Berge, verhüllt sein Angesicht.
Die Wirklichkeit ist immer besser als die Fiktion. Müsste Steven Spielberg einen Film über diese Mondlandung des Skirennsportes drehen, die Schlussszene müsste er nicht erfinden. Er hätte nur im Dorf filmen müssen: Um 09.50 Uhr rufen die Glocken der Kirche von Zermatt zum Gottesdienst. Die Gemeindearbeiter im roten Gewand sind schon mit Schaufeln und einem kleinen motorisierten Pflug da, um den Schnee vor der Kirche wegzuräumen.
Genau zu diesem Zeitpunkt verfolgen ganz in der Nähe ein paar verlorene Ski-Seelen im Public Viewing, wie auf SRF über die Absage berichtet wird. Das Kirchengeläut übertönt die Stimme des TV-Reporters. Die Messe kann um 10.00 Uhr pünktlich beginnen. Am Vorabend ist die heilige Vorabend-Messe um 19.00 Uhr wegen der lauten, lärmigen Party im Public Viewing ins etwas weiter entfernte Pfarrei-Zentrum verlegt worden.
So geht das aufwändigste Skirennen im Dorf zu Ende. Die Absage am Samstag bei strahlendem Wetter im Dorf wirkte absurd, skurril, irgendwie unwirklich. Nun ist am Sonntag wenigstens echtes Absagewetter.
Die Dämonen des Matterhorns haben ein Rennen in ihrem Angesicht verhindert. Indem sie für normales Wetter gesorgt haben. Nicht Wetterpech hat erst zu den Absagen der Trainings vom Donnerstag und Freitag und der Rennen vom Samstag und Sonntag geführt. Sondern ganz normales Wetter. Ja, die Einheimischen sagen sogar, endlich sei das Wetter im November wieder normal. Mit reichlich Schneefall. Vor einem Jahr war Schneemangel der Grund für die Absage der Premiere.
Schneefall und unberechenbare Winde sind bei einem Zielgelände, das höher liegt als der Start des Lauberhorn-Rennens, die Regel. Nicht die Ausnahme. Diese Rennen gelten wegen der aufwändigen Logistik und der exotischen Höhenlage als Mondlandung des Skisportes.
Schon einmal ist der Versuch eines Gletscherrennens im Wallis dem Wetter zum Opfer gefallen: Anfang November sollte 1994 die Weltcup-Eröffnung auf dem Gletscher bei Saas Fee stattfinden. Zwei Meter Neuschnee machen innert kurzer Zeit alles zunichte und sogar das aus Schnee gebaute Iglu-Weltcup-Dorf auf dem Fee-Gletscher verschwand in den Schneemassen. Zum Trotz ist auf dem Gelände damals der grösste Schneemann der Welt gebaut worden. Einen zweiten Versuch hat es nicht gegeben.
Nun geht es in Zermatt ans «Eingemachte». Um Geld, Verträge, Prestige. Offizielle Angaben zum Budget gibt es nicht. Sieben bis acht Millionen teuer dürfte dieser Versuch einer Ski-Mondlandung sein. Allein 800'000 Franken Preisgeld werden bzw. würden für die vier Rennen (Frauen und Männer) ausgeschüttet. Finanziert wird das Abenteuer bei einer Zuschauerkapazität von bloss 5600 Plätzen in erster Linie durch Sponsoren. Logisch: die Werbeplattform ist äusserst attraktiv. Die Bilder von mutigen Männern und Frauen, die in Sichtweite des Matterhorns auf Brettern mit atemberaubendem Tempo ins Tal hinunterrasen, werden bzw. würden um die Welt gehen.
Am nächsten Wochenende sind auf der gleichen, etwas verkürzten und daher nur über italienischem Boden führende Strecke auch zwei Abfahrten der Frauen geplant.
Aufgeben wie damals in Saas Fee ist eigentlich nicht möglich. Zu viele Interessen. Zu viel Geld. Zu viel Prestige. Daher beginnen nun die Diskussionen, Verhandlungen, Spekulationen um die Zukunft der Ski-Mondlandung von Zermatt. Zu konkrete Aussagen werden sorgsam vermieden und so wird vieles interpretiert wie beim Orakel zu Delphi.
OK-General Franz Julen, der mutige und zurzeit glücklose Pionier, hat schon mehrmals betont, man habe mit der FIS eine Strategie über fünf Jahre erarbeitet. Aber eine Strategie ist nicht ein in Matterhorn-Gestein gemeisselter Vertrag. Sie kann nach einem Jahr aufgegeben werden. Der Skisport, so wird FIS-Renndirektor Markus Waldner am Samstag zitiert, brauche überall auf der Welt Glück.
Ist das nun eine Rückendeckung für Zermatt? Er erklärt, nun würden die Frauenrennen vom nächsten Wochenende abgewartet und dann werde man schauen, ob man auf dieser Linie bleibe. Heisst das, man werde schauen, ob an der von Franz Julen beschworenen Fünfjahresstrategie festhalten werde? Der FIS-Renndirektor als Orakel zu Delphi und am Sonntag erklärt: «Natürlich macht man sich Gedanken. Aber es ist zu früh, um eine Aussage zu treffen.» Man werde sich gemeinsam an einen Tisch setzen, um alle Details zu diskutieren: Logistik, Wetter, Termin.
Leider auch keine Abfahrt am Sonntag. 👇 https://t.co/vDsfK4PJ9J
— SwissSkiTeam (@swissskiteam) November 12, 2023
Immerhin sagt er auf entsprechende Fragen, der Männer-Weltcup möchte (nicht: muss) wieder nach Zermatt kommen. Auch mangels Alternativen. Im November sind Abfahrten in Europa nur in einer exponierten Höhenlage wie Zermatt möglich. An einer Verschiebung des Termins ins Frühjahr haben die Zermatter und die Sponsoren keine Freude: Im März rockt der Tourismus im Dorf sowieso und einige Sponsoren bewerben Ski- und Wintermode. Das macht im Frühjahr wenig Sinn.
Eigentlich passt der Vergleich mit der Mondlandung doch nicht ganz. Die war zwar ähnlich aufwändig, aber einfacher: Auf dem Mond gibt es kein Wetter. Es ist windstill und der Schnee ist nie ein Problem.