Um ein grösseres und jüngeres Publikum anzulocken, denken viele Sportarten über Änderungen des Formats und/oder der Regeln nach. Im Tennis wurde eine Stoppuhr eingeführt, um die Spieler beim Aufschlag weniger Zeit zu geben, und im Radsport stehen zweiwöchige (statt dreiwöchige) Grand Tours im Raum. Im letzten Jahr wurde zudem bekannt, dass junge Menschen nicht mehr die Geduld haben, 90 Minuten lang ein Spiel anzuschauen.
Jede Sportart hat ihre eigenen Ideen, um ihre Zuschauer zu halten und im Idealfall neue zu dazuzugewinnen, aber der Handlungsspielraum ist begrenzt: Puristen monieren, dass der Geist ihres Sports auf dem Altar des öffentlichen Interesses geopfert wird. Im Weitsprung scheint diese Woche eine Grenze überschritten worden zu sein.
Das ist zumindest die Meinung vieler Stars der Szene. Sie kritisieren die neueste Anpassung von World Athletics, die ihrem Sport mehr Dynamik zu verleihen soll.
Um zu verstehen, wie es zu diesem Interessenkonflikt zwischen Organisatoren und Athleten kam, muss man bis zu den Weltmeisterschaften in Budapest im letzten Jahr zurückgehen. Bei dieser Veranstaltung wurden 32,1 Prozent der 240 ausgeführten Sprünge für ungültig erklärt, weil der Athlet übertreten hatte.
Der Weltverband der Leichtathleten ist der Meinung, dass zu viele Übertretungen dem Sport schaden, weil einige grossartige Sprünge einfach gestrichen wurden. Und nicht nur das: Der Weltrekord im Weitsprung der Männer ist 33 Jahre alt (Mike Powell mit 8,95 m), der der Frauen 36 Jahre (Galina Cistjakova mit 7,52 m). Daher die Frage, die La Repubblica in ihrer Donnerstagsausgabe stellte:
Der Generaldirektor von World Athletics, Jon Ridgeon, hat sich für die zweite Option entschieden. Er denkt darüber nach, das Absprungbrett durch eine viel grössere «Absprungzone» zu ersetzen, innerhalb derer alle Sprünge gültig sind. «Wir werden von dem Punkt messen, an dem der Athlet abhebt, bis zu dem Punkt, an dem er im Sandkasten landet. Das wird dem Wettbewerb mehr Spannung verleihen», sagte er im Podcast «Anything But Footy».
Ein weiterer Vorteil wäre, dass die Wartezeit für die Athleten und das Publikum erheblich verkürzt würde, was im Einklang mit der von World Athletics angestrebten Begrenzung der Leerlaufzeiten steht. «Wir suchen nach Möglichkeiten, sofortige Sprungergebnisse zu erhalten, ohne wie bisher 20 bis 30 Sekunden zu warten, bis das Ergebnis angezeigt wird», sagte Ridgeon.
Dem Generaldirektor ist bewusst, dass es schwierig wird, alle Parteien zu überzeugen. «Man kann keine Veränderungen in einem Sport vornehmen, der vor 150 Jahren erfunden wurde, ohne eine gewisse Polemik zu provozieren», räumte er ein.
Unmittelbar nach seinen Äusserungen reagierten viele ehemalige und aktuelle Weitspringer in den sozialen Netzwerken mit heftigen Reaktionen. Unter ihnen war auch der viermalige Olympiasieger und zweifache Weltmeister Carl Lewis. «Der Weitsprung ist der schwierigste Wettkampf in der Leichtathletik, und mit dieser Reform würde das heikelste technische Element verschwinden», betonte die amerikanische Legende (zitiert von Eurosport). Lewis ging noch weiter:
Auch andere aktuelle Stars, wie der griechische Weltmeister und Olympiasieger Miltiadis Tentoglou oder die serbische Weltmeisterin Ivana Vuleta, äusserten Bedenken.
«Es ist nur ein Vorschlag und ich hoffe, dass er nicht umgesetzt wird», sagte Jules Pommery (Bronzemedaillengewinner bei den Europameisterschaften 2022) zur «L'Equipe». «Es ist eine völlig bescheuerte Idee und die vorgebrachten Argumente sind nicht stichhaltig. Niemand hat uns gefragt.»
Der Franzose ist überzeugt: «Wenn die Reform durchkommt, wäre es nicht mehr dieselbe Disziplin».
Es ist ja heute schon so, dass man einen Absprungbereich hat: den Balken.
Niemand muss ans Limit gehen und einen Übertritt riskieren.
Mit der Reform wäre es halt einfach fast egal, wo ich abspringe. Kaum mehr Technik, nur noch Kraft und Schnelligkeit.
Das wäre etwa so, wie wenn beim Hochsprung einfach die Höhe des Sprungs gemessen würde und es egal wäre, ob die Latte fällt oder nicht.