Eine Illustration der Eröffnungsfeier 1924.Bild: imago images/KHARBINE-TAPABOR
Les Bonbons de Klaus
Die Spiele von 1924 in Paris markieren den Beginn des Sportes, wie wir ihn heute kennen. Die Zeitgenossen waren schon vor 100 Jahren von der olympischen Eröffnungsfeier tief beeindruckt.
26.07.2024, 17:5627.07.2024, 17:51
klaus zaugg, paris
Früher war alles besser. Na ja, zumindest waren die Herren der olympischen Ringe vor 100 Jahren ein wenig gottesfürchtiger. Oder taten wenigstens so.
Im offiziellen Erinnerungswerk der Spiele von 1924 lesen wir über die Eröffnungsfeierlichkeiten etwas sperrig: ≈
«Ein klarblauer Himmel wölbte sich über der Metropole Frankreichs, als am Morgen des 5. Juli 1924 in der Notre-Dame-Kirche die religiöse Zeremonie zur feierlichen Eröffnung der Olympischen Spiele die IOC-Mitglieder, die Delegierten der nationalen Verbände und zahlreiche Wettkämpfer aus allen Ländern vereinigte.
Nachdem die Chorknaben zu Ehren der seit den letzten Spielen verstorbenen Athleten ein feierliches ‹De Profundis› (‹Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir›) gesungen hatten, bestieg Kardinal Dubois die Kanzel. In eindrucksvoller Lobrede feierte er den Sport als neuzeitliches Rittertum, das den Körper bildet und auch die Seele dem geistigen und religiösen Ideal immer näherbringt.
Die erhebende Feier schloss mit dem ‹Te Deum› (‹Grosser Gott, wir loben Dich›) und unter den Klängen der wundervollen Orgel von Notre-Dame verliess die Menge langsamen Schrittes die Kirche, um sich zur feierlichen Eröffnung ins Stade Olympique zu begeben.
Das weite Rund des Stadions füllt sich mählich mit Scharen freudig erregter Zuschauer. Aus dem kosmopolitischen Gemisch ertönt babylonisches Sprachengewirr. In den Strahlen der leuchtenden Sonne erglänzen die farbenprächtigen Uniformen der militärischen Delegationen. In das offizielle Schwarz der Ehrengäste mischen sich die eleganten Toiletten der Damen. Gegenüber der Haupttribüne haben die Musiken zweier Infanterie- und eines Kolonial-Regimentes und das Korps der ‹Garde Républicaine› Aufstellung genommen und lassen rassige Weisen ertönen. Mit ihnen singt ein französischer Chor und der Lehrergesangsverein aus Prag um die Wette. Es ist 3 Uhr geworden. Die Marathonpforte öffnet sich und der Einzug der Nationen beginnt.»
Exakt 2937 Athleten und 139 Athletinnen aus 45 Nationen marschieren ein. Darunter 127 Schweizer. Die bis dahin grösste helvetische Delegation, die mit 25 Medaillen (7 Gold, 8 Silber, 10 Bronze) die bis heute erfolgreichste sein wird. Offenbar sind unsere olympischen Helden populär. Im offiziellen Bericht über die Eröffnungsfeier wird vermerkt: «Mit dem weissen Kreuz im roten Feld geniessen die Schweizer besondere Sympathien.»
100-Meter-Sprint bei den Spielen 1923.Bild: imago sportfotodienst
Aber die populärste ausländische Delegation ist jene der USA. Eigentlich logisch: Die Amerikaner hatten den Franzosen geholfen, im 1. Weltkrieg die Deutschen zu bodigen. Im offiziellen Bericht steht: «Die Begeisterung wächst beim grandiosen Anblick der über 400 Vertreter aus den Vereinigten Staaten. Aus dieser erlesenen Kompagnie sehen wir im Geiste schon die Sieger von morgen.» Das war weise gesprochen: Die Amerikaner räumten 99 Medaillen ab. Davon 45 in Gold.
Werbeverträge warten nach der Rückkehr noch keine. Alle sind Amateure. Aber immerhin bekommt jeder Sieger neben der Goldmedaille eine in der Porzellanmanufaktur von Sèvres (ein Vorort von Paris) hergestellte olympische Vase.
Hundert Jahre später reisen 10'500 Athletinnen und Athleten aus 206 Ländern zu den Spielen nach Paris. Es sind ungefähr gleich viele Frauen und Männer. Die Gleichberechtigung ist heute auf einem anderen Stand als vor 100 Jahren. Unsere Delegation ist praktisch gleich gross wie vor 100 Jahren: 62 Athletinnen und 66 Athleten aus der Schweiz treten 2024 in Paris an.
Schwimmen bei den Spielen 1924.Bild: imago sportfotodienst
Nach dem feierlichen ersten Akt in der Kirche Notre-Dame hat offenbar auch der zweite Akt der Eröffnungsfeierlichkeiten im Stadion tiefen Eindruck hinterlassen. Wiederum der offizielle zeitgenössische Bericht:
«Kanonen donnern, Trompeten schmettern zur Weihe dieser feierlichen Stunde. Welch erhabenen Anblick bietet der in der Arena versammelte Stolz der Nationen, dieses auserlesene Menschenmaterial, das tausendstimmig den olympischen Eid schwört, in ritterlichem Geiste zu Ehren des Sports um die Siegespalme zu streiten.
Die Chöre stimmen ein in den Gesang der Heroen. Der lange Zug der Wettkämpfer setzt sich in Bewegung und entzieht sich durch die Marathonpforte langsam dem freudetrunkenen Auge; begeistert vom erhabenen Schauspiel zerstreut sich die Menge.
Die Olympischen Spiele von 1924 in Paris sind eröffnet, der Kampf beginnt.»
19'052 Menschen haben 1924 der Eröffnungsfeier im Stadion beigewohnt. Gut 300'000 sind 2024 bei der Eröffnungsshow vor Ort.
Die Spiele von 1924 in Paris kosten 15,562 Millionen Franc. Das sind umgerechnet nicht einmal drei Millionen Euro. Einnahmen aus Werbung und TV-Rechten gibt es keine. Die Zuschüsse aus den öffentlichen Kassen sind bescheiden: Der Staat steuert umgerechnet rund 900'000 Euro bei, die Stadt Paris etwas mehr als 150'000 Euro.
100 Jahre später kostet allein der Auftritt von Céline Dion bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2024 ungefähr gleich viel wie die gesamten Spiele von 1924. Wie hoch die Kosten für die Spiele von 2024 sein werden, kann vorerst nur geschätzt werden. Es dürften mindestens 15 Milliarden Euro sein und allein die Eröffnungsfeier verursacht wohl Kosten von insgesamt über 200 Millionen.
Mag ja sein, dass früher bei den Spielen nicht alles besser war. Erheblich günstiger aber schon.
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