Die Sonne geht unter (im Morgenland wird unter Flutlicht gefahren) und Tom Lüthis Stern geht auf. «Ich wusste, dass ich bei kühleren Temperaturen besser bin. Als ich spürte, dass es kühler wird und der Wind aufhört, da kehrte die Selbstsicherheit zurück. Vor dem Rennen setzte ich mir kein konkretes Ziel. Ich wollte völlig unbelastet fahren und so ein Maximum herausholen. Ich denke, das ist mir gelungen.»
Tom Lüthi ist das beste Rennen seiner Karriere gefahren. Das will etwas heissen. Immerhin ist es sein 268. Grand Prix und der 136 in der Moto2-Klasse. 11 davon hat er in der zweitwichtigsten Töff-WM schon gewonnen.
Nun, es ist so. Denn die Umstände waren gegen Tom Lüthi. Noch nie hat er unter so schwierigen Voraussetzungen in der Moto2-WM einen Podestplatz herausgefahren. Und noch nie hat es vor einer Moto2-Saison um ihn so viele bange Fragen gegeben.
Wie hat er das schwierige letzte Jahr (keine MotoGP-Punkte) verarbeitet? Kommt er mit der Intensität der Moto2-Klasse gleich zurecht wo jeder mit dem Messer zwischen den Zähnen fährt? Und wie reagiert er auf den starken Teamkollegen Marcel Schrötter, der ihm im Training (mit Bestzeit) auf und davongefahren ist. Zum ersten Mal hat Tom Lüthi einen ebenbürtigen Teamkollegen. Und da war auch noch ein spektakulärer Sturz am ersten Trainingstag, bei dem ihn die Schwingen des Schicksals gestreift haben.
P7 on the grid for the first race of 2019.
— Tom Lüthi (@ThomasLUTHI) 9. März 2019
congrats @MarcelSchrotter for the top spot today. @IntactGP
#12 #qatargp pic.twitter.com/MgY4Yp2MhB
Alle offenen Fragen sind beantwortet. Tom Lüthi braust vom 11. bis auf den zweiten Platz vor, in der letzten Runde hat er den führenden Lorenzo Baldassarri (22), einen der wilden Jungen, eingeholt, in der drittletzten Kurve wagt er noch einmal eine furiose Attacke und er verliert schliesslich das Rennen um bloss 53 Hundertstel. Das ist weniger als eine Maschinenlänge.
A podium on his return to #Moto2 for @ThomasLUTHI! 🥈
— MotoGP™ 🇶🇦 (@MotoGP) 10. März 2019
SO close to a victory!#QatarGP 🇶🇦 pic.twitter.com/5g6vZKDBMh
«Ich habe alles versucht und in der drittletzten Kurve habe ich eine Lücke gesehen. Aber Balda (Baldassarri – die Red.) hatte aufgepasst und schloss die Lücke. Wenn ich es trotzdem versucht hätte, wäre die Chance höchstens 50 Prozent gewesen.» Der blieb cool und begnügte sich mit dem 2. Platz. Und natürlich ist jetzt auch geklärt, wer die Nummer 1 im Team ist. Marcel Schrötter, der das Training dominiert hatte, konnte mit der Spitze nicht ganz mithalten und Tom Lüthi rauschte an ihm vorbei, Widerstand gab es keinen. Der Deutsche verneigte sich fahrerisch sozusagen vor seinem Teamkollegen. «Das spielt doch keine Rolle» wehrt sich Tom Lüthi. «Wir arbeiten sehr gut zusammen.» Ja klar, das muss er sagen.
Das Rennen verliert er nicht in der dramatischen Schlussrunde. Sondern ganz am Anfang. Wegen eines Massensturzes hängen die Streckenposten die gelbe Flagge raus. Das bedeutet Überholverbot. «Ich konnte nicht mehr reagieren und hatte Jorge Martin verbotenerweise untergelber Flagge überholt. Um keine Strafe zu riskieren habe ich sofort wieder vorbeigelassen und dabei Zeit eingebüsst. Das Rennen habe ich in dieser Startphase verloren, nicht am Schluss.»
Hätte er den Spanier nicht vorbeigelassen, hätte er mit einer Boxendurchfahrt oder einer Rückversetzung im Klassement bestraft werden können – der Podestplatz hätte sich in Luft aufgelöst.
Das Rennen war ein Sturmlauf sondergleichen aus der 4. Startreihe heraus. Dreimal unterbietet Tom Lüthi den Rundenrekord. Keiner ist so schnell. Am Ende erntet er die Früchte seiner Arbeit. Er sagt, er habe sich im Winter noch nie so umfassend vorbereitet.
«Es war ihm nach der schwierigen letzten Saison bewusst, dass es viel braucht» sagt sein Freund und Manager Daniel M. Epp.
Dazu gehört auch die intensive Arbeit mit seinem Mentaltrainer. «Ich habe gleich nach Saisonschluss mit der Aufarbeitung der letzten Saison begonnen» sagt Tom Lüthi. «An meinem Talent habe ich nie gezweifelt. Aber ich war mir bewusst, dass ich mich Stück für Stück wieder nach vorne arbeiten muss.»
Die schwere Krise der letzten Saison, die grösste seiner Karriere, hat Tom Lüthi nicht gebrochen. Sie hat ihn stärker gemacht. Er war bereits im ersten Rennen nach der Rückkehr aus der «Königsklasse» der wahre, der bestmögliche Tom Lüthi. Das bedeutet: er kann um den WM-Titel fahren.