«Michael Schumacher wollte nie eine Legende sein.»
Das sagt unter anderem sein langjähriger Ferrari-Teamchef Jean Todt. Doch genau das ist Schumacher geworden. Sein Name ist untrennbar mit der Formel 1 verbunden. Schumacher ist eine der grössten Legenden, welche die Formel 1 kennt. Und er hob den Sport auf eine neue Stufe – vor allem in Deutschland konnte er die Nische dank seines Stars verlassen und trat plötzlich mit dem Fussball in Konkurrenz.
Dies wird allen, welche sich die ARD-Doku «Being Michael Schumacher» ansehen, aufs Neue bewusst. In der Doku verfolgt der Zuschauer den kleinen Michael, der auf der Kartbahn in Kerpen unaufhörlich seine Runden dreht, auf seinem Weg zum womöglich besten Formel-1-Fahrer der Geschichte.
Dabei bekommt die Zuschauerin Einblicke, weshalb Schumacher so erfolgreich wurde. Sieht, was es braucht, um in einem Sport zu den Grössten zu gehören. Dieses unerschütterliche Selbstbewusstsein, die Überzeugung, selbst nie einen Fehler zu machen, der feste Glaube daran, der Beste zu sein. Und vor allem diese unglaubliche Motivation, die fast schon aus einem Komplex entsteht.
Bei Schumacher war es die herablassende Art, mit der er bei Rennen in seiner Jugend teilweise behandelt wurde, welche ihm zusätzlichen Antrieb gegeben hat. Dort machten sich einige Leute über den Jungen aus einfachen Verhältnissen, der als Rennfahrer auf einer Kartbahn in einer ehemaligen Kiesgrube gross wurde, lustig. Anno Hecker, Ressortleiter bei der FAZ, weiss: «Das hat ihm schon wehgetan und daraus ist die Kraft entstanden, unbedingt gewinnen zu wollen.»
Wie bei anderen Grössen des Sports wurde diese Motivation auch im Falle von Schumacher mit immensem Talent gepaart. Welch Naturtalent er besass, zeigt die Episode von seinem ersten Grand Prix. Weil Stammfahrer Bertrand Gachot wegen eines Vorfalls in London im Gefängnis sass, bot Jordan-Teamchef Eddie Jordan Schumacher das Cockpit für dieses Rennen an. Als Jordan den damals 22-Jährigen fragte, ob er die Strecke in Spa – eine der schwierigsten im Rennkalender – bereits kenne, log Schumacher.
Denn erst nach dem Gespräch mit Jordan fuhr Schumacher die Strecke ein erstes Mal ab – mit dem Fahrrad. Dennoch war ihm der Verlauf danach bekannt, in seinem ersten Qualifying in der Königsklasse des Motorsports wurde er Siebter. «Ich war positiv überrascht, dass es mir doch relativ einfach gefallen ist, mit dem Auto klarzukommen», sagte er danach. Zwar fiel er im Rennen aufgrund eines technischen Defekts kurz nach dem Start aus, doch verdiente er sich damit dennoch einen Vertrag bei Benetton und lancierte so seine grosse Karriere.
Dass Schumacher während dieser auch einmal dreckige Mittel recht waren, um zum Erfolg zu kommen, zeigt die Serie auch. In seiner Zeit bei Benetton, wo er zwei Weltmeister-Titel gewann, entstand in deutschen Medien der Spitzname «Schummel-Schumi», weil sein Bolide nicht immer den Regularien entsprach. Im Saisonfinale 1997, als er im Ferrari mit Jacques Villeneuve um die Weltmeisterschaft kämpfte, versuchte er, diesen von der Strecke zu drängen, brachte sich damit aber selbst um das Rennen und damit den Titel.
Der frühere Formel-1-Profi David Coulthard sagt es so: «Schumacher konnte sehr rücksichtslos sein. Ich denke, das ist wahrscheinlich das Niveau, auf dem man sein muss, um so erfolgreich zu sein.» Coulthard geriet 1998 mit Schumacher aneinander, nachdem ihm dieser beim Überrunden in Spa ins Heck gekracht war und ihm im Anschluss Absicht vorgeworfen hatte. Es gehörte auch zu Schumacher, dass er so überzeugt von sich war, dass er keine Fehler machen könne.
Das dürfte mit ein Grund gewesen sein, weshalb Reibereien mit anderen Fahrern bei ihm keine Seltenheit waren. Im Fahrerlager beliebt zu sein, genoss bei Schumacher keine Priorität: «Ich bin ein Siegercharakter, das steht für mich im Vordergrund.» Und obwohl er von allen als Teamplayer bezeichnet wurde, auch weil er sein Team immer in Schutz nahm und nie öffentlich kritisierte, galt dies nicht für alle. Wie seine Managerin Sabine Kehm verrät, hätte Schumacher seinem Ferrari-Teamkollegen Eddie Irvine den Weltmeistertitel nicht gegönnt, hätte der Brite diesen 1999 gewonnen, als Schumacher nach einem schweren Unfall sechs Rennen verpasste. Schliesslich musste er es sein, der Ferraris Durststrecke beendet.
«Being Michael Schumacher» verleumdet die negativen Seiten der Ikone nicht und zeigt auch die private Seite des Rennfahrers. So sei dieser gemäss eigener Aussage trotz allem immer auf dem Boden geblieben. Das glaubt man ihm auch, wenn beispielsweise FAZ-Journalist Hecker sagt, dass Schumacher bei der Kartbahn in Kerpen an Weihnachten «mit grosser Freude den Nikolaus gespielt hat». Oder wenn die Köchin in seinem Lieblingsrestaurant in Maranello zeigt, wo er gegessen und mit ihr Italienisch gelernt habe und schwärmt: «Er war ein Botschafter auf der ganzen Welt.» Managerin Kehm ergänzt, dass er sich auch im Team nie für etwas Besonderes gehalten und beispielsweise bis spätabends mit den Mechanikern gearbeitet habe.
Das Problem der Doku-Serie ist aber, dass dies alles schon bekannt war. Wir kannten Schumacher bereits als positiv Besessenen, der für den Erfolg auch einmal Grenzen überschritt, privat aber ein anständiger und freundlicher Mann ist, von dem alle in höchsten Tönen sprechen. Unter anderem dank der sehr schönen Netflix-Doku «Schumacher», die vor zwei Jahren erschien und in der auch seine Ehefrau Corinna und die Kinder Mick und Gina-Maria viel über ihren Ehemann und Vater sprachen. Es war die bessere, weil persönlichere Produktion.
Die Serie der ARD scheint hingegen mehr wie eine Ansammlung von Episoden. Es fehlt der Strang, wenn die Erzählung hin und her springt, einige Zitate der Experten mehrmals verwendet werden oder gewisse Teile seiner Karriere etwas gar stark heruntergebrochen werden. Zudem fehlen die neuen Erkenntnisse. So wirklich wird nicht klar, weshalb es diese Doku zu diesem Zeitpunkt braucht. Zumal der Unfall, dessen zehntes Jähren als Anlass für die Serie genommen wird, auch hier nur kurz behandelt wird.
Dennoch hat sie ihre guten Momente, wie zum Beispiel einige Anekdoten, welche die vielen befragten Wegbegleiter preisgeben. Oder wenn Schumacher durch Ausschnitte von Interviews aus der Zeit vor seinem Ski-Unfall in Méribel selbst zu Wort kommt und das Fremdbild der Journalisten und Wegbegleiterinnen mit Schumachers Selbsteinschätzung vereinigt werden.
Die Stärke der neuen Serie liegt so auch in der letzten Folge, in welcher über die «zwei Michaels» (Ross Brawn, technischer Direktor bei Benetton und Ferrari sowie Teamchef bei Mercedes) gesprochen wird. «Bild»-Redakteur Helmut Uhl sprach von gespaltener Persönlichkeit und meinte damit, dass Schumacher eine ganz andere Person ist, wenn er seinen Rennanzug auszieht. Der siebenfache Weltmeister habe Uhl gar einmal ein Bild mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde unterschrieben.
Dass sich sein Charakter als Rennfahrer und Privatperson deutlich unterscheidet, war selbst Schumacher bewusst. «Die Menschen konnten mich nicht immer so erleben, wie ich wirklich bin», sagte er einst. So wurde ihm auch immer mal wieder gesagt: «Du bist ja eigentlich viel netter, als du im Fernsehen rüberkommst.» Für seine Managerin ist ebenfalls klar: «Er hat das Visier nie ganz geöffnet und den Leuten ausserhalb des privaten Bereichs nie den ganzen Michael Schumacher gezeigt.»
Den ganzen Michael Schumacher bekommt man auch in der neuen Doku-Serie nicht zu sehen. Personen aus seinem Privatleben werden bis auf Bruder Ralf nicht befragt, dafür Journalisten oder andere deutsche Sport-Grössen wie Basketballer Dirk Nowitzki, Fussballer Bastian Schweinsteiger oder Schwimmerin Franziska van Almsick. Das ist einerseits schade – aber auch richtig.
Denn es ist die Entscheidung der Familie, nicht zu zeigen, wie es Schumacher heute geht. Daran gibt es für Aussenstehende nichts zu rütteln. «Es ging immer darum, Privates zu schützen», sagte der Anwalt der Familie kürzlich in einem Interview mit Legal Tribune Online über die Gründe dafür. Es hätte zwar mal die Überlegung gegeben, «ob eine finale Meldung über den Gesundheitszustand von Michael hierfür der richtige Weg sein könnte. Doch danach wäre ja nicht Schluss gewesen und es hätten dann permanent aktualisierte ‹Wasserstandsmeldungen› erfolgen müssen».
In der Netflix-Doku hatte Ehefrau Corinna einen kleinen Einblick gestattet: «Es ist ganz klar, dass mir Michael jeden Tag fehlt, und nicht nur mir. Jeder vermisst Michael.» Ausserdem fügte sie an: «Aber er ist ja da – anders, aber er ist da.» Dass man auch in der neu erschienenen Dokumentation keine neuen Informationen erfährt, ist zu respektieren.
Und so bleibt eine insgesamt rund zweieinhalbstündige, für Fans interessante Serie, die aber keine neuen Erkenntnisse bietet. Dadurch bleibt er weiterhin so in Erinnerung, wie er vor dem Unfall war. Nämlich als womöglich bester Formel-1-Fahrer der Geschichte und als Legende seines Sports – auch wenn er das nie sein wollte.