Adrian Josty absolviert gerade ein Wahnsinns-Projekt: Er will jeden Tag im Juli den Jungfrau-Marathon 31 Mal innert 31 Tagen absolvieren. Und dies jedes Mal in der offiziellen Zeit von maximal 6:30 Stunden.
Das heisst in anderen Worten: 31 Mal 42,195 Kilometer mit 1953 Höhenmetern. Macht total:
Wir haben mit «Josty», wie er genannt wird, über sein Vorhaben und seine Motivation gesprochen.
Josty, du schenkst dir selbst zum 50. Geburtstag eine Challenge, die beinhaltet, dass du innert 31 Tagen 31 Mal den Jungfrau-Marathon absolvierst. Ich habe vor allem eine Frage: WARUM?!
Adrian Josty: Ich habe einfach sehr viel Freude am Ausdauersport und wollte schon immer mal erleben, wie sich ein Profisportler fühlt. So kann ich das für einen Monat machen.
Wenn ich 50 werde, schenke ich mir einen Monat auf den Malediven am Strand und mache 31 Tage lang nichts.
Oh nein, meine Challenge ist für mich gerade so schön wie auf den Malediven die Füsse in den Sand strecken. Damit könnte ich nichts anfangen.
Du sagst, du willst wie ein Profi leben. Aber kein Profi läuft 31 Marathons in 31 Tagen. Die absolvieren vielleicht zwei oder drei pro Jahr.
Da müssen wir unterscheiden. Im Wettkampftempo gebe ich dir recht. Aber im Training absolvieren die auch mal am Morgen 20 Kilometer und dann am Nachmittag nochmals. Natürlich in einem ganz anderen Tempo als beim Wettkampf. Das mache ich auch.
Warum bist du nicht Profisportler geworden?
Ausdauersport machte mir schon immer viel Freude. Aber Profi wird man nicht einfach so. Mein Bruder sagt: Hätten mich meine Eltern getrieben, wäre ich Olympiasieger geworden. Aber so bin ich jetzt Wirtschaftsinformatiker geworden. Dafür habe ich auch jetzt noch viel Freude am Ausdauersport, das bedeutet mir viel.
Ok, ich verstehe ja, dass man sich dafür begeistern kann und einen Monat Malediven würde ich mir ehrlich gesagt auch nicht schenken wollen. Aber du hättest ja wenigstens einen «normalen» Marathon wählen können, also einen mit deutlich weniger Höhenmetern. Warum der Jungfrau-Marathon?
Ich habe diesen schon zehnmal absolviert und liebe die ganze Gegend. Wenn ich einmal sterbe, soll hier meine Asche verteilt werden. Ausserdem eignet sich dieser mit den ersten 26 flachen Kilometern und dann 16 Kilometer bergauf ideal für mein Projekt.
Wieso?
Die Belastungen auf meinen Körper sind unterschiedlich. Auf den ersten 26 Kilometer jogge ich, dann folgen 16 Kilometer Bergwandern. Das ist «gäbig» für den Körper, der steckt das besser weg als 42 Kilometer auf einer Leichtathletikbahn.
Okay, das leuchtet ein. Aber trotzdem: Einen Marathon kann man ja mal «durch würgen», das würde ich mir auch zutrauen, wäre danach einige Tage ausser Gefecht. Aber du musst ja dann am nächsten Tag wieder einen machen. Und wieder einen. Was ist der Trick?
Das ist hier eigentlich eine andere Sportart als Marathon auf Tempo laufen. Wer heute einen Halbmarathon schafft, kann sich mit acht bis zwölf Wochen zielgerichtetem Training dahin bringen, dass er einen Marathon gut schafft. Ich darf aber nie in den anaeroben Bereich kommen, wenn meine Muskeln keinen Sauerstoff mehr erhalten. Passiert das, habe ich verloren. Ich darf mich nie scheisse fühlen, wenn ich ins Ziel komme. Das kannst du nur mit jahrelangem Training auf sehr regenerativen Basis erreichen.
Wie schnell bist du unterwegs?
Ich nutze die maximale Laufzeit von 6:30 Stunden für den Jungfrau-Marathon aus. Im Renntempo wäre ich rund 1:40 Stunden schneller. Für meine Challenge absolviere ich einen Kilometer durchschnittlich in 6:45 Minuten. Mein Durchschnittspuls liegt bei 138 Schlägen.
Wow.
Ja, du kannst das mal ausprobieren. Viele können bei 138 Puls kaum rennen.
Wie schafft man das?
Wie zuvor erwähnt: jahrelanges Training im niedrigen Pulsbereich. Also viele lange und sehr langsame Läufe bei rund 70 Prozent deines Maximalpulses. Das musst du lernen. Du fängst mit 5 bis 10 Kilometer an und steigerst dich dann.
Aber das ist doch langweilig.
Für mich nicht. Ich kann acht Stunden «seckle und äs fägt».
Beim Marathon spricht man ja oft vom Hammermann. Kam der schon vorbei?
Nein, der kommt nicht. Der darf auch nicht kommen. Dann wäre ich viel zu schnell unterwegs und könnte die Challenge nicht beenden.
Wie hoch ist ein durchschnittlicher Maximalpuls?
Als Faustregel gilt: 220 minus Alter. Meiner müsste bei 170 liegen, er ist aber bei 187. Ich würde von mir sagen, dass ich so fit bin wie noch nie. Das dachte ich allerdings vor drei Jahren ebenfalls (lacht).
Ich nehme an, du hast dich vor der Challenge ärztlich untersuchen lassen?
Ja, genau. Ich war bei einer Kardiologin. Da gibt es neun Kriterien, alle waren bei mir exzellent. Ich bin 193 Prozent so fit wie ein durchschnittlicher 50-Jähriger. Das Herz sollte mir bei dieser Challenge keinen Strich durch die Rechnung machen.
Was könnte die Challenge gefährden?
Es gibt immer Unsicherheiten. Ich weiss nicht, wie ich nach 20 Marathons in 20 Tagen reagiere oder wie ich die Ernährung über so lange Zeit vertrage. Ein Exit-Punkt wären natürlich auch Verletzungen. Das ist schnell passiert. Ein Misstritt und alles ist vorbei. Ich bin ein Psycho-Monster, ich glaube an mich und ich weiss, ich habe in der Vorbereitung und im Training alles gegeben. Ich bin nicht masochistisch, aber ich bin bereit, Schmerzen zu ertragen.
Du hast jetzt die ersten Tage absolviert. Wie lief's?
Einwandfrei. Ich spüre noch überhaupt keine Schmerzen. Ich musste mich noch nicht «Gesundlaufen» und konnte gar einen anderen Laufstil ausprobieren.
Gesundlaufen? Erklär!
Es kann sein, dass ich auf den ersten Kilometern da oder dort ein schlechtes Gefühl habe. Aber nach so zehn Kilometern, wenn alles warm ist, geht das wieder weg.
Was kann das sein?
Das kann körperlich etwas sein, aber auch mit der Ernährung zu tun haben. Normalerweise komme ich um 14.40 Uhr im Ziel an. Dann habe ich bis am Abend keine Zeit, um alle Kohlenhydrate wieder aufzuladen. Darum esse ich am Morgen auch High-Protein-Joghurt oder so. Ich vertrage das nicht gut, wenn ich danach gleich loslaufe. Aber ich habe es trainiert, nach den ersten Kilometern ist das komische Gefühl weg.
Was hast du sonst noch Spezielles «geübt»?
Ich entwickelte mit einer Physiotherapeutin einen eigenen Laufstil. So musste ich etwa meinen rechten Fuss beim Laufen vorne noch etwa einen Zentimeter nach aussen bringen. Und ich habe immer Lösungen bereit. Falls ich ein Problem mit der Wade habe, dann muss ich mehr auf dem Mittelfuss oder der Ferse laufen, damit ich das entlasten kann. Das geht tief in die Trainingslehre hinein. Die Challenge umfasst viele Puzzleteile.
Stimmt, du hast vorhin schon dein Laufstil-Experiment an Tag 6 erwähnt. Was hat es damit auf sich?
Ich verkürzte meine ohnehin schon kurzen Schritte, falls ich Probleme mit Sehnen und Bändern haben würde. Als Kompensation rannte ich im unteren Teil die meisten Steigungen. Das klappte einwandfrei. Ich war bis zum Fusse der Steigung in Lauterbrunnen nur 1 Minute langsamer als am Tag zuvor.
Hast du noch ein Beispiel?
Meine Startzeit ist jeweils um 8.10 Uhr. Ich habe eine genaue Marschtabelle. Man kann also auch mit mir mitrennen. Eigentlich wollte ich um 8 Uhr starten, aber dann hätte ich bei Zweilütschinen jeweils an der Zugbarriere warten müssen.
Moment: Du weisst so genau, wann du wo durchkommst?
Ja, das ist auch so ein Puzzleteil. Ich laufe mit einer Uhr und teile meine Daten auf Strava. Aber du könntest mir die Uhr wegnehmen, ich wäre ziemlich genau gleich schnell unterwegs.
Wie wichtig ist die Psyche?
Der Demut-Faktor ist sehr wichtig. Ich darf nicht vergessen, dass jeder Tag eine unglaubliche sportliche Leistung beinhaltete. Da muss ich dankbar sein und darf den Fokus nicht verlieren.
Was entgegnest du Menschen, die sagen, dass du das nicht packst?
Davon gibt es viele. Ich nehme das in meinen psychischen Rucksack. Wenn einer sagt, ich schaffe höchstens zehn Tage, schreibe ich ihm am elften und frage, ob er als «Entschuldigung» etwas spenden wolle.
Genau, du rennst ja nicht nur für dich, sondern auch für Kinder in Südafrika. Warum?
Ich war schon zweimal in Oudtshoorn in der kleinen Karoo. Da bauten zwei Union-Berlin-Fans einen Fussballplatz und nannten ihn «Alte Försterei II». Kinder können dort Fussball spielen und mit diversen Aktivitäten erhalten sie eine Perspektive. Die Armut hat uns das Herz gebrochen, da wollte ich etwas unternehmen.
Was bringt dir diese Challenge zurück im Alltag?
Ich habe die Überzeugung, dass wenn ich etwas will und dafür alles in eine Waagschale werfe, dass ich es dann auch erreichen kann. Mein Leben neben der Arbeit gab ich in den letzten acht Monaten komplett für die Challenge auf. Zum Glück unterstützte mich meine Frau, begleitete mich teilweise bei den Trainings und liess mir viel Freiraum. Wir haben also keine Eheprobleme, dass ich jetzt «einen Monat Auszeit nehme» – alles ist gut.