Es ist ein brisantes Thema. Gerade in der Schweiz. Anläufe zu Olympischen Winterspielen wurden in den vergangenen 15 Jahren bei kantonalen Abstimmungen stets versenkt. Beinahe vergessen sind die Tränen der siegesgewissen Walliser Bevölkerung, als der damalige IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch am 19. Juni 1999 das Wort «Torino» anstatt «Sion» als Austragungsort für 2006 in die Welt hinausposaunte. Die bislang letzte positiv verlaufene Kandidatur-Kampagne endete in totaler Katerstimmung.
Aktuell finden hinter den Kulissen ernsthafte Diskussionen über eine mögliche Kandidatur für die Winterspiele von 2030 statt. Am vergangenen Donnerstag empfing ein hochkarätiges Trio des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne eine Schweizer Delegation zu Sondierungsgesprächen. Generaldirektor Christophe De Kepper, Olympiadirektor Christophe Dubi sowie Jacqueline Barett, Direktorin für zukünftige Olympia-Austragungsorte, wollten sondieren, ob sich die Schweiz eine Bewerbung vorstellen kann.
In der Schweizer Delegation sassen mit Präsident Jürg Stahl und Olympiadirektor Ralph Stöckli die beiden relevanten Personen des Dachverbandes Swiss Olympic. Anwesend waren angeführt von Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann auch Vertreter der verschiedenen olympischen Wintersportverbände. Diese sollen bei einem möglichen Olympiakonzept eine der Hauptrollen spielen, selbst wenn ein eigentlicher Bewerbungsprozess ausschliesslich von Swiss Olympic ausgelöst werden kann.
«Der Sport für den Sport!» lautet der inoffizielle Slogan der Initiative, bei welcher der derzeit auf einer sportlichen Erfolgswelle surfende Skiverband eine Vorreiterrolle spielt und derzeit versucht, hinter den Kulissen Überzeugungsarbeit zu leisten.
Bereits an diesem Donnerstag wird der Exekutivrat an seiner Sitzung beschliessen, ob man zu Phase 2 übergeht und den aktuellen «informellen Dialog» mit dem IOC in einen konkreteren «kontinuierlichen Dialog» überführt. Zu dieser Partnerschaft gehört auch die Ausarbeitung einer Machbarkeitsstudie, welche das IOC finanziert.
Swiss Olympic hatte im Angesicht der jüngsten verlorenen Volksabstimmung im Wallis 2018 einen erneuten Anlauf für 2030 zuerst kategorisch ausgeschlossen. Inzwischen ist diese Ansicht nicht mehr absolut. Im Rahmen des aktuellen Strategieprozesses besteht ein Auftrag, die Rahmenbedingungen für die Durchführung von Winterspielen in der Schweiz zu prüfen – allerdings ohne Nennung einer Jahreszahl.
Swiss Olympic sagt zu den aktuellen Diskussionen: «Als Nationales Olympisches Komitee der Schweiz begrüsst Swiss Olympic die Diskussion über eine mögliche Durchführung Olympischer und Paralympischer Winterspiele in der Schweiz. Fest steht, dass nur eine Bewerbung mit nationalem Ansatz in Frage kommt. Standortbasierte, lokale Konzepte werden von Swiss Olympic nicht weiterverfolgt.»
Angesicht der jüngsten Entwicklung mit den Schwierigkeiten des IOC, für die Spiele in sieben Jahren eine valable Möglichkeit zu finden, stellt sich aber auch Swiss Olympic die Frage, wie gross die Versuchung für 2030 tatsächlich ist.
IOC-Olympiadirektor Christophe Dubi sagt offen, dass derzeit kein Kandidat in der dritten und höchsten Kategorie des Olympia-Austausches steht, dem sogenannten «gezielten Dialog». Ursprünglich war geplant, die Winterspiele 2030 im Oktober beim diesjährigen IOC-Kongress in Mumbai zu vergeben. Daraus wird definitiv nichts.
Der ursprüngliche Favorit Sapporo musste aufgrund einer Korruptions-Thematik die Kandidatur stoppen. Salt Lake City möchte das IOC für 2034 in die Poleposition bringen, weil es sonst zeitlich zu nah bei den Sommerspielen von 2028 in Los Angeles liegt. Vor wenigen Tagen hat Schweden, das in der Ausmarchung für 2026 Cortina-Milano unterlag, die Prüfung einer erneuten Kandidatur in Aussicht gestellt. Mehr liegt derzeit aber nicht auf dem Tisch, selbst wenn das IOC sagt, mit wem man im Austausch sei, sei vertraulich.
Es ist kein Geheimnis, dass eine Schweizer Kandidatur für 2030 beim IOC auf sehr viel Wohlwollen stossen würde. So viel Zuwendung, dass man als Austragungsort der mächtigsten Sportorganisation der Welt sogar gewisse Bedingungen für Spiele diktieren kann?
Auf jeden Fall hat das IOC im Rahmen seiner Reformen den Bewerbungsprozess vor vier Jahren mit einem flexibleren Ansatz entscheidend verändert. Zum einen wurden die zwei Punkte aus der Olympischen Charta gestrichen, wonach die Spiele sieben Jahre vor dem Anlass vergeben werden und sie in einem einzigen Land stattfinden müssen.
Mit einer Einsetzung von zwei ständigen Kommissionen für künftige Austragungsorte im Sommer und im Winter und der Einführung der drei Dialogformen wurde auch das Kostenrisiko für potenzielle Interessenten massiv gesenkt. Das IOC entwickelt eine Kandidatur fortan zusammen mit den Kandidaturen.
In der Konsequenz sorgten die neuen Regeln bereits für eine Doppelvergabe der Sommerspiele 2024 (Paris) und 2028 (Los Angeles) sowie einer vorzeitigen Bestimmung von Brisbane für 2032 – auf Empfehlung der Kommission.
Ein solches Szenario wäre auch für 2030 und die Schweiz denkbar. Quasi ein Versprechen des IOC hinter den Kulissen, bei einer Kandidatur auch frühzeitig Gewissheit über die Durchführung zu erhalten. Befürworter einer Kandidatur sprechen deshalb von einem «Zeitfenster der einmaligen Gelegenheit», zumal die Pläne einer Doppelvergabe für 2030 (?) und 2034 (Salt Lake City) offenbar fortgeschritten sind.