Natürlich möchte Mathilde Gremaud auch am Sonntag im Slopestyle zuoberst stehen. Doch diesmal, beim Weltcupfinal in Silvaplana, ist der Druck weg. «Die Motivation ist noch gross, schliesslich sind wir in der Schweiz, aber ich bin auch müde. Das habe ich in den letzten Tagen gespürt», sagt Gremaud.
Der Heim-Weltcup wird zum Abschluss einer perfekten Saison für die 24-jährige Freiburgerin. Als erste Freeskierin überhaupt holt sie drei Kristallkugeln, gewinnt neben dem Gesamtweltcup die Disziplinenwertung im Slopestyle und auf der Big Air. «Ich habe mir als Ziel gesetzt, eine dieser Kugeln zu gewinnen. Dass ich nun alle habe, ist unglaublich.»
Die stets gelassen wirkende Gremaud legte in dieser Saison ohne WM und Olympia den Fokus ganz auf den Weltcup. Sie wusste, «dass jeder Wettkampf genau gleich wichtig ist». Früher, da sei es auch schon vorgekommen, dass in einem Weltcup die Konzentration mal gefehlt hat. Nicht so in diesem Winter. «Aber ich wusste, dass ich immer voll bereit sein muss, um am Ende eine Kugel zu holen. Bei jedem Start hatte ich grosse Freude und wusste, dass es gut kommt.» Sie siegte in sechs von acht Wettbewerben, zweimal wurde sie Zweite.
Nun ist Gremaud 24 Jahre alt - und hat schon alles gewonnen. Sie hat von den Olympischen Spielen einen gesamten Medaillensatz, ist Weltmeisterin und nun Gesamtweltcupsiegerin. Sie sagt, die Motivation werde darunter nicht leiden. «Ich habe immer noch grosse Lust.»
Doch nach den neuerlichen Highlights werden Erinnerungen wach an weniger schöne Momente im Leben der jungen Ausnahmesportlerin. Nach den Olympischen Spielen 2022 in Peking, wo Gremaud Gold im Slopestyle und Bronze auf der Big Air gewann, hatte sie mit mentalen Problemen zu kämpfen, verlor die Motivation. Von einer Depression wollte sie später nicht sprechen, aber von einer schwierigen Zeit.
Angst vor einer ähnlichen Situation hat sie nun nicht. «Ich glaube, ich habe daraus gelernt.» Damals habe sie es nicht geschafft, mal «Nein» zu sagen. Jetzt macht sie genau das. Sie sagt Anlässe ab, zu denen sie gerne zugesagt hätte. Sie nimmt nicht wie vorgesehen beim Event «The Nines» auf dem Schilthorn teil. Und auch eine Möglichkeit, mit ihrem Sponsor Red Bull nach Kanada zu fliegen, schlug sie aus. «Als ich diese Einladung erhalten habe, war ich mega geflasht», erzählt Gremaud. «Ich habe mir das gut überlegt. Aber 20 Stunden Reisen und dann einen Jetlag zu haben, das ging einfach nicht. Ich muss bremsen, damit ich nicht wieder ausgebrannt bin.»
Nun bleibt Gremaud nach der Weltcupsaison in Europa, am liebsten zu Hause im Greyerzerland. Und vor allem möchte sie noch andere Dinge erleben als nur das Skifahren. Das Biken hat sie für sich als neuen Sport entdeckt. «Das ist meine zweite Passion. Der Lifestyle der Biker passt gut zu den Freestylern, und es macht einfach sehr grossen Spass», sagt Gremaud, die auch gerne surft oder wandert. Für sie sei es wichtig, dass sie neben dem Skifahren anderen Sportarten nachgehen kann. «Ich brauche das für den Ausgleich, sonst wäre es schwierig mit der Motivation.»
Im Sommer, wenn sie auf ihrem Instagram-Profil auch mal Storys beim Biken hochlädt, folgen ihr plötzlich Fans des Mountainbikesports. Doch im Gegensatz zu anderen Freestylerinnen wird Gremaud auch dann nicht zur Influencerin. Ihre Konkurrentin Eileen Gu ist Model, wurde als jüngste Person überhaupt in den Forbes 30 unter 30 gelistet, und auf Instagram folgen ihr 2 Millionen Menschen. «Sie ist ein Superstar, neben dem Sport vielleicht noch mehr als im Sport selber», sagt Gremaud. Diese Aufmerksamkeit möchte sie selber nicht, sie sagt: «Ich möchte kein Superstar sein.»
Doch auch bei Mathilde Gremaud steigt die Aufmerksamkeit mit jedem Erfolg. «Ich merke schon, dass sich mehr Leute und Medien für mich interessieren. Aber ich möchte mit meinen Leistungen vor allem andere inspirieren und zeigen, wie cool unser Sport ist», sagt sie.
Werbung für ihren Sport soll 2025 auch die Freestyle-Weltmeisterschaft in St. Moritz sein. Die Slopestyle-Wettbewerbe finden dann ebenfalls in Silvaplana statt. Und so gilt der Weltcupfinal vom Wochenende als WM-Hauptprobe. Mathilde Gremaud könnte dort auch zur Kür einer perfekten Saison ansetzen. (aargauerzeitung.ch)