Die Kulisse hat sich verändert. Während sich frühere Weggefährten von Reto Schmidiger vor kurzem beim Weltcup in Adelboden präsentierten, bestritt er ein Parallelrennen in Howelsen Hill, US-Bundesstaat Colorado. Die World Pro Ski Tour fand statt. «In den 70er- und 80er-Jahren war das ein grosses Ding in den Staaten», sagt Schmidiger. Über 8000 Kilometer trennten ihn an diesem Januar-Wochenende vom Zentrum des internationalen Skisports, dem Chuenisbärgli.
Schmidiger, 30-jährig, musste die grosse Bühne verlassen. Im vergangenen Frühling verlor er den Kaderstatus bei Swiss-Ski. Man darf es als Rauswurf bezeichnen. Der Skiverband organisiert seither nichts mehr für den Hergiswiler. Schmidiger muss selbst Betreuer anstellen, er muss selbst Trainings organisieren, er ist selbst für den Service der Ski verantwortlich. «Ich fragte mich, ob ich mir diesen Mehraufwand überhaupt zutraue», sagt er.
Den Entscheid hat Schmidiger kommen sehen. Nach einer Meniskus-Operation befand er sich im vergangenen Winter in einer Comeback-Saison. Die Ergebnisse waren durchzogen. Zweimal schaffte er es in die Punkteränge, mit zwei 23. Plätzen, ansonsten lauter Ausfälle. Er sagt: «Ich habe damit gerechnet, dass ich nicht mehr im Kader bin. Aber als es ausgesprochen wurde, war es dennoch schwer zu fassen.»
Ihm wurde aber bald klar: Nur ein bisschen Skirennsport zu machen, geht nicht. «Entweder machst du es mit 100-prozentiger Überzeugung, oder du hörst auf», sagt er. Seine wichtigsten Sponsoren und Partner blieben ihm treu, das gab ihm eine gewisse finanzielle Sicherheit. «Ich hatte Glück, sie ermöglichen mir diesen Weg erst», sagt Schmidiger.
Ihm zur Seite stehen in diesem Winter zwei Betreuer. Einer davon ist Felix Zimmermann, ein Physiotherapeut, mit dem Schmidiger schon in der Vergangenheit zu tun hatte. Zimmermann kümmert sich um den konditionellen Bereich. Der andere ist Matthias Brügger, ein ehemaliger Slalomspezialist mit Weltcup-Einsätzen, der ihn im Skitraining unterstützt. Die beiden stehen ihm nahe, aber es sind dennoch keine Freundschaftsdienste, Schmidiger entlöhnt beide.
Im administrativen Bereich hilft ihm seine Ehefrau Annina, etwa wenn es darum geht, reisen zu buchen. «Sie hilft mir extrem viel», sagt Schmidiger. Annina formuliert es in einem Videobeitrag so: «Ich probiere Reto, wo ich kann, den Rücken freizuhalten.»
Es ist nicht so, als hätte sich Reto Schmidiger diesem Alleingang ohne Kaderzugehörigkeit von Anfang an gewachsen gefühlt. Er hatte Sorgen bezüglich der Skitrainings. «Ich fragte mich im letzten Frühling vor allem: Mit wem kann ich trainieren? Bei welchen Gruppen darf ich mich anhängen?» Einen vernünftigen Lauf mit Zeitmessung aufzustellen, sei allein praktisch nicht zu bewältigen, sagt er.
Die Bedenken hatten sich bald einmal etwas gelöst. «Eigentlich empfangen dich alle mit offenen Armen.» Schmidiger nutzt seine Bekanntschaften, fragt bei anderen Teams, wann sie wo trainieren und schliesst sich an. So ging er im letzten November für zwei Wochen nach Kabdalis, nach Schweden, um sich dort mit Norwegern, Kroaten, Griechen und Spaniern zu messen.
Wie weit die Tür zum Weltcup für Reto Schmidiger noch offen ist, ist schwer zu beantworten. Es ist klar, dass Swiss-Ski ein Interesse daran hat, eigene Kaderathleten zu fördern und diese im Weltcup zu etablieren. Im Slalomteam erhalten derzeit deutlich jüngere Athleten als Schmidiger den Vorzug, darunter auch der 22-jährige Luzerner Joel Lütolf.
«Für mich ist die Hürde jetzt sicher höher geworden», sagt Schmidiger. Für einen Weltcupstart kann er sich nur mit starken Ergebnissen im Europacup empfehlen. Und im Europacup sind Topklassierungen im Slalom kaum leichter zu erreichen als im Weltcup. «Ich weiss ja, wie im Europacup gefahren wird. Das Niveau ist wahnsinnig gut», sagt er.
Die Frage, warum sich Reto Schmidiger diesen beschwerlichen Alleingang mit 30 Jahren antut, ist vielleicht bloss mit Leidenschaft zu erklären. Auf dem Sessellift sitzend sagte er kürzlich in eine Kamera: «Das ist einfach das geilste Büro.» Doch nicht nur die Atmosphäre, die Berge, sondern auch der technische Aspekt des Skisports fasziniert ihn. «Ich finde es einfach wahnsinnig spannend, ich lerne täglich dazu.»
Und den Glauben an seine Qualitäten hat er auch nicht verloren. Schmidiger war dreifacher Junioren-Weltmeister, gesegnet mit einem schnellen Schwung. Er zeigte es auch punktuell im Weltcup, vor allem in ersten Läufen. In der letzten Saison belegte er im Slalom von Wengen zur Rennhälfte Rang 11, in Schladming war es Rang 14. Vor vier Jahren kam er einer Sensation nahe, als er in Adelboden, bei seinem Lieblingsrennen, im ersten Lauf auf den 7. Platz fuhr. Doch im zweiten Lauf, auch da, ein Einfädler.
«Es ist eigentlich krank. Im Europacup war ich zu dieser Zeit weit weg von den Spitzenplätzen. Ich hatte das Gefühl, ich könne nicht mehr Skifahren. Dann kam ich nach Adelboden und konnte mit der Weltspitze mithalten», sagt Schmidiger. Es sind genau solche Erlebnisse, die ihn daran hindern, aufzugeben.
Die Distanz zwischen der Weltspitze und Schmidiger ist seitdem etwas angewachsen. Während der Weltcup in dieser Woche am Dienstag und Mittwoch in Schladming gastiert, bestreitet er am Mittwoch und Donnerstag die FIS-Rennen in Engelberg, zweimal Slalom. In keiner anderen Disziplin liegt der Ausfall so nahe. Doch vielleicht ist der Aufstieg genauso schnell möglich.
Preisgeld verdient er ja derzeit kaum, und auch das Sponsorengeld wird da sicher bei weitem nicht ausreichen.