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Fussball: Wie Vereine wie Juventus ihre Buchhaltung schönen

A mural depicting Juventus president Andrea Agnelli making a hole in a football with a knife, appeared in Rome, Thursday, April 22, 2021. Juventus was one of the three Italian soccer clubs among the f ...
Andrea Agnelli, der abgesetzte Präsident von Juventus, gezeichnet auf einer Mauer in Rom.Image: AP

Wie Vereine wie Juventus ihre Buchhaltung geschönt haben

Einen fiktiven Gewinn von 282 Millionen Euro zu verbuchen, wenn man keinen Cent hat: Das ist die Leistung, die Juventus vollbracht hat. Hier ist die (einfache und leicht verständliche) Anleitung.
24.01.2023, 15:47
Christian Despont
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Die Fakten

Der börsennotierte Verein Juventus Turin, der der Agnelli-Familie gehört, wird für schuldig befunden, seine Bücher zwischen 2018 und 2021 gefälscht zu haben, indem er fiktive Gewinne verbuchte. Die italienische Sportgerichtsbarkeit verurteilte sie am vergangenen Freitag zu 15 Strafpunkten. Zivilrechtliche Ermittlungen laufen weiter.

Der Trick betraf Transfers von rund 40 Spielern, darunter zahlreiche nicht existierende oder völlig überteuerte Transaktionen, für die Juventus angeblich gefälschte Rechnungen vorgelegt hatte. Die Steuerfahndung durchsuchte im November 2021 die Büros des Vereins.

Der Börsenkurs von Juventus

Die Aktie von Juventus FC SpA hat in fünf Jahren 62 Prozent ihres Wertes verloren.
Die Aktie von Juventus FC SpA hat in fünf Jahren 62 Prozent ihres Wertes verloren.

Das Prinzip

Um den Mechanismus der fiktiven Transfers richtig zu verstehen, muss man diese Feinheit der Regeln kennen:

  • Wenn ein Verein einen Spieler verkauft, kann er die Transfersumme vollständig als Gewinn für das laufende Jahr verbuchen.
  • Wenn ein Verein einen Spieler kauft, kann er die Ausgaben über die gesamte Vertragslaufzeit strecken (verteilen), was ebenso vielen Rechnungsjahren entspricht.

Die Berechnung

Verein X kauft einen Spieler für 10 Millionen Euro und stattet ihn mit einem Fünfjahresvertrag aus. Für das Rechnungsjahr verbucht er nur eine Ausgabe von 2 Millionen (die Transfersumme, geteilt durch die fünf Jahre Vertragslaufzeit).

Im selben Jahr verkauft Verein X einen Spieler 2 Millionen. Er verbucht direkt eine Einnahme von 2 Millionen.

Wenn Verein X einen Spieler für 10 Millionen kauft und einen anderen für 2 Millionen verkauft, kann er eine ausgeglichene Bilanz vorweisen (-10 Millionen ➗ 5 Jahre Vertragslaufzeit = - 2 (Ausgaben) + 2 (Einnahmen) = 0). Diese Konstruktion ist zwar gefährlich, aber vollkommen legal. Sofern sie einer materiellen Realität entspricht.

Der Schwindel

Nun muss nur noch ein «befreundeter» Verein gefunden werden, der diese Transfers vervielfacht und (echte oder fiktive) Summen austauscht, mit denen die Buchhaltung geschönt werden soll.

Verein X verkauft den Spieler Mustermann an Verein Y für die offizielle Summe von 10 Millionen mit einem Fünfjahresvertrag. In Wirklichkeit ist Mustermann nur eine Million wert. Aber wer bestreitet seinen Wert? Ist ein Richter qualifiziert, die Fähigkeiten, das Profil und das Potenzial eines unbekannten Fussballspielers zu beurteilen?

Die Geldbewegungen im Fussball sind verrückt und unübersichtlich.
Die Geldbewegungen im Fussball sind verrückt und unübersichtlich.

Verein X verbucht in seiner Jahresbilanz einen (fiktiven oder tatsächlichen) Zufluss von 10 Millionen, während Verein Y, wie es die Regeln erlauben, nur eine Ausgabe von 2 Millionen verbucht. Club X hat ihm jedoch versprochen, Mustermann innerhalb von zwei Jahren zu kaufen, alle Ausgaben für seinen Kauf (einschliesslich Gehalt) zu erstatten und eine Wertsteigerung hinzuzufügen. Diese Vereinbarung wurde privatrechtlich besiegelt, in einem Anhang zum Vertrag, der nicht an die Fussballbehörden weitergeleitet wurde.

Das Ergebnis: Verein Y bekommt einen kostenlosen Spieler (und ein Versprechen), während Verein X eine einwandfreie Buchhaltung vorweisen kann, die es ihm ermöglicht, in echte Verstärkungen zu investieren. Alles in der Hoffnung, dass Mustermann an anderer Stelle aufblüht und an Wert gewinnt.

Nach zwei Jahren im Exil kehrt Mustermann wie vereinbart für eine vorher festgelegte Summe in den Club X zurück. Dann wird er weiterverkauft oder an einen anderen «befreundeten» Club verliehen. Und so weiter und so fort, je nach Absprache, bevor es zu einem tatsächlichen und endgültigen Verkauf kommt. Mustermann wird sowohl zu einem Buchungsbeleg als auch zu einem Spekulationswert.

Ein Experte für Geldwäsche im Fußball beschreibt das typische Profil der Protagonisten:

Wer ist Mustermann?

«Meist handelt es sich um einen wenig bekannten und billigen Spieler, dessen Karriereaussichten ungewiss sind und dessen Wert niemand wirklich genau einordnen kann.»

Wer ist Verein Y?

«In der Regel ein mittelgrosser Verein, der nicht im Europapokal spielt und sich daher nicht an das Financial Fairplay halten muss. Die UEFA steckt ihre Nase nicht in seine Bücher.»

Wer ist Club X?

«Ein grosser Verein, der wie Juventus gut 60 Spieler unter Vertrag hat und das Kommen und Gehen von etwa 30 Spielern organisiert, die er als Vermögenswerte betrachtet.»

Das Endziel

Die Vervielfachung dieser Scheintransfers, die grosszügig überbewertet und verrechnet werden, ermöglicht es, hohe Geldeinnahmen zu beanspruchen, also den Aktionären, Investoren und der Regierung schmeichelhafte Bilanzen zu präsentieren.

Panoramic view of the pitch during the Serie A football match between Juventus FC and Atalanta BC at Juventus stadium in Torino Italy, January 22th, 2022. Photo Giuliano Marchisciano / Insidefoto giul ...
Juventus wurde für die Praktiken mit den Scheintransfers mit einem Punktabzug bestraft.Bild: www.imago-images.de

Vereine, die die Kriterien der UEFA (ausgeglichener Haushalt, Schuldenstand) nicht erfüllen, können mit einem Einstellungsverbot, Punktabzügen oder sogar einer Sperre für alle europäischen Wettbewerbe belegt werden.

Die Fälle

Die Steuerfahndung konnte feststellen, dass junge Spieler von Juventus und Inter Mailand (u. a.), von denen die meisten nur wenige Minuten in der Serie A spielten, für ungewöhnlich hohe Beträge zwischen 1 und 20 Millionen Euro verkauft wurden.

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Die Finanzbrigade durchsuchte gleichzeitig das Trainingszentrum, das Turiner und das Mailänder Büro von Juventus.Image: EPA ANSA

Allein Juventus steht im Verdacht, mindestens 42 illegale Transfers getätigt zu haben (bei einer Gesamtzahl von 62 im Untersuchungszeitraum), darunter drei besonders zwielichtige und lukrative Transaktionen im Winter 2019, die von «Les Echos» aufgezählt wurden: Sturaro an Genua für 16,5 Millionen Euro (Gewinn von 12,9 Millionen Euro), Emil Audero an Sampdoria für 20 Millionen Euro (Gewinn von 19,9 Millionen Euro), Alberto Cerri an Cagliari für 9 Millionen Euro (Gewinn von 8,9 Millionen Euro), was einem kumulierten Gewinn von 42,7 Millionen Euro entspricht.

Der Fall des FC Sion

2017 wurde ein junger Verteidiger von Inter Mailand, Federico Dimarco, zum FC Sion transferiert (für 3,91 Millionen Euro), bevor er ein Jahr später wieder zu Inter wechselte (für 5 Millionen Euro).

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Federico Dimarco spielte 2017 für Sion.Bild: EPA/KEYSTONE

Zu Beginn seiner Karriere wechselte Dimarco viermal auf diese Weise hin und her: Empoli (ein Jahr), FC Sion (ein Jahr), Parma (ein Jahr) und Hellas Verona (ein Jahr). Mit 25 Jahren verlängerte er seinen Vertrag schliesslich bei Inter Mailand, was beweist, dass aus einer guten wirtschaftlichen Leistung manchmal auch eine gute sportliche Leistung werden kann.

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30 Kommentare
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Connor McJesus
24.01.2023 16:44registriert November 2015
Ich hatte einen Prof. in einem Financial Accounting Fach, der bereits 2020 in einer Vorlesung die Buchhaltungstricks von Juve hervorgehoben hat: damals hatten Juve und Barca zwei Spieler (Melo und Pjanic) getauscht, und mit hohen Ablösesummen versehen, wodurch beide Vereine vor Ende des Geschäftsjahres (30. Juni im Fussball) noch einmal hohe Erträge in die Erfolgsrechnung buchen konnten.
Shoutout Prof. Oesch.
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LifeIsAPitch
24.01.2023 16:07registriert Juni 2018
Würden Behörden, Ligen und die UEFA bei Vereinen genau hinschauen, hätte der Fussball vielleicht die Chance, irgendwann wieder faire Wettbewerbe zu veranstalten. Teilweise wird das durch eine Armada von Anwälten verhindert, teilweise durch merkwürdige - um nicht zu sagen: lächerliche - Abläufe. Beispiel ManCity, das beim Prozess mit der UEFA zwei von drei Richtern bestimmen durfte. Die Frage, warum so etwas möglich ist, ist bis heute unbeantwortet und so bleibt ausreichend Raum für Spekulationen...
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PointBreak
24.01.2023 18:27registriert Dezember 2021
Falls Juventus da etwas falsches getan hat, soll der Verein bestraft werden. Aber diese "Plusvalenze" wie sie genannt werden sind gang und gäbe in ganz Europa. Ich erinnere mich an einen Fall von 2008 der Inter betraf. Wurde vom Sportgericht untersucht und für okay befunden. 15 Jahre später ist es Europaweit Usus, aber scheinbar in erster Linie ein Problem wenn es Juventus tut. Bei den 40 Deals ist ja auch immer ein weiterer Verein beteiligt. Unter anderem auch Barcelona (Arturo/Pjanic). Wie gesagt, entweder alle oder niemand. Auf die Art eine Meisterschaft verfälschen geht nicht.
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