Wenn die breite Masse an einen Schweizer Tennisspieler denkt, kommt der Mehrheit zuerst Roger Federer in den Sinn. Dabei hat auch Stan Wawrinka drei Grand-Slam-Titel und insgesamt 16 Turniere gewonnen, eine Bilanz, von der viele Tennisspieler nur träumen können.
Auch im Wintersport haben wir derzeit einen Ski-Federer und einen Ski-Wawrinka. Klar: Marco Odermatt ist der Ski-Federer. Er gewinnt die Weltcuprennen scheinbar nach Belieben, dominiert im Gesamtweltcup und die ganze (Ski-)Welt spricht und schreibt über den Nidwaldner. Derweil fährt der Ski-Wawrinka, Loïc Meillard, ebenfalls seit Jahren sehr gut und erhält nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit. Wie Wawrinka, der stets in Federers Schatten stand, muss auch Meillard oft Odermatt den Vortritt lassen, obwohl er schon 19 Weltcup-Podeste und drei WM-Medaillen errungen hat.
So auch am vergangenen Wochenende, als der Walliser in den beiden Riesenslaloms von Aspen zwei Mal hervorragend fuhr und doch beide Male von Überflieger Odermatt knapp geschlagen wurde. Erst am Sonntag im Slalom, wo Odermatt nicht startet, konnte Meillard sein starkes Wochenende mit einem Sieg krönen – seinem ersten Weltcupsieg in dieser Disziplin.
Dank der drei Podestplätze in Serie in Aspen hat sich Meillard mittlerweile auch auf den dritten Platz im Gesamtweltcup geschoben – nur noch drei Punkte hinter Manuel Feller. Dass der Romand den Österreicher im Schlussspurt noch überholt und so gemeinsam mit Odermatt für den ersten Schweizer Doppelsieg im Gesamtweltcup der Männer sorgt, ist durchaus realistisch.
Dabei hat die Saison für Meillard überhaupt nicht gut begonnen. Der 27-Jährige fährt in diesem Winter eine Prototyp-Bindung und diese öffnete sich zu Beginn der Saison mehrfach ohne ersichtlichen Grund. Die Verzweiflung war dem Westschweizer anzumerken, das Selbstvertrauen erschüttert.
«Ich habe in diesem Winter mein Selbstvertrauen innerhalb von zwei Rennen verloren und habe ungefähr zehn gebraucht, um es zurückzugewinnen», sagte Meillard über den Prozess in dieser Saison. Dass er eigentlich alles mitbringt, um ähnlich erfolgreich zu sein wie Odermatt, ist längst bekannt. Technisch fährt kaum jemand besser als Meillard und im Team gilt er als Arbeitstier und «Maschine» (O-Ton Marc Rochat). Da überrascht es nicht, dass der Walliser auch in dieser Saison schon in drei verschiedenen Disziplinen (Slalom, Riesenslalom, Super-G) auf dem Podest stand.
Was ihm manchmal noch fehlt, sind die Risikobereitschaft und Angriffslust, die Odermatt derart auszeichnen. Meillard gilt als einer der besten Weltcupfahrer, wenn die Verhältnisse schwierig sind. Dann ist er ein Meister darin, den Ski trotzdem voll auf Zug zu bringen. Doch sind Piste und Verhältnisse einfach, dann gelingt es dem 27-Jährigen nicht immer, sein volles Potenzial zu entfalten.
Wie gut ein angriffig fahrender Loïc Meillard ist, hat er in Aspen eindrücklich gezeigt. Gelingt es ihm, in den kommenden Wochen und Jahren sein Talent vermehrt so auszupacken, könnte er auch seinen überlegenen Teamkollegen vermehrt fordern. Oder zumindest aus dessen riesigen Schatten treten.