«Ich bin weder Impfgegner, noch Coronaleugner, aber ich lasse mich nicht impfen. Jedenfalls noch nicht. Oder nicht mit diesem Impfstoff. Ich habe Bedenken betreffend Langzeitfolgen.» So argumentieren viele Sportler und Sportlerinnen – zuletzt der Deutsche Fussballnationalspieler Joshua Kimmich.
Er ist kein Einzelfall. Der Tennisspieler Novak Djokovic sagte: «Ich entscheide, was für meinen Körper am besten ist.» Granit Xhaka, der Captain der Schweizer Nationalmannschaft, verpasste das WM-Quali-Spiel gegen Italien, nachdem er positiv getestet worden war. Er war ungeimpft. Und weil sie sich in Sölden als eine der wenigen an die Maskenpflicht gehalten hat, wird darüber debattiert, ob Lara Gut-Behrami ungeimpft ist.
Zuweilen entsteht der Eindruck, Sportlerinnen und Sportlern würden sich besonders rücksichtslos verhalten und stünden der Impfung skeptischer gegenüber als weite Teile der Gesellschaft. Doch stimmt das wirklich?
Vermutlich nicht: Die Skepsis ist nicht grösser oder kleiner als im Rest der Gesellschaft, die Beweggründe – ob absurd oder berechtigt – die gleichen. Beim Sportler kommt hinzu, dass der Körper sein Kapital und wichtigstes Arbeitsinstrument ist. Jedes einzelne Training dient einem grösseren, fein verzahnten Plan, ein einwöchiger Stillstand kann die Arbeit von Monaten zerstören. Es sind solche Gedanken, mit denen Belinda Bencic ihr Zögern begründet. Sie sind berechtigt und nachvollziehbar. Dazu kommt, dass Sportlerinnen dem Irrglauben aufsitzen, ihre Physis schütze sie vor einem schweren Krankheitsverlauf, die Risiken einer Impfung seien grösser.
Eine Fehleinschätzung, wie der Schweizer Olympiaarzt Patrik Noack sagt: «Es ist ein Irrglaube, dass die gute Physis Sportlerinnen und Sportler vor schützt. Im Gegenteil. In hochintensiven Trainingsphasen mit starken Belastungen ist das Immunsystem sogar anfälliger.»
Das Risiko einer Impfung sei gut kalkulierbar, die Folgen einer Infektion seien weitaus unberechenbarer. Langzeitfolgen, wie sich diese viele Menschen vorstellen, nämlich dass ich heute geimpft werde und nächstes Jahr eine Nebenwirkung auftritt, das gebe es nicht, habe es noch nie gegeben und wird es auch niemals geben. Weil weltweit bereits über sechs Milliarden Dosen an Coronaimpfstoffen verabreicht worden seien, sind bereits mögliche seltene Nebenwirkungen wie die Sinusvenenthrombose und Herzmuskelentzündungen bekannt. Die Datenlage? Die ist äussert gut.
Dass selbst ein milder Verlauf schwerwiegende Folgen haben kann, zeigt das Beispiel der Schweizer Läuferin Selina Rutz-Büchel, die im April an Covid-19 erkrankt war. Selbst zwei Monate nach der Genesung reagierte ihr Nervensystem stark auf sportliche Betätigung, Rutz-Büchel musste das Training einstellen und auf die Olympischen Spiele in Tokio verzichten. Im Alltag hat die Ostschweizerin mit Schwindelanfällen zu kämpfen. Ob und wann sie wieder ihre altes Leistungsvermögen erlangt, ist fraglich. Dennoch scheint es so, als würden sich Sportler mehr mit den möglichen Nebenwirkungen einer Impfung als mit einer Erkrankung beschäftigen.
Tatsächlich gibt es auch ein paar wenige Beispiele dafür, dass diese Angst nicht gänzlich unbegründet ist. So litt die Siebenkampf-Weltmeisterin Carolin Schäfer wochenlang unter den Folgen ihrer Coronaimpfung. Geschwächt trat sie bei den Olympischen Spielen an und landete auf einem für ihre Verhältnisse enttäuschenden siebten Platz.
Ähnlich erging es dem Tennisspieler Jérémy Chardy, der angibt, seit der Impfung «ein Problem» zu haben, ohne Details zu nennen. Der Franzose sagte: «Im Nachhinein bereue ich es, dass ich mich habe impfen lassen.» Dennoch: Im Vergleich zu den relativ vielen schwerwiegenden Fällen von Long Covid sind die Gefahren, die von einer Impfung ausgehen, überschaubar.
Vielmehr interessant erscheint die Frage, weshalb der Aufschrei so gross ist, wenn ein Athlet sich gegen eine Impfung ausspricht. Das dürfte viel mit der gesellschaftlichen Rolle des Sports zu tun haben, der uns Menschen als Analogie auf das Leben dient. Es gibt Sieger und Verlierer gibt, Aufstieg und Fall, wir wollen dabei unser Weltbild bestätigt oder widerlegt sehen. Dabei ist diesen meist sehr jungen Menschen, die ausschliesslich wegen ihres sportlichen Talents im Fokus stehen, eine Rolle als Vorbild zugedacht, der sie kaum jemals gerecht werden können, schon gar nicht während einer globalen Gesundheitskrise, die ein Jahrhundertereignis darstellt.
An keinem Sportler offenbart sich dieses Schweben zwischen Allmacht und Ohnmacht so deutlich wie an Novak Djokovic. Der Serbe hatte nach dem Höhepunkt der ersten Welle im Frühling 2020 mit der Adria-Tour eine Turnierserie veranstaltet, bei der kaum Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, und wo oben ohne getanzt und gefeiert wurde, weil es in der Region nur wenige Fälle gebe.
Djokovic hatte geglaubt, er stehe über den Dingen. Dass sich die serbische Premierministerin Ana Brnabic auch noch schützend vor ihn stellte, nachdem es zu zahlreichen Ansteckungen gekommen war, dürfte Djokovic in dieser Wahrnehmung bestärkt haben.
Inzwischen tut Novak Djokovic, was viele Sportler tun: den Impfstatus zur Privatsache erklären, obwohl, oder gerad deswegen, weil er, der einstige Impfgegner, vielleicht längst geimpft ist. Es ist ein Gefühl der Ohnmacht, Djokovic ist nun den Scharfrichtern der öffentlichen Meinung ausgeliefert.
Dass es auch eine andere Sichtweise auf die Debatte gibt, beweist Jürgen Klopp. Der Trainer des FC Liverpool vergleicht die Verweigerung der Impfung mit Alkohol am Steuer. Das Verbot, betrunken Auto zu fahren, werde als Gesetz akzeptiert, weil es auch das Leben anderer schütze. Das gleiche Prinzip gelte bei der Impfung. Klopp plädiert für einen offeneren Umgang mit dem Impfstatus. Den Taxifahrer dürfe man schliesslich auch fragen, ob er betrunken sei – um dann wieder aussteigen zu können.
Sportler sind auch nur Menschen mit Ängsten, sie beurteilen Gefahren unterschiedlich. Diskutiert wird über ihre medizinischen Entscheidungen letztlich nur deshalb so vehement, weil sie gesellschaftlich exponiert sind.
Mit der Äusserung seiner Bedenken, so einfach sie zu widerlegen sein mögen, verleiht Joshua Kimmich einem Gefühl Ausdruck, das viele beschäftigt: Sie sind skeptisch und verunsichert. Das zeigt, wie gering das Vertrauen in die Medizin ist, oder wie stark es erodiert hat. Und wie wichtig Aufklärung ist. So gesehen können Sportler tatsächlich einen grösseren Beitrag leisten, die Pandemie zu beenden. Indem sie eine Debatte auslösen, das bessere Argument gelten lassen – und letztlich zur Erkenntnis kommen, dass eine Impfung einen Ausweg aus dem Gefühl zwischen Allmacht und Ohnmacht bietet. Mit allen Chancen und Risiken.
Anstatt das Auftreten als lobenswert und vorbildlich zu bezeichnen, wird sie "verdächtigt"?
Da kann man doch wirklich nur noch den Kopf schütteln.
Damit wird wieder einmal mehr als deutlich gesagt, dass eine Erkrankung das grössere Risiko darstellt und nicht nur für die Sportler. Alle die dies in Kauf nehmen und auch in Kauf nehmen dies einer anderen Person zuzumuten sind einfach mehr als nur egoistisch.
Die weltweit in mehreren Mia Dosen verabreichten Impfungen, zeigen zudem keine schwerwiegende Folgen, ganz im Gegensatz zu den teilweise schweren Infektionsverläufen, die hinlänglich dokumentiert sind.