Zwei Siege in zwei Tagen: Mikaela Shiffrin war im italienischen Kronplatz wieder einmal die Beste. Sie hat nun 84 Weltcupsiege auf dem Konto, zum Allzeit-Rekord des Schweden Ingemar Stenmark fehlen nur noch zwei.
Doch seither wird weniger über die Erfolge der 27-jährigen Amerikanerin gesprochen als darüber, was sie danach sagte. Shiffrin erklärte, dass sie gerade ziemlich müde sei, weil sie «gerade nicht den besten Moment in meinem monatlichen Zyklus habe». Dass der ORF-Reporter bei der Simultanübersetzung aus dem «monthly cycle» Radfahren machte, sorgte dafür, dass der Clip viral ging.
Shiffrin nahm die Diskussion mit Humor. Sie postete das Video auf ihren Accounts und fügte eines an, auf dem sie auf einem Indoor-Velo sitzt. «Nur falls sonst noch jemand verwirrt ist: Ich spreche über meine Periode», schrieb sie dazu und verwendete den Hashtag #normalizeperiods. In etwa: Behandelt das Thema einfach ganz normal, ohne Scham, ohne Vorurteile.
So nice to get my monthly cycle in…😅 🚴
— Mikaela Shiffrin (@MikaelaShiffrin) January 26, 2023
…just in case anyone else is confused… it’s my period. We’re talking about my period.🤦♀️😂#normalizeperiods pic.twitter.com/nhkL9aiNLK
Tatsächlich ist die Menstruation im Spitzensport auf dem Weg dazu, kein Tabuthema mehr zu sein. Und wenn, dann ist es wohl primär in der Öffentlichkeit eines. Gerade bei der Trainingssteuerung hingegen nehmen Coaches immer öfter darauf Rücksicht.
Tennis-Olympiasiegerin Belinda Bencic etwa offenbarte kürzlich, wie es ihr während dieser Tage im Monat geht. Sie habe meist Bauch- und Rückenschmerzen, sagte sie im «Blick». «Ich verliere auch etwas die Koordination, da sich meine Körperstellung verschiebt. Ich bin träge, müde und manchmal ist mir auch schlecht.»
Bencic ist nicht allein. Zwischen den Spielerinnen rede man ganz normal über das Thema, sagte sie. Eine BBC-Umfrage unter 537 britischen Profisportlerinnen ergab vor zwei Jahren, dass bei 60 Prozent schon einmal die Leistung in Training oder Wettkampf durch die Periode beeinträchtigt wurde. 40 Prozent der Befragten gaben zudem an, dass es ihnen unangenehm sei, sich mit dem Trainer darüber zu unterhalten.
Eine, die offen damit umgeht, ist Michelle Gisin. «Es ist faszinierend, wie rasch das Thema enttabuisiert ist, wenn man beginnt, darüber zu sprechen», hielt die Ski-Olympiasiegerin in einem Blog fest. Gisin beschrieb dort unter anderem, wie sie am Rande einer Trainingspiste lag und sich vor Schmerzen krümmte, während ihre Kolleginnen mit den Trainern die Fahrten analysierten: «Nichts geht mehr, die Beschwerden im Unterleib sind zu stark. Es sind diese Tage im Monat, trotzdem habe ich eine Topleistung erzwingen wollen. Das war keine gute Idee, lässt mich mein Körper nun spüren. Und das hätte ich ja wissen können.»
Mittlerweile stimmt die 29-jährige Gisin das Training auf ihren Zyklus ab. Sie sammelt Daten und wertet diese mit Fachleuten aus. So lernte sie, dass für sie die Woche vor dem Menstruationsbeginn die schwierigste ist. Da fehle ihr die Energie und sie habe manchmal extrem schlechte Laune. «Sobald die Mens eintritt, fühle ich mich ab dem zweiten Tag, wenn die Bauchkrämpfe nachlassen, tausendmal besser. In den zwei folgenden Wochen könnte ich Bäume ausreissen.»
Gemäss dem renommierten Sportmediziner Walter O. Frey nehmen viele Athletinnen Hormonpräparate, auch zur Verhütung. «Im Vordergrund steht aber, dass sich die Monatsblutung damit kontrollieren lässt», so Frey in der NZZ. Vor der Saison werden die Höhepunkte fixiert und die Regel dann möglichst darum herum geplant.
Swiss Olympic hat ein eigenes Programm lanciert, «FastHer, SmartHer, StrongHer» nennt es sich. Es widmet sich spezifisch Themen wie Menstruationszyklus, Verhütung oder Schwangerschaft. Der Dachverband weist darauf hin, dass bloss sechs Prozent aller sportwissenschaftlichen Studien sich explizit mit Athletinnen befassen. Swiss Olympic bietet diesen auf vielfältige Weise Informationen an, etwa durch Referate des Leichtathletik-Trainers Adrian Rothenbühler oder Webinare zum Selbststudium.
«Wir trainierten immer gleich wie die Männer, ohne den weiblichen Zyklus zu berücksichtigen», sagte Tanja Hetling, die Team-Ärztin der Schweizer Frauen-Fussball-Nati, zu SRF. Deshalb sammle man nun Daten, um den Effekt des zyklusspezifischen Trainings messen zu können.
Mehrere Spielerinnen bemerkten eine Leistungssteigerung, weil sie ihr Training auf die Monatsblutung angepasst haben. Sie wüssten nun besser, wann ihr Körper härtere Einheiten zulasse und wann er nach mehr Regeneration verlange.
Dass dank Mikaela Shiffrins Offenheit gerade vermehrt über die Periode im Spitzensport diskutiert wird, findet auch der zweite Protagonist des kurzen Videos gut. Der österreichische Fernsehmann Peter Brunner sagte bei «Heute», er nehme die Aufregung, die durch die verpatzte Übersetzung entstand, «mit einem Schmunzeln» hin. «Ich freue mich, wenn dadurch vielleicht ein auch im Spitzensport sehr wichtiges Thema Aufmerksamkeit erhält.»