Skispringen kann so kompliziert und knifflig sein. Man muss nur einmal Simon Ammann zuhören. Die Zeiten, in denen der Doppel-Doppel-Olympiasieger das Springen von Skischanzen in erster Linie «voll geil» fand oder einen missratenen Sprung als «bin geflogen wie ein Sack Härdöpfel» abtat, sind längst vorbei. Seit Jahren dominieren beim 43-Jährigen schwer zugängliche Erklärungen über nicht optimal funktionierende Details in seinem Flugsystem.
Auch bei Gregor Deschwanden gab es Zeiten, da tönte es wesentlich umständlicher als gerade jetzt. Der 33-Jährige war während vieler Jahre der typische Mitläufer im Schweizer Skisprungteam, bis er sich sagte, dass es so nicht mehr weitergehen könne, und er Lösungen jenseits von vollem Einsatz im Training zu suchen begann.
Geholfen haben ihm sein ehemaliger Teamkollege Andreas Küttel und die Technik des Visualisierens. «Ich habe mir meine Fortschritte klarer vor Augen geführt. Mit der Zeit wurde der Sprung in meinen Gedanken immer einfacher», sagte der 33-jährige Luzerner in Engelberg.
Doch es brauchte vor zwei Jahren die Verpflichtung des Norwegers Rune Velta im Schweizer Team, bis Deschwanden endlich auf einen Trainer traf, dessen Inputs ihn nicht nur einfach, sondern auch weit fliegen liessen. Velta fokussiert vermehrt auf den Flugteil und hat die Begabung, die technische Zielsetzung eines Sprungs verständlich und nachvollziehbar an den Athleten zu übermitteln. Zumindest an Gregor Deschwanden.
Beim zweiten Springen am Sonntag, das unter starkem Schneefall litt, konnte Deschwanden seine Engelberger Podestpremiere nicht wiederholen. Aber ein fünfter Rang gehört für ihn immer noch in die Top Ten seiner Karriere-Bestresultate. Der Horwer ärgerte sich trotzdem darüber, dass er «am Tisch zweimal zu spät war. An einer WM bist du mit solchen Fehlern wieder irgendwo auf Platz 15. Deshalb sollte man sie nicht zweimal machen.»
Dass Deschwanden auch mit Fehlern mitten in die Weltelite fliegt, zeigt, dass bei ihm aktuell vieles fast wie von selbst geht. Der dritte Rang am Samstag war so etwas wie der Ritterschlag für den 33-Jährigen. Er trotzte einer am Donnerstag ausgebrochenen Grippe, indem er sie in seinen Gedanken nie als Grund für ein sportliches Scheitern zuliess. Sein Wettkampf dauere schliesslich nur 15 Sekunden. Das werde er wohl auch mit etwas Fieber und Husten hinbringen, sagte er vor dem Wettkampf. Der Arzt hätte ihn eine Woche krankgeschrieben, aber gewiss nicht von einer Sprungschanze fliegen lassen.
Deschwanden widerstand auf der Titlis-Schanze aber auch der Versuchung, es vor Heimpublikum besonders gut machen zu wollen. Er gab zwar zu, dass als er oben auf der Schanze ins Freie trat, er «dann doch nicht so entspannt wie bisher in dieser Saison war». Doch er wusste selbst unter diesem zusätzlichen Druck, dass sein «Sprung derzeit auch funktioniert, wenn nicht jedes Detail perfekt passt».
Aufgrund seines geschwächten Körpers verzichtete er auf das morgendliche Krafttraining zur Mobilisation und hielt die Sprungvorbereitung auf Sparflamme. Dafür musste der 33-Jährige vor dem Wettkampf deutlich mehr elektrolythaltige Getränke und gesalzene Nüsse zu sich nehmen. Denn bei einem Skispringer können zwei durchgeschwitzte Nächte bereits ausreichen, um den reglementarisch festgehaltenen BMI-Minimalwert zu unterschreiten. Und dann drohen als Strafe Sprünge mit kürzeren Skis und weniger Tragfläche.
Deschwanden sagt, er bewege sich diesbezüglich in der Regel stets mit Reserve, bringe eineinhalb bis zwei Kilogramm mehr auf die Waage als gefordert. «Das hat mich hier gerettet. Wäre ich gewichtsmässig ständig am Limit, dann hätte es nicht gereicht.»
Es war der erste Schweizer Podestflug in Engelberg seit Simon Ammanns zweitem Platz auf den Tag genau vor zehn Jahren. Am Sonntag feierte Kilian Peier mit Platz 13 zudem sein Saison-Bestresultat. Ganz vorne zeigten sich die zwei überlegenen Österreicher Jan Hoerl (Samstag) und Daniel Tschofenig solidarisch und teilten die Siege in Engelberg unter sich auf