Kommerz oder sportliche Fairness? Am Mittwoch kehrt Maria Scharapowa in Stuttgart nach 15-monatiger Sperre zurück. Nicht zur Freude aller.
Kurioser könnte die Situation kaum sein. Seit letztem Freitag ist Maria Scharapowa in Deutschland, am Montag wurde das glänzend besetzte Turnier in Stuttgart eröffnet. Der russische Superstar aber trainiert abgeschirmt in der Sandplatz-Halle des bescheidenen SV Sillenbuch 1892.
Ihre Dopingsperre endet nämlich erst heute Mittwoch, erst dann darf sie das Turniergelände offiziell betreten. Dann aber werden alle Augen auf die ehemalige Nummer 1 der Welt und fünffache Grand-Slam-Siegerin gerichtet sein.
Das Turnier in Stuttgart war das erste, das Scharapowa mit einer Wildcard ausstattete – und ihr deshalb zugestehen musste, ihre 1. Runde (gegen die Italienerin Roberta Vinci) erst am Mittwoch auszutragen. Die Meinungen dazu gehen weit auseinander.
Die 30-jährige Russin gilt eigentlich nicht als Doperin. Sie verwendete jahrelang das Medikament Mildronat mit dem Wirkstoff Meldonium, das in Osteuropa sehr verbreitet und laut Scharapowa so üblich ist «wie Aspirin».
Auf Anfang 2016 wurde Meldonium auf die Dopingliste gesetzt, doch Scharapowa nahm die entsprechende Mitteilung nicht zur Kenntnis. Prompt wurde sie am Australian Open positiv getestet. Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) reduzierte die ursprüngliche Zweijahres-Sperre auf 15 Monate, weil Scharapowa «nicht absichtlich» gehandelt habe.
Dennoch stören sich viele daran, dass dem Star, der bei den Arbeitskolleginnen sowieso nicht allzu beliebt ist, nun der rote Teppich ausgerollt wird.
Besondere Leidtragende sind in Stuttgart die Deutschen, konkret Julia Görges. Die Nummer 45 der Welt ist eine ehemalige Siegerin des Turniers (2011), schaffte es aber wegen der glänzenden Besetzung mit acht Top-Ten-Spielerinnen nicht ins Hauptfeld.
Am Wochenende war sie mit zwei Siegen hauptverantwortlich dafür, dass Deutschland seinen Platz in der Fedcup-Weltgruppe I sichern konnte. Deshalb konnte sie aber nicht an der Qualifikation teilnehmen und ging auch bei der Vergabe der Wildcards leer aus.
«Sie schoss quasi ein Eigentor, weil sie für ihr Land spielte», stellte Laura Siegemund, die als Vorjahresfinalistin neben Scharapowa eine Einladung erhielt.
Und die Weltnummer 2 Angelique Kerber doppelte nach: «Es ist schon etwas bizarr, dass sie einfach kommen und dazu noch erst am Mittwoch spielen kann. Die Deutschen hätten solche Wildcards beim Heimturnier nötig.»
Die ehemalige Weltranglistenerste Caroline Wozniacki bläst ins gleiche Horn: «Jeder hat eine zweite Chance verdient, aber sie sollte bei null wieder anfangen müssen. Eine Dopingsperre ist nicht das gleiche wie eine Verletzungspause.»
Scharapowa kümmert das wenig. «Wie die anderen Spielerinnen reagieren, ist meine kleinste Sorge», sagte sie in einem ihrer wenigen Interviews gegenüber der «Bild»-Zeitung.
Die hatte früher auch schon bemerkt, um im Tennis Erfolg zu haben, dürfe man nicht «Mutter Teresa» sein. Ihr Geschäftssinn ist geradezu legendär, sie war mit ihren langen Beinen und ihrem Sex-Appeal (und natürlich ihren Erfolgen) jahrelang die bestverdienende Sportlerin der Welt.
Sie zieht Sponsoren und Publikum an, was bei den meisten anderen Spielerinnen kaum der Fall ist; zumal mit Serena Williams (schwanger), Viktoria Asarenka (Mutterpause) oder Petra Kvitova (schwere Handverletzungen nach einem Raubüberfall) aktuell andere Zugpferde ausfallen.
«Wir haben uns für Maria entschieden, weil wir glauben, dass sie es verdient», betonte der Stuttgarter Turnierdirektor Markus Günthardt, Bruder des Schweizer Fedcup-Captains und TV-Experten Heinz Günthardt. Scharapowa hat das Turnier dreimal gewonnen und ist Marken-Botschafterin des Sponsors.
Und es sind durchaus nicht alle Konkurrentinnen negativ eingestellt. Serena Williams lobte Scharapowas Mut, «hinzustehen und zu ihrem Fehler zu stehen.»
Tatsache ist, dass ihr Ehrgeiz Bewunderung verdient. Sie hätte sich – auch bei vielen schweren Verletzungen – längst vom Wettkampfsport verabschieden und ihren Reichtum geniessen können.
Der Druck in der 1. Runde am Mittwoch gegen die Italienerin Vinci (WTA 36), US-Open-Finalistin von 2015, wird dennoch immens sein. Besonders brisant wäre aber eine mögliche 2. Runde gegen die Weltnummer 8 Agnieszka Radwanska. Scharapowas Agent Max Eisenbud goss noch etwas Öl ins Feuer, indem er Radwanska und Wozniacki als Mitläufer («Journeyman») bezeichnete, die hofften, von Scharapowas Abwesenheit zu profitieren.
Die Debatte wird vorderhand nicht abreissen, zumindest so lange nicht, wie Scharapowa über kein oder ein ungenügendes Ranking verfügt, um aus eigener Kraft in die Turniere zu kommen. Madrid und Rom haben bereits eine Wildcard an sie vergeben, das French Open will spätestens in drei Wochen entscheiden.
Wahrscheinlicher ist, dass die Verantwortlichen in Paris, die weniger auf einen einzelnen grossen Namen angewiesen sind, die zweifache Siegerin Scharapowa nur für die Qualifikation zulassen. (sda)