Nur knapp sieben Minuten stand Roger Federer an diesem Mittwoch Mitte Juni in Halle vor den Augen der Weltöffentlichkeit auf dem Tennisplatz – zum ersten Mal seit seinem Abschied beim Laver Cup in London im letzten September. Erstmals betrat Federer dabei als ehemaliger Sportler den Rasen. Es war eine Art Ehrerweisung an das Turnier, das er zehnmal gewonnen hatte und das in diesem Jahr zum 30. Mal ausgetragen wurde.
Wie sehr Federer das berührte, wie sehr es ihn noch aufwühlte, liess sich ganz am Schluss der Zeremonie erahnen, als ihm die Stimme brach. Weil es eine Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit ist. Mit dem, was war und nie mehr sein wird. Weil es Momente sind, die nicht wiederkehren.
Mit Halle verbindet Federer ein spezielles Band, gewoben aus Erfolgen und der Freundschaft mit Turnierdirektor Ralf Weber. Doch nichts, kein Ort, kein Turnier, löst so starke Emotionen aus wie die Swiss Indoors Basel.
A familiar face in the house 😍@rogerfederer HAS ENTERED THE BUILDING 😎#TWO23 pic.twitter.com/o0xFdO3FSZ
— Tennis TV (@TennisTV) June 21, 2023
Seine Kindheit verbrachte er in der Wohnsiedlung Wasserhaus in einem Reihenhaus in Münchenstein, die Vorgärten gepflegt, der Rasen akkurat gemäht. Im Schulhaus Lärchen ging er zur Schule, der Pingpongtisch, an dem er sich mit seinen Klassenkameraden mass, steht noch immer. Mit dem Fahrrad fuhr er zu den Fussballplätzen von St. Jakob, in Sichtweite zum Joggeli, dem Stadion des FC Basel, von dem er ein grosser Fan ist. Mit Jugendfreund Marco Chiudinelli fuhr er regelmässig im 10er-Drämmli zur Heuwaage, in einen Spielsalon, mit einem Batzen Sackgeld in der Tasche.
Es sind Erinnerungen an eine Zeit, in der Federer bei den Swiss Indoors als Balljunge im Einsatz stand. Wo er nach dem Final 1993 von Michael Stich eine Medaille zum Dank umgehängt bekam, wie es in Basel Tradition ist.
Und wo Mutter Lynette während zehn Jahren im Akkreditierungsbüro arbeitete. Als Spieler stand Federer bei den Swiss Indoors 15 Mal im Final, erstmals 2000. Zwischen 2006 und 2019 gewann er zehn Mal. Der Triumph vor vier Jahren war der letzte seiner 103 Turniersiege.
Am 16. September 2022, wenige Stunden nach Federers Ankündigung, die Karriere zu beenden, versprachen die Swiss Indoors im gleichen Jahr eine gebührende Verabschiedung. «Die riesige Fangemeinde freut sich darauf, wenn die Legende den Lichtkegel der Scheinwerfer von Basel betreten wird. Wir werden Roger Federer zu St. Jakob gebührend verabschieden.»
Doch dazu kam es nicht. Drei Wochen vor Turnierbeginn teilten Federer und die Swiss Indoors mit, er fühle sich emotional dazu noch nicht in der Lage. Er habe versucht, alles, was passiert sei, zu verarbeiten, liess er sich zitieren. «Die Feier zu Hause in Basel wird eine ganz besondere Bedeutung für mich haben und kommt für mich nun zu kurz nach London.» Zugleich wurde eine Verabschiedung im Herbst 2023 in Aussicht gestellt.
Dazu muss man wissen, dass die Beziehung zwischen Turnierdirektor Roger Brennwald und Federer auch Belastungsproben ausgesetzt war, nachdem es 2012 Unstimmigkeiten bei der Antrittsgage gegeben hatte. 2014 trat Federer ohne Gage an. Der Zwist konnte später beigelegt werden und Federer liess das Antrittsgeld künftig seiner Stiftung zukommen.
Es ist Mitte Juni im Hotel Palmengarten in Halle. Und die Frage nach der Verabschiedung in Basel hängt immer noch wie eine Wolke über Federer und dem Turnier. Dabei hat sie der Baselbieter für sich längst beantwortet.
Als der Journalist dieser Zeitung nach dem aktuellen Stand fragt, sagt der 41-Jährige, er wolle seine Sichtweise gerne unter vier Augen erläutern. Das Gespräch dauert länger als Federers Auftritt auf dem Centre Court von Halle. Alleine dieser Umstand zeigt, wie wichtig ihm die Angelegenheit ist. Richtig verstanden zu werden, niemanden zu brüskieren. Nicht die Swiss Indoors, nicht Roger Brennwald, nicht seine vielen Fans in der Schweiz.
Federer legt Wert darauf, dass es nichts mit der Vorgeschichte zu tun hat, dass es in Basel auch in diesem Herbst und wohl auch danach nicht zu einer Verabschiedung kommen wird. Er sagt: «Ich glaube, ich würde das emotional gar nicht schaffen.» Das ist der eine Teil der Geschichte. Der andere ist pragmatischer, wie sich im Gespräch herauskristallisiert.
Er sagt: «Je länger ich zurückdenke, an die Zeit, in der meine Mutter im Akkreditierungsbüro arbeitete und ich Balljunge war, an 2019, als ich in Basel mein letztes Turnier gewann, desto mehr bleibt bei mir das Gefühl zurück, dass es schon wie im Märchen war.»
Federer und die Swiss Indoors Basel – das ist eine Liebesgeschichte mit Höhen und Tiefen, mit grossen Siegen und kleinen Dramen, mit Tränen und Enttäuschungen, ein Ort voller Emotionen. Die letzte Erinnerung an ihn als Spieler soll nicht sein, wie er im Anzug auf dem Platz steht. Sondern wie er 2019 den Pokal in die Höhe stemmt. Deshalb will Roger Federer keine Verabschiedung mehr in Basel. Nicht in diesem Jahr und auch nicht im Jahr darauf. Für ihn ist seine Geschichte dort zu Ende geschrieben.
«Es bedeutet mir sehr viel, dass Roger Brennwald mich verabschieden wollte», sagt Federer. Es sei eine schöne Geste, die er sehr schätze. Als Zuschauer, als Sohn der Region Basel, kehre er gerne zurück.
Er sagt: «Ich komme immer sehr gerne nach Basel, um Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen. Irgendwann komme ich auch wieder ins Stadion, um Tennis zu schauen. Aber nicht mehr, um dort aufzutreten. Ich fühle mich immer noch sehr willkommen in der Halle, in der ich so viel erlebt habe.» Aber als Gast und Zuschauer, nicht als Attraktion.
Federer hinterlässt tiefe Spuren in Basel. Dort, wo alles angefangen und wo sich 2019 ein Kreis geschlossen hat. Was bleibt, sind Erinnerungen an sein hinreissendes Spiel, an Siege und Niederlagen. Und vor allem an Momente, in denen Federer seine Emotionen mit Basel geteilt hat. Vielleicht ist es das Beste, wenn es dieser letzte Eindruck ist, der bleibt. Weil Erinnerungen immer auch eine zweite Gelegenheit zum Glücklichsein sind.
In Basel ist das Federer-Märchen zu Ende geschrieben. Die Bühne gehört nun anderen. (aargauerzeitung.ch)