Erst ist es nur ein Gefühl, eine leise Sehnsucht, die Neugierde, vielleicht eine Vorahnung – und doch so weit entfernt, als er im Fernsehen seinen Heroen zuschaut: Boris Becker, Stefan Edberg und Pete Sampras. Zuhause in der Wasserhaus-Siedlung im Quartier Neue Welt von Münchenstein im Kanton Baselland.
Dort, wo Roger Federer aufwächst. Er spielt Fussball, Tischtennis, fährt Ski und spielt Tennis. Meist fährt er mit dem Velo an den St. Galler Ring 225 ins Basler Bachletten-Quartier, wo der TC Old Boys domiziliert ist. Für ihn ist es eine zweite Heimat. Neun Plätze, gespielt wird dort auf Sand – ausschliesslich.
Doch sein Traum ist ein anderer. Er stellt sich vor, wie das sein mag, das Spiel auf Rasen. «Wie fühlt sich das wohl an? Wie springt der Ball ab? Rasen kannte ich ja nur aus dem eigenen Garten und vom Fussball. Ich hatte immer das Gefühl, das muss etwas Gediegenes sein – weil ja nur die Besten je auf Rasen spielen», versucht er im Vorjahr, seine Faszination zu beschreiben.
Zunächst ist es nicht mehr als das – eine leise Sehnsucht, so etwas wie eine heimliche und verbotene Liebe. Und im Verbotenen liegt bekanntlich der Reiz. Für Schweizer, sagt Federer, scheine dieser Belag unerreichbar.
Sand, Teppich, Granulat – das sind die Beläge, auf denen in der Schweiz gespielt wird. Wir sind ein Land der grünen Hügel und saftigen Wiesen, aber es gibt nur zwei Rasenplätze, die noch dazu in privater Hand sind. Einen am oberen Zürichsee, wo sich Federer zuletzt vorbereitete, der andere in der Region um den Genfersee.
Federer sagt, er bereite sich jeweils auch auf Hartplätzen auf die Rasensaison vor. «Denn auf Rasen fehlt dir der Rhythmus und du verlierst an Fitness.» Weil es in der Schweiz auch einen Mangel an Hartplätzen im Freien gibt, hat er seine Trainingsbasis einst nach Dubai verlegt.
Längst gehört er zu den besten Junioren der Welt, doch er muss 16 werden, um erstmals auf Rasen zu spielen. Im Sommer 1998 an einem Junioren-Einladungsturnier in Queen’s. Er gewinnt ein Spiel, verliert das nächste. Sein Fazit: Es war okay, mehr nicht.
«Als ich das erste Mal hier spielte, war ich ein Nervenbündel. Ich war so nervös, dass ich Gespenster sah und das Gefühl hatte, das Netz sei zu hoch», erinnert er sich an die ersten Gehversuche. Kurz darauf gewinnt er das Turnier der Junioren, erst da habe er sich so richtig ins Rasentennis verliebt. Aus der Vorahnung wurde Gewissheit.
1999 und 2000 verliert er seine ersten beiden Spiele im Haupttableau, seine Liebe bleibt vorerst unerwidert. Doch Federer spricht schon damals vom Turniersieg. Seinen Glauben daran schöpft er aus den Stunden vor dem Fernseher, zuhause in Münchenstein.
Becker, Edberg und Sampras, den er im Jahr 2001 in den Achtelfinals besiegt, spielen ähnlich: «Mit der einhändigen Rückhand, mit dem Slice und dem starken Aufschlag.» Roger Federer muss schon damals gespürt haben, dass er Fähigkeiten mitbringt, die ihn auf dieser Unterlage zu grossen Erfolgen führen können.
Seine Bewegungen sind geschmeidig, der Rückhandslice bleibt tief und nirgendwo entfaltet seine Varianz im Aufschlag mehr Wirkung. «Und weil ich mich leichtfüssig bewege, ist es für mich kein grosser Unterschied zwischen Rasen und Hartplatz. Ich komme auf Rasen an ein paar Bälle nicht mehr heran, aber bei anderen ist die Differenz grösser», sagt er selber.
Das alles hilft, aber es ist eine andere Komponente, die ihn zum erfolgreichsten Rasenspieler der Geschichte gemacht hat: der Mut. Federer umschreibt das so: «Alles, was man tut, muss man mit einem absoluten Willen tun.»
Willen, Mut – Attribute, die sich auch in seiner Persönlichkeit widerspiegeln. Vor einem Jahr erzählte er wieder einmal aus seiner Kindheit. «Ich war ein normaler Junge aus Basel. Aber ich war ein Kind mit grossen Träumen. Vielleicht glaubte ich, dass Dinge möglich sind, die andere nicht für möglich gehalten hätten», sagte er, nachdem er zum achten Mal in Wimbledon gewonnen hatte.
Es war schon immer sein Lieblingsturnier, «und es wird es immer bleiben. Meine Helden spielten auf diesen Plätzen und ihretwegen wurde ich ein besserer Spieler.» Heute ist er das Vorbild der Jüngeren.
«Ich freue mich riesig auf Wimbledon. Titelverteidiger zu sein, ist ein wunderbares Gefühl», sagt Federer. «Wimbledon ist für mich der Ort, wo alles angefangen hat und alles enden wird.» Acht Mal hat er im Südwesten Londons inzwischen gewonnen.
Er, aufgewachsen auf Sandplätzen, der sich erlaubt hat, davon zu träumen, wie es wohl sein mag, auf Gras zu spielen. Seit seinem Sieg 2003, dem ersten von 20 Grand-Slam-Titeln, ist er im All England Club Mitglied auf Lebenszeit und kann damit das tun, was für andere verboten ist: Auf den exklusivsten Rasenplätzen der Welt Tennis spielen.