Man hat sich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte an zwei Bilder gewöhnt: Rafael Nadal als Sieger, als Dominator auf Sand. Und an Rafael Nadal mit Bandagen, an Krücken gehend, leidend. Der Körper hat ihn immer wieder im Stich gelassen. Mal war es der Rücken, mal die Knie, mal die Schultern. Und immer wieder sein linker Fuss. Im letzten Monat nahm der Kontrast zwischen den zwei Bildern neue Dimensionen an. Triumph am ersten Sonntag in Paris, am Tag darauf ging Nadal in Barcelona an Krücken.
Rafael Nadal hat in seiner Karriere die Grenzen immer wieder verschoben, das hat ihn zu einem der erfolgreichsten Spieler in der Tennisgeschichte gemacht – mit 22 Grand-Slam-Titeln, darunter alle vier mindestens zweimal, 91 Turniersiege total, 209 Wochen an der Spitze der Weltrangliste.
Einst sagte der 36-Jährige: «Ich liebe den Wettkampf, nicht nur im Tennis, sondern überall im Leben. Vielleicht liebe ich es mehr, zu kämpfen, als zu gewinnen.» Während seiner Pause bestritt er in Mallorca ein Golfturnier.
Wenn es nicht Pokale und Rekorde sind, die Nadal antreiben, was ist es dann? Es ist der Rausch des Adrenalins, das in engen Spielen durch den Körper schiesst. Wenn er sich mit den Besten der Welt messen kann, in den grössten Arenen der Welt. Momente, die ihm nur das Tennis geben kann.
Dafür ist Nadal bereit, einen hohen Preis zu bezahlen. Schmerzen sind seit Jahren ein ständiger Begleiter. Als er vor fünf Jahren gefragt wurde, ob er schmerzfrei sei, sagte er: «Was meinen Sie damit? Ich bin nicht verletzt, aber schmerzfrei? Das ist schon lange her.»
Im Fall von Nadal sogar sehr lange. Bereits 2005 war die Diagnose gestellt worden, die das Ende der Karriere hätte bedeuten können, noch bevor sie richtig begonnen hatte: Müller-Weiss-Syndrom heisst die degenerative Knochenkrankheit, an der Nadal leidet. Sie führt zu einer Deformation des Kahnbeins im Mittelfuss und verursacht Schmerzen, die Nadal mit Medikamenten bekämpft.
In Paris trieb er den Kampf gegen die Schmerzen auf die Spitze: Vor allen sieben Spielen liess er sich den Fuss von seinem mitgereisten Leibarzt Angel Ruiz-Cotorro ein Anästhetikum, vermutlich Xylocain, in den Fuss spritzen und ihn damit betäuben. Nach dem zweiten Spiel habe er nicht mehr gehen können, sagte Nadal später. Zehn Tage später stemmte er zum 14. Mal in seiner Karriere die Coupe des Mousquetaires in die Höhe.
Ist es heroisch oder dumm, dafür exzessiven Raubbau am eigenen Körper zu begehen? Sicher ist: Im Fall von Rafael Nadal hat es längst System.
Ende 2014 liess er sich zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen Stammzellen in den Rücken injizieren. Die körpereigenen Stammzellen sollten den Körper dabei unterstützen, beschädigten Knorpel wieder aufzubauen. In vielen Ländern war diese Behandlung damals verboten und bis heute umstritten. Zur Spritze griffen seine Ärzte auch, um eine Entzündung im Knie in den Griff zu bekommen. Eine Plasma-Injektion sollte den körpereigenen Heilungsmechanismus in Gang setzen. Was in der Theorie gut klingt, hat in der Praxis nicht immer die erhoffte Wirkung gezeitigt. «Beim ersten Mal hat es fantastisch funktioniert, beim zweiten Mal nicht. Ich musste für sieben Monate pausieren», sagte Nadal 2014.
In Paris machte er klar, dass er nicht mehr bereit sei, den Fuss regelmässig betäuben zu lassen, als er sagte: «Ich kann und will so nicht weitermachen. Ich brauche eine andere, eine bessere Lösung.» Sein Ärzte fanden sie in einer Radiofrequenz-Therapie. Dabei wurde unter örtlicher Betäubung eine Sonde zum Nerv geführt und dieser mit Radiowellen verödet. Er soll nun keine Schmerzsignale mehr ans Hirn übertragen.
Das Problem mit einer Operation zu beheben, schliesst er aus. Sie würde die Beweglichkeit des Fusses so stark einschränken, dass er wohl zurücktreten müsste.
Auf Schmerzmittel kann und will Nadal aber auch künftig nicht verzichten. Und er ist damit auch keine Ausnahme. «Oft habe ich schon vor dem Spiel ein Schmerzmittel eingenommen», sagte Andy Murray einmal, bevor er sich wegen eines Bandscheibenvorfalls operieren liess. Inzwischen spielt er mit einer künstlichen Hüfte. Der Franzose Richard Gasquet sagte: «Sie wären überrascht, wie viele entzündungshemmende Mittel ich nehme.» Und Stan Wawrinka kreierte einst das Bonmot: «Du musst Schmerzen akzeptieren. Wer zu den Besten gehören will, muss das Leiden fast schon geniessen.» Kurz darauf liess er sich wegen eines Knorpelschadens im Knie operieren. Schmerzen? Sind offenbar der Preis des Erfolgs.
Neu ist das nicht. Goran Ivanisevic, heute Trainer von Novak Djokovic und 2001 mit einer Wildcard Wimbledon-Sieger, sagte einst: «Damals warf ich Schmerzmittel wie Süssigkeiten ein. Wenn du die Chance hast, Wimbledon zu gewinnen, nimmst du alles. Wenn der Arzt gesagt hat, ich solle zwei Pillen nehmen, nahm ich fünf, so sehr habe ich den Schmerz gehasst.»
Ein Schritt, vor dem auch Rafael Nadal nicht zurückschrecken wird. Zum ersten Mal in seiner Karriere hat er die ersten zwei Grand-Slam-Turniere des Jahres gewonnen. Gleich alle vier innerhalb eines Kalenderjahres zu gewinnen, das haben bisher nur zwei Männer geschafft: Don Budge 1938 und Rod Laver 1962 und 1969. Nadal wäre der erste, dem dies auf drei verschiedenen Unterlagen (Hartplatz, Sand und Rasen) gelingt. (aargauerzeitung.ch)
Ich würde es ihm auf jeden Fall gönnen, sollte er dieses Jahr alle 4 gewinnen.
Ich mag auch, dass er nicht zu so einem Werbekasper verkommen ist oder für abgeranzte Produkte seinen guten Namen hergibt.