Aber die Schweizer Tennisprofis erwiesen sich am ersten Spieltag des Australian Open nicht als Marathonmänner. Stan Wawrinka, als grosser Favorit in die Partie gegen den Slowaken Alex Molcan (ATP 53) gestartet, verlor in 4:22 Stunden 7:6 (7:3), 3:6, 6:1, 6:7 (2:7), 4:6. Marc-Andrea Hüsler stand beim 7:6 (10:8), 5:7, 7:6 (7:2), 2:6, 3:6 gegen John Millman (ATP 140) ebenfalls 4:05 Stunden lang auf dem Platz.
«Was soll ich sagen?», meinte Stan Wawrinka, der Australian-Open-Sieger von 2014, hinterher frustriert. «Natürlich muss ich diese Partie gewinnen. Ich schlage bei 5:4 im vierten Satz zum Sieg auf. Vorher habe ich noch eine gute Chance, sogar 5:2 in Führung zu gehen. Aber irgendwie ist mir die Kontrolle über die Partie entglitten.»
Und plötzlich scheint sich alles ins Negative zu drehen. Die vierte Erstrunden-Niederlage in Serie Wawrinkas an Grand-Slam-Turnieren. Ist er mit fast 38 halt doch zu alt? 89 unerzwungene Fehler! Spielt «Stan the Man» doch nicht so gut, wie er es selber denkt?
«Ich wehre mich dagegen, jetzt alles schlecht zu reden», sagt Wawrinka. «Natürlich ist es frustrierend, dieses Startspiel zu verlieren, zumal der Gegner zwar gut gespielt hat, ich das Spiel aber in meinen Händen gehabt habe. Ich habe die Partie wohl mehr verloren, als er sie gewonnen hat.»
Aber Wawrinka sucht auch das Positive. Er liess sich im zweiten Satz am linken Knie behandeln, aber verletzt sei er sicher nicht. Es stimme ihn zuversichtlich, dass er fast viereinhalb Stunden lang ohne grössere Probleme spielen konnte. «Natürlich wurde ich am Ende müde – aber der (25-jährige) Gegner war das auch.»
Wawrinka macht sich Mut: «Ich habe in Brisbane (am United Cup) zwei hervorragende Spiele gemacht. Ich konnte die letzten Monate beschwerdefrei trainieren, so wie ich mir das vorstelle - ohne Einschränkungen, ohne Angst, wieder etwas zu verletzen.» Ohnehin tat er sich wieder mit seinem einstigen Erfolgs-Coach Magnus Norman zusammen, weil er – obwohl schon in Australien der älteste Spieler im Feld – sich noch ein, zwei Jahre Zeit geben will. Wawrinka: «Jetzt fehlt halt einfach die Belohnung. Es wäre schön gewesen, die Saison mit Siegen in Australien perfekt zu lancieren – so wie mir das in meiner Karriere ein paar Mal gelungen ist. Diese Initialzündung fehlt halt jetzt.»
Die nächste Chancen auf Siege und Weltranglistenpunkte bieten sich Wawrinka an Hallenturnieren in Marseille, Rotterdam und später in Indian Wells. Auch der Davis Cup Anfang Februar in Trier gegen Deutschland ist für Wawrinka noch ein Thema.
Auch der zweite Schweizer, Marc-Andrea Hüsler (ATP 51), trauerte vergebenen Chancen nach. Der 26-jährige Zürcher kontrollierte die Partie während der ersten drei Stunden. Auch Hüsler gewann wie Wawrinka die Sätze 1 und 3. Der Linkshänder gewann seine beiden Sätze im Tiebreak, wobei er im ersten sogar ein 0:5 noch in ein 10:8 verwandelte. Im zweiten Satz boten sich Hüsler Breakbälle zum 4:2 und ein Satzball zum 6:4.
«Wenn ich auch den zweiten Satz gewinne, da bin ich fest überzeugt, nimmt die Partie ein anderes Ende.» Letztlich nahm das Spiel aber das gleiche Ende wie schon Hüslers erste beiden Auftritte an Grand-Slam-Turnieren in Wimbledon (gegen Hugo Grenier) und Flushing Meadows (gegen Denis Shapovalov) – mit einer Niederlage in fünf Sätzen.
Nagen diese Fünfsatz-Niederlagen schon am Selbstvertrauen? «Im Hinterkopf bleibt sicher etwas hängen», so Hüsler. «Aber: Ich habe gegen Millman nicht viel falsch gemacht. Ich weiss gar nicht, was ich besser machen sollte. In Wimbledon gegen Grenier spielte ich gewiss nicht sehr gut. Aber am US Open und jetzt in Melbourne scheiterte ich an starken Gegnern, obwohl ich die Leistung ablieferte, die ich von mir erwartete.»
Wichtig für Hüsler ist, dass er auch gegen John Millman trotz der Niederlage viel stärker und besser spielte als noch vor einem Jahr in Australien (als er in der Qualifikation scheiterte). Und Hüsler erzählt die Geschichte des Argentiniers Francisco Cerundolo, der schon ein Top-30-Spieler ist und bis am Montag nie an einem Grand-Slam-Turnier die 2. Runde erreichte. Hüsler: «Heute hat es Cerundolo (gegen Guido Pella) endlich geschafft. Und vielleicht überstehe ich ja in Paris vier Runden – dann trauert niemand mehr dieser Niederlage hinterher.»
So sorgte Jil Teichmann für den einzigen Schweizer Sieg am ersten Tag. Auch die Linkshänderin (WTA 33) tat sich beim 7:5, 6:1 über Harriet Dart (WTA 96) schwer. «Aber das kam nicht unerwartet», so Teichmann, «mir war klar, dass die Partie äusserst kompliziert wird.»
Die ersten fünf Games dauerten 35 Minuten lang. Zuerst führte Teichmann 2:0, später lag sie 2:4 zurück. Das fünfte Spiel führte über 24 Punkte. Teichmann vergab fünf Spielbälle; Dart nützte ihren fünften Breakball. «24 Punkte? Das ist verdammt viel. Ich weiss nicht, ob ich schon jemals ein so langes Game gespielt habe.» Nach dem Ausgleich zum 4:4 spürte die 25-jährige Schweizerin, dass sie besser ins Spiel kommt. Ihr Gefühl täuschte sie nicht: «Ab dem Moment gewann sie nur noch zwei von elf Games.»
In der 2. Runde trifft Teichmann auf die 29-jährige Chinesin Zhu Lin, die Nummer 87 der Welt. Teichmann: «Sie spielt wie alle Chinesinnen – schnell und flach.» (ram/sda)