Belinda Bencic ist Olympiasiegerin, war die Nummer vier der Welt, hat fünf Turniere gewonnen und gehört seit 2014 zur Weltspitze im Frauentennis, nachdem sie bei den US Open 17-jährig die Viertelfinals erreicht hatte. Die inzwischen 25-Jährige durchlebte Höhen und Tiefen, mit Verletzungen, mit Zweifeln und der Ablösung vom Elternhaus und von Vater Ivan als Trainer.
Bei den vier Grand-Slam-Turnieren tritt Bencic mit dem Anspruch an, sie zu gewinnen – besonders bei den US Open, wo sie sich besonders wohlfühlt, 2019 den Halbfinal erreicht hatte, 2021 den Viertelfinal und dabei beide Male an der späteren Siegerin gescheitert war: vor drei Jahren an Bianca Andreescu, vor einem Jahr an Emma Raducanu. Diese Namen stehen stellvertretend für die letzten Jahre im Frauentennis, in dem es Grand-Slam-Siegerinnen gab, die kaum jemand auf der Rechnung gehabt hatte. Zu ihnen gehören auch Sofia Kenin oder Jelena Ostapenko.
Sie alle konnten ihre Erfolge nie bestätigen, doch sie haben etwas erreicht, das Belinda Bencic bisher verwehrt blieb. Während der US Open sagte sie den Tamedia-Zeitungen: «Ich will ein Grand-Slam-Turnier gewinnen, und zwar unbedingt. Es ist ein riesiges Ziel, seit ich klein bin.»
Sie habe es auf dem Platz manchmal zu sehr erzwingen wollen. Doch sie versprach auch: «Ich werde es schaffen, bevor ich das Racket weglege. Ich habe noch Zeit.»
Es gibt zwei Sichtweisen. Angesichts der Qualitäten Bencics wäre es mit Blick auf frühere Siegerinnen ein Hohn, sollte ihr das nicht gelingen. Doch die Resultate sprechen eine ganz andere Sprache. Zweite Runde bei den Australian Open, dritte Runde bei den French Open, Niederlage in der Startrunde in Wimbledon und nun Aus in der dritten Runde der US Open. Eine bescheidene Bilanz, sagt auch Bencic. «Dieses Jahr war nicht gut bei den Grand-Slam-Turnieren und das tut weh. Hoffentlich wird es besser.»
Woran es liegt, was sie verbessern muss, kann sie – verständlicherweise – kurz nach dem Ausscheiden nicht beantworten. Gegen Karolina Pliskova, eine frühere Nummer eins und Finalistin bei den US Open und in Wimbledon, lag Bencic mit einem Satz und Break in Führung, verlor am Ende aber mit 7:5, 4:6, 3:6.
Sie habe sich nie richtig entspannen können, sagte Bencic. «In vielen Momenten bin ich mental stark, in vielen megaschwach. Ich arbeite schon die ganze Karriere daran. Aber es scheint nicht wirklich zu helfen. Es ist ein ewiges Auf und Ab», sagte sie zum Schweizer Fernsehen.
Schon in Paris hatte sie einen sicher geglaubten Sieg noch aus der Hand gegeben und danach mit den Tränen zu kämpfen. Das zeigt, wie sehr sie sich unter Druck setzt. Wie sehr sie den Grand-Slam-Sieg von sich selber erwartet. Doch die Realität ist eine andere: Bencic gehört zur erweiterten Weltspitze, eine Nummer eins ist sie nicht und wird sie wohl auch nicht mehr werden. Sie kann ein solches Turnier zwar gewinnen, es von sich selbst zu erwarten, geht aber zu weit. Den Nachweis, über zwei Wochen hinweg die Beste sein zu können, hat sie nur einmal erbracht: 2019 in New York.
Der Olympiasieg ist ein emotionaler und sportlicher Höhepunkt, der ihre Karriere definiert. Mit einem Grand-Slam-Turnier ist er gleichwohl nicht zu vergleichen. Bencic gewann dort sechs Spiele innert einer Woche. Bei einem Major-Turnier braucht es noch einen Erfolg mehr, verteilt über zwei Wochen. Das soll den Erfolg in Tokio in keiner Weise marginalisieren.
Im Tokioter Goldrausch – wie auch in den Wochen und Monaten danach – hatte Belinda Bencic wie ein Mantra wiederholt, dass sie nun niemandem mehr etwas zu beweisen habe. Dass alles, was in ihrer Karriere nun noch folge, ein Bonus sei. Sie beschwor die Unbeschwertheit und Gelassenheit, die ihr der Olympiasieg gebe, und verlieh der Hoffnung Ausdruck, dadurch endlich auch bei einem Grand-Slam-Turnier reüssieren zu können.
Ob Bencic die besagte Unbeschwertheit damals erhofft oder tatsächlich so empfunden hat, ist inzwischen nicht mehr von Belang. Sie ist schon lange der Erkenntnis gewichen, dass der Olympiasieg die Ausnahme bleibt. Und das frühzeitige Scheitern bei Grand-Slam-Turnieren die Regel. (aargauerzeitung.ch)