Nur einmal in den letzten 18 Jahren hat Novak Djokovic vor den French Open kein Turnier gewonnen, das war 2018. Nun reiste der Titelverteidiger ohne eine einzige Finalteilnahme nach Paris. Nachdem er auch in Genf im Halbfinal gescheitert war, sagte der 37-Jährige: «Natürlich bin ich besorgt.»
Erschwerend kam hinzu, dass Djokovic in Genf auch noch mit Magenproblemen zu kämpfen hatte und kaum Schlaf fand. Beim Seitenwechsel zitterte die rechte Hand des Serben.
Doch schon davor offenbarte er ungewohnte Schwächen. Besonders alarmierend war, dass er beim 2:6, 3:6 in Rom gegen den Chilenen Alejandro Tabilo den Eindruck erweckte, sich gar nicht gegen die drohende Niederlage aufzulehnen. Danach sagte er: «Zwar ist in mir noch immer der vier Jahre alte Novak, der diesen Sport liebt und hungrig nach mehr ist. Gleichzeitig bin ich Vater und Ehemann und manchmal sage ich mir: Komm schon, es gibt noch andere Dinge im Leben.»
Zwar sei er dankbar für das Leben, das er führe, aber manchmal fehle ihm morgens die Motivation und die Lust, zu verreisen, «weil ich lieber zuhause wäre und ein normales Leben führen würde», sagte Djokovic.
Der dreifache French-Open-Sieger hat das schwächste Halbjahr seiner Karriere hinter sich. Bei den Australian Open war er im Halbfinal am Italiener Jannik Sinner gescheitert. Nach dem Sunshine Double in Indian Wells und Miami trennte er sich von Trainer Goran Ivanisevic. Mit dem Kroaten an seiner Seite hatte er 9 seiner 24 Grand-Slam-Titel gewonnen.
Ivanisevic sagte danach zu CH Media: «Novak hatte genug von mir. Und ich hatte genug von ihm.» Dass er in diesem Jahr schlecht gespielt habe, sei kein Grund zur Panik. Wenn Djokovic im Kopf bereit und motiviert sei, werde er in Paris triumphieren. Nur: Beides scheint nicht der Fall zu sein.
Djokovic will noch immer überall gewinnen, wo er antritt. Doch die Frage, wie lange seine Dominanz noch anhält, drängt sich immer mehr auf. Zwar begann er am Montag seine 420. Woche an der Spitze der Weltrangliste; Roger Federers einstigen Rekord von 310 Wochen hat er pulverisiert.
Doch bereits nach den French Open könnte er von Jannik Sinner abgelöst werden. Dann nämlich, wenn Djokovic den Final verpasst. Erreicht er diesen, muss Sinner den Halbfinal erreichen. Und wenn Djokovic zum vierten Mal die Coupe des Mousquetaires gewinnen sollte, bleibt er nur dann an der Spitze, wenn sein Finalgegner nicht Sinner heisst.
Angesprochen auf seine enttäuschenden letzten Monate, sagt Djokovic vor seinem ersten Einsatz: «Ich schaue momentan nur von Tag zu Tag. Oder sagen wir es so: Ich habe tiefe Erwartungen, aber grosse Hoffnungen.»
Seine Ziele aber, die bleiben unverändert: «Für viele mag das arrogant klingen und es ist mir fast peinlich, das zu sagen. Aber alles andere als der Turniersieg wäre nicht befriedigend für mich. Das war schon immer so.» Einer der Gründe, weshalb er noch immer Tennis spiele, sei, dass er Geschichte schreiben wolle. Bei den Grand-Slam-Turnieren, hier in Paris.
Er wisse, wozu er fähig sei, sagte Djokovic und fügte an: «Seit Monaten sage ich, dass ich hier in Paris in Bestform sein will. Ich kenne meine Qualitäten. Ich weiss, wozu ich fähig bin.» Schliesslich sei er 24 Mal als Sieger von einem Grand-Slam-Turnier abgereist. «Ich weiss ganz genau, was ich zu tun habe.
Als gesichert gilt, dass Djokovic nicht nur auf dem Tennisplatz, sondern wohl auch im Privatleben komplizierte Monate hinter sich hat. Darauf angesprochen, sagte der Serbe: «Es sind viele Dinge passiert, aber ich will nicht ins Detail gehen. Ich will die Büchse der Pandora nicht öffnen.»
Anfang Mai trennte sich Djokovic von Fitnesscoach Marco Panichi. Ersetzt wurde der Italiener durch den Österreicher Gebhard Gritsch, der schon zwischen 2009 und 2017 sowie 2018 und 2019 mit Djokovic arbeitete. Nur die beiden Physiotherapeuten Miljan Amanovic und Claudio Zimagila hat Novak Djokovic in den letzten Monaten (noch) nicht ausgetauscht.
Darunter fällt auch der Umbruch in Djokovics Umfeld. Wer Ivanisevic als Trainer beerbt, ist noch offen. Wie schon zuvor begleitet der frühere serbische Doppel-Spezialist Nenad Zimonjic ihn an Turniere. Es war die grösste, vielleicht wichtigste Stellschraube, an der Djokovic in den letzten Monaten drehte, nicht aber die einzige. Letzten Herbst trennte er sich von seinen Agenten Edoardo Artaldi und Elena Cappellaro aus Italien.
Djokovic bekämpft damit auch ein «Gefühl der Müdigkeit und Sättigung», das Ex-Trainer Goran Ivanisevic bei ihm ausgemacht hatte. Doch Grand-Slam-Turniere, das machte Djokovic in Paris klar, seien eine ganz andere Angelegenheit. Hier habe er ein anderes Gefühl: Welches? Erfolgshunger.
Wenn Nole (gleich wie Rafa) Woche 1 übersteht, wird er automatisch zu einem der Topfavoriten. Sein Spiel ist weiterhin Weltklasse, auch wenn die Konstanz im Moment fehlt.