Die Wucht dieser Szene steckt schon in dem Titel der französischen Gazetten vom nächsten Tag: «Le Dunk De La Mort».
Der «Dunk des Todes» geschieht während der Olympischen Spiele 2000 im Spiel der USA gegen Frankreich. Vince Carter hat sich den missratenen Pass eines Gegners geschnappt und rennt nun auf den Korb zu – und auf den 2,18 m grossen Frédéric Weis, der zwischen Carter und dem Korb steht. Der NBA-Star prellt zweimal, springt trotz des kurzen Anlaufs über den französischen Hünen und stopft den Ball durch die Reuse.
«Er ist nicht gesprungen, sondern geflogen», sagt Weis Jahre später zu ESPN. Noch immer gilt die Aktion als einer der besten Dunks der Geschichte in einer Partie. Die USA setzten sich im Gruppenspiel 106:94 durch und schnappten sich später zum dritten Mal in Serie die Goldmedaille. Im Final wurde Frankreich erneut bezwungen, dieses Mal 85:75. Vom olympischen Basketballturnier in Sydney bleibt aber vor allem dieser eine Moment.
Die Szene wird die Erinnerung an beide Basketball-Profis noch lange prägen – vor allem in Bezug auf Frédéric Weis. Denn während Carter 22 Jahre in der NBA verbringt und mehrfach zum All-Star gewählt wird, spielt Weis nie in der besten Liga der Welt. Zwar gewinnt er neben der olympischen Silbermedaille auch EM-Bronze, feiert auf Vereinsebene aber keine grossen Erfolge. «Für viele Leute bin ich einfach der Typ, über den Vince Carter gedunkt hat», so Weis.
Dabei wäre er ein Jahr bevor er Opfer dieses «Todesdunks» wurde, fast in der NBA gelandet. Die New York Knicks wählten den damals 22-Jährigen im Draft 1999 an 15. Stelle aus. Die Fans reagierten mit lauten Buhrufen, Trainer Jeff van Gundy war über den Entscheid der Verantwortlichen ebenfalls nicht erfreut und zeigte Weis die kalte Schulter.
Dennoch lag es vor allem am Anraten seines Agenten, der als Mitbesitzer von Weis' Team in Frankreich wohl auch ein persönliches Motiv verfolgte, dass der Center ein weiteres Jahr in der Heimat blieb. Ein Entscheid, den Weis später bereute. Zumal er auch im Jahr darauf nicht nach New York ging, weil er das Interesse von dort nicht spürte. Sein Agent musste im Jahr 2003 aufgrund finanzieller Unregelmässigkeiten und Interessenskonflikten ins Gefängnis.
Obwohl Weis lange über den Dunk und die NBA nachdachte und ihn die Frage «Was wäre, wenn?» plagte, war der Grund für seine späteren Depressionen ein anderer. «Was mich zerstört hat, war mein Privatleben, nicht Basketball», erzählt Weis.
Als seinem 2002 geborenen Sohn Enzo Autismus diagnostiziert wurde, ruinierte das den Vater, der sich dafür schuldig fühlte. Der Arzt hatte ihm gesagt, dass seine Genetik die Krankheit mitverursacht habe. «Das hat mich zerstört», so Weis. Er kam mit dem Schicksal seines Sohnes nicht zurecht und begann, viel Alkohol zu trinken, schlug sich auf der Strasse und verlor viele Freunde. Er und seine Partnerin trennten sich deshalb. Weis' Depressionen wurden so schlimm, dass er sich gar umbringen wollte. Der Versuch missglückte. «Es war das grösste Glück meines Lebens», wird Weis später sagen.
Denn es war der Wendepunkt in seinem Leben. In der Folge hörte er auf zu trinken, fand eine neue Frau, mit der er ebenfalls eine Familie gegründet hat. Auch zu Sohn Enzo hat er ein sehr gutes Verhältnis und verbringt viel Zeit mit ihm. Mittlerweile ist Frédéric Weis stolz auf seine Karriere, für Frankreich gespielt zu haben und vor allem auf seine Familie. «Ich habe alle schlechten Dinge vergessen. Ich bin glücklich. Das Leben ist gut», sagt Weis.
Ausserdem hat er die Freude am Basketball wieder gefunden, wurde Kommentator. Über den Dunk von Vince Carter kann er mittlerweile lachen. «Ich habe meine Augen zugemacht, als er über mich gesprungen ist», erzählt er. Erst habe er gedacht, dass es keine grosse Sache wäre, «als ich dann die Wiederholung gesehen habe, wusste ich: Okay, es ist wohl doch ein grosses Ding.»
Dabei war es gar nicht Carters Absicht, über Weis zu springen: «Ich hätte nie gedacht, dass ich über einen Menschen springen könnte.» Wie gross Weis wirklich war, sei ihm nicht bewusst gewesen, erklärt der 1,98-m-Mann und fügt an: «Hätte ich es gewusst, wäre ich wohl nicht gesprungen.»
Auch an Carter blieb diese Szene irgendwie immer hängen. Obwohl er ein herausragender Basketballer war, erinnern sich die Leute fast ausschliesslich an seine athletischen Fähigkeiten und seine grossartigen Dunks. Spitznamen wie «Air Canada» – seine besten Jahre verbrachte er in Toronto – oder «The Flying Man» verdeutlichen dies.
Ein grosses Ärgernis dürfte das für das Hall-of-Fame-Mitglied aber nicht sein. Schliesslich gibt es schlimmere Titel als der beste Dunker in der Geschichte dieser von Superathleten geprägten Liga zu sein.