Mit Chris Froome, Alberto Contador und Vincenzo Nibali sind die drei aktuell wohl stärksten Anwärter auf den Sieg in einer dreiwöchigen Rundfahrt die grossen Abwesenden beim Giro-Auftakt in Nordirland.
Ohne dieses hochkarätige Trio, welches heuer alles dem Gesamtsieg an der Tour de France (ab 5. Juli) unterordnet, präsentiert sich die Ausgangslage der nach 3450 km am 1. Juni in Triest zu Ende gehenden Rundfahrt als verhältnismässig offen.
Der Kolumbianer Nairo Quintana wird aufgrund seiner Leistungen an der letztjährigen Tour de France, wo er als Debütant hinter Froome gleich Zweiter geworden war, von vielen Experten gar als der Topfavorit bezeichnet. Der 24-Jährige vom stark besetzten (spanischen) Movistar-Team will für den erst zweiten grossen Rundfahrten-Erfolg eines Kolumbianers sorgen (nach Luis «Lucho» Herrera an der Vuelta 1987).
Mit dem Olympia-Zweiten Rigoberto Uran figuriert ein zweiter Kolumbianer unter den Siegeskandidaten. 2013 klassierte sich der 27-Jährige hinter Dominator Nibali als Zweiter. Nach seinem Wechsel zu Omega-Quickstep verfügt Uran womöglich aber nicht über die nötige Team-Unterstützung.
Joaquim Rodriguez hat zwar noch nie eine grosse Rundfahrt gewonnen. Doch der 34-jährige Spanier vom russischen Team Katjuscha erreichte in fünf der letzten sechs Vueltas einen Top-7-Gesamtrang, 2012 und 2010 stand er auf dem Podest.
Den Giro-Sieg vor zwei Jahren vergab er erst im Einzelzeitfahren am letzten Tag. Am Ende triumphierte damals in Mailand der Kanadier Ryder Hesjedal mit nur 16 Sekunden Vorsprung. Am wertvollsten einzuschätzen ist wohl Rodriguez' dritter Gesamtrang an der letztjährigen Jubiläums-Tour.
Nicht gänzlich abschreiben darf man Cadel Evans. Vor allem bergauf zählt der 37-jährige Australier nicht mehr zu den Besten und er wird Mühe haben, explosiven Fahrern wie Quintana oder Rodriguez folgen zu können. Evans wird im amerikanisch-schweizerischen BMC-Team von Steve Morabito und Danilo Wyss unterstützt.
Morabito war auch einer der Helfer, als Evans 2011 als erster Australier überhaupt die Tour de France gewann. Wyss war letztes Jahr dabei, als der Strassen-Weltmeister von 2009 als Dritter neben Nibali und Uran auf dem Giro-Podest stand.
Von Domenico Pozzovivo ist aus einheimischer Sicht im Kampf um die Maglia rosa am meisten zu erwarten. Der Italiener zeigte sich zuletzt bei Lüttich-Bastogne-Lüttich in hervorragender Form. Doch Pozzovivo muss in den Zeitfahren und in der Fläche den Zeitverlust begrenzen, nur so kann der letztjährige Giro-Zehnte in der schwierigen letzten Woche zu einem ernstzunehmenden Faktor werden.
Die Entscheidung im diesjährigen Giro fällt mit Sicherheit erst in der dritten Woche und damit in den Alpen. Ab der 16. Etappe (Dienstag, 27. Mai), die über den Gavia-Pass und das Stilfser-Joch (2758 m) ins Martelltal führt, «jagen» sich die Schwierigkeiten und es sind auf den extrem langen, aber teils auch enorm steilen Anstiegen in erster Linie Kletterkünste gefragt.
Der Schlussanstieg der 18. Etappe endet bei der Panarotta-Hütte im Valsugana und zwei Tage später erfolgt nach zwei Pässen die Bergankunft auf dem Monte Zoncolan. Dazwischen steht am Freitag ein Bergzeitfahren über 26,8 km in Bassano del Grappa auf dem Programm.
Höchstens Aussenseiterrollen nehmen die früheren Giro-Gesamtsieger ein. Neben Hesjedal sind dies die Italiener Michele Scarponi - 2011 nachträglicher Sieger nach der dopingbedingten Disqualifikation von Contador -, Ivan Basso (2010/2006) und Damiano Cunego (2004). (si)