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Wie ein neues Gadget über den Sieg bei Paris–Roubaix entscheiden kann

Kopfsteinpflaster im sagenumwobenen Wald von Arenberg.Bild: www.imago-images.de

Wie ein neues Gadget über den Sieg bei Paris–Roubaix entscheiden kann

Am Sonntag steht eines jener Rennen an, die sich jeder Velo-Fan auf dem Kalender dick angestrichen hat: Paris–Roubaix der Männer. Das schreckliche Geholper über Kopfsteinpflaster könnte für einige Fahrer etwas angenehmer werden. Zwei Teams setzen auf eine neue technische Hilfe.
07.04.2023, 17:1808.04.2023, 13:47
Ralf Meile
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Paris–Roubaix. Zwei Städte, zwei Worte, die in dieser Kombination ein Mythos sind. 256,6 Kilometer müssen die teilnehmenden Radprofis bei der diesjährigen Austragung durch «die Hölle des Nordens» zurücklegen, ehe sie im Vélodrome André-Pétrieux in Roubaix vom Sattel steigen und sich unter eine der in der Szene berühmten Duschen der Radrennbahn begeben dürfen.

Rund ein Fünftel der Strecke, exakt 54,5 Kilometer, besteht aus Kopfsteinpflaster von manchmal fragwürdiger Beschaffenheit. Die Unterlage hat in mythischen Passagen wie dem Wald von Arenberg oder dem Carrefour de l'Arbre nichts mit den schön verlegten «Bsetzisteinen» zu tun, wie man sie auf Schweizer Dorfplätzen findet. Auf den Feldwegen im Norden Frankreichs sind die Lücken zwischen den Steinen manchmal so gross, dass der Weg mehr aus Lücken als aus Steinen zu bestehen scheint.

Auf Wegen wie diesen ist es von Vorteil, Pneus mit relativ wenig Luft drin zu fahren. So können Schläge besser absorbiert werden. Andererseits werden trotzdem noch 200 Kilometer auf Strassen absolviert, wo mehr Luft in den Pneus bevorzugt wird. Deshalb müssen die Teams einen Kompromiss eingehen, wenn die Mechaniker am Morgen des Rennens die Reifen pumpen.

Bildnummer: 02779342 Datum: 15.04.2007 Copyright: imago/PanoramiC
Teilnehmer des Rennens Paris Roubaix unter der Dusche - PUBLICATIONxNOTxINxITAxFRA (pan19853); Vdig, quer, hinten, R
Endlich im Ziel: Teilnehmer waschen sich nach Paris–Roubaix den Dreck vom Leib.bild: imago-images.de

Reifen pumpen bei voller Fahrt

Bei zwei Equipen könnte sich dieses Problem in diesem Jahr aber nicht stellen. Jumbo-Visma und das Team DSM haben zuletzt Systeme getestet, die den Fahrern ermöglichen, während des Rennens den Reifendruck zu verändern. Eine Revolution.

Und mit Jumbo-Visma um den belgischen Teamleader Wout van Aert hat das Produkt ausgerechnet jenes Team, das die Klassiker in diesem Frühjahr dominiert hat. Mit dem KAPS-System von Hersteller Gravaa kann mittels Knopfdruck am Lenker während der Fahrt Luft abgelassen oder wieder in den Reifen gepumpt werden. Kontrolliert wird die Befüllung mit einem Blick auf den Velocomputer, der den Reifendruck anzeigt.

So funktioniert KAPS.Video: YouTube/Gravaa

Der Clou des Ganzen ist eine kleine Membranpumpe, die in die Nabe von Vorder- und Hinterrad eingebaut ist. Betrieben wird diese Pumpe mittels einer Nockenwelle dadurch, dass sich die Räder drehen. Gravaa sagt, für 14,5 psi (1 bar) benötige es eine Fahrt von einem Kilometer.

Versprechen eines Leistungsvorteils

Entwickelt wurde das System ursprünglich für in Belgien populäre Sand-Rennen. Da ist die Unterlage mal fest, mal weich, jedenfalls ist sie häufig unterschiedlich. So wie bei Paris– Roubaix.

Der Gewichtsnachteil von jeweils rund 250 Gramm pro Nabe werde durch die Funktion mehr als aufgewogen, behauptet der Hersteller. Dank jederzeit richtigem Reifendruck spare man viel Kraft. Nach Tests auf der Originalstrecke ermittelte Gravaa nach eigenen Angaben, dass das System für das gesamte Rennen den enormen Leistungsvorteil von 20 Watt bringen soll.

Laut dem belgisch-niederländischen Portal wielerflits soll Dylan van Baarle, der Paris–Roubaix im Vorjahr gewonnen hat, das System seit einiger Zeit im Training testen. Er sei sehr zufrieden damit. Sein Jumbo-Visma-Teamkollege Edoardo Affini bestritt in der vergangenen Woche das Rennen Dwars door Vlaanderen damit. Das Team DSM setzt mit Scope Atmoz auf ein ähnliches Produkt.

Van Aert lässt sich nicht in die Karten blicken

Der Weltverband UCI hatte die Fabrikate bereits im vergangenen Jahr zugelassen. Welche Fahrer am Sonntag auf das neue System setzen werden, ist noch offen. Entscheiden werden sie nach den Eindrücken von Trainings auf der Strecke.

Superstar Wout van Aert lobte die Innovation. Der 28-Jährige wollte jedoch nicht verraten, ob er KAPS im Rennen einsetzen wird. «Ich denke, es kann ein grosser Vorteil sein», meinte van Aert nach einer Besichtigungsfahrt am Donnerstag, «aber wir wollen nicht schon alle Geheimnisse verraten». Dafür legte er offen, dass er wie schon bei Mailand – Sanremo mit nur einem Kettenblatt (mit 54 Zähnen) antreten wird.

Belgian Wout van Aert of Team Jumbo-Visma pictured in action during the reconnaissance of the track ahead of this year s Paris-Roubaix cycling race, Thursday 06 April 2023, around Roubaix, France. The ...
Im Training am Donnerstag verzichtete Wout van Aert auf das neue System.Bild: www.imago-images.de

Gegen ein wenig Unterstützung durch die Technik hätte der Belgier wohl nicht viel. Der Sturz an der Flandern-Rundfahrt habe doch mehr Auswirkungen gehabt, als er zunächst gedacht habe, sagte van Aert. Er habe Probleme mit dem Knie und den Rippen. «Ich fühle mich leider nicht grossartig. Aber meine Kondition ist gut und ich hoffe, ich bin bereit für das Finale.» Meteorologen sagen für Sonntag übrigens trockenes Wetter voraus.

IMAGO / Panoramic International

ROUBAIX, FRANCE - APRIL 6 : Maarten Wynants testing automatic pressure for the tubes during a training session prior to the Paris-Roubaix 2023 cycling race on April 06 ...
Maarten Wynants richtet das System vor der Streckenbesichtigung ein.Bild: imago/panoramic
In der Favoritenrolle
Wout van Aert und Mathieu van der Poel sind am Start, und wenn sie das sind, sind sie in der Regel die Topfavoriten. Bei Paris–Roubaix ist das nicht anders. Van Aert wird etwas mehr zugetraut, aber van der Poel hinterliess am Sonntag bei der Flandern-Rundfahrt den besseren Eindruck. Als aussichtsreich gelten zudem der Vorjahressieger Dylan van Baarle, Ex-Weltmeister Mads Pedersen, Zeitfahr-Ass Filippo Ganna – und Stefan Küng. Der Schweizer wurde im Vorjahr Dritter und zeigte sich zuletzt in guter Verfassung.

Im Rennen der Frauen führt der Sieg über das Team SD Worx, das auf die Schweizerin Marlen Reusser verzichtet. Topfavoritin ist Lotte Kopecky, vor wenigen Tagen Solosiegerin der Flandern-Rundfahrt. Als schärfste Rivalin könnte sich Titelverteidigerin Elisa Longo Borghini herausstellen.
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Das Kopfsteinpflaster ist bereit: Staubige Bilder des Velo-Klassikers Paris – Roubaix
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Das Kopfsteinpflaster ist bereit: Staubige Bilder des Velo-Klassikers Paris – Roubaix
«Die Hölle des Nordens» – Paris-Roubaix gilt als der spektakulärste Klassiker.
quelle: ap / michel spingler
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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Maurmer
07.04.2023 18:13registriert Juni 2021
„Gewichtsnachteil von jeweils rund 250 Gramm pro Nabe werde durch die Funktion mehr als aufgewogen“

Da die UCI das Gewicht der Fahrräder auf mindestens 6.8 kg festgelegt hat und moderne Räder bei „unbegrenztem“ Budget problemlos unter 6.3 kg kommen ist das keinerlei Nachteil. Es wird einfach kein Ballast am Rad montiert…
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Liebu
07.04.2023 20:04registriert Oktober 2020
Ob man damit auch einen „Schleicher“ Unter Kontrolle halten kann?
Je nachdem wie schlimm er ist könnte das gehen, wenigstens bis eine gute Möglichkeit zum Radwechsel kommt.
Bin gespannt auf das Rennen. Das Wetter soll ja gut werden.
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N. Y. P.
07.04.2023 17:55registriert August 2018
In ein bis zwei Jahren haben alle Manschaften dieses Gätschäd.

Ich freue mich wie ein Saugoof auf den Sonntag. Am morgen werde ich noch 3 Stunden trainieren, am Nachmittag mir die Hölle zu Gemüte führen.

Bei den Frauen tippe ich auf unsere Marlene Reusser. Soloankunft mit rund 50 Sekunden Vorsprung. Sie rollt unglaublich effizient und ästhetisch über die Strasse..
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