Der Sonntag war ein doppelter Schweizer Jubeltag. Marc Hirschi gewann sein drittes Rennen in Folge. Und Stefan Küng durfte erstmals einen Etappensieg an einer der drei grossen Rundfahrten feiern. «Endlich, es hat lange gedauert. Ich bin so glücklich», freute sich Küng. Knapp zwei Wochen vor dem Start zur Heim-WM in Zürich sind die beiden Stars ebenso in Form wie Mauro Schmid.
30 Jahre alt musste der Thurgauer werden, um eine Etappe einer Grand Tour gewinnen zu können. Küngs Qualitäten als Zeitfahrer sind seit Jahren unbestritten, er ist auch ein starker Roller in Fluchtgruppen und stark in den Frühlingsklassikern.
Doch am berühmten Tag X ging es ihm zu selten auf. Fast immer war einer noch einen Tick schneller, oder dann kam Küng ein Sturz oder die Gesundheit dazwischen. Sinnbild seines Rufs als Pechvogel war der vierte Platz im Olympia-Zeitfahren 2021 in Tokio, dort fehlten Küng nach 44 Kilometern bloss vier Zehntelsekunden zu einer Medaille.
Von den Olympischen Spiele in diesem Sommer in Paris kehrte Stefan Küng mit zwei Diplomen und zwiespältigen Eindrücken zurück. Er kam im Zeitfahren, geschwächt von einer Krankheit und den Strapazen der Tour de France, nicht nach Wunsch durch. Mumm gab ihm danach der 7. Platz im harten Strassenrennen. «Ich war vor der Tour de Suisse, während der Tour de France und bei den Olympischen Spielen krank. Ich wollte einfach wieder ein gutes Gefühl haben und das ist mir bei der Vuelta gelungen.»
Küng besprach sich mit seinem Team Groupama-FDJ und reiste nach Olympia erstmals an die Spanien-Rundfahrt. Dort wollte er sich für die letzten Monate der Saison in Form bringen – und das ist ihm gelungen. Mehrmals zeigte er sich aktiv im Kampf um einen Tagessieg und am letzten Tag ging endlich alles auf. Zum Abschluss der Vuelta triumphierte Stefan Küng im Zeitfahren, dem Gesamtsieger Primoz Roglic auf Platz 2 knüpfte er eine halbe Minute ab. «Ich wollte diesen Sieg unbedingt», sagte er, «ich bin ihm lange genug hinterhergefahren».
Die grossen Investitionen in ein neues Zeitfahrvelo zahlten sich erstmals aus. Und es soll in diesem Stil weitergehen: Bevor Küng am 22. September zum WM-Zeitfahren startet, bestreitet er übermorgen Mittwoch das Zeitfahren an der EM im belgischen Zolder. Der Erfolg in Madrid könnte ihm Flügel verleihen. «Je fitter man ist, desto weniger leidet man im Rennen und desto frischer ist man beim Zeitfahren am letzten Tag», hielt Stefan Küng fest. An der WM hat er zum einen das Zeitfahren im Visier, bestimmt aber auch das Strassenrennen.
1, 1, 1. Die letzten drei Rennen, zu denen Marc Hirschi antrat, gewann er alle. Nach der renommierten Clasica San Sebastian im Baskenland und der Bretagne Classic siegte er am Sonntag solo beim GP Industria & Artigianato in Italien. Vor den Olympischen Spielen hatte der Berner schon die Tschechien-Rundfahrt für sich entschieden. Oft, womöglich zu oft für seinen Geschmack, musste Hirschi auf solchen Bühnen, den nicht ganz grossen, auftreten. Beim Team UAE-Emirates stand er im Schatten von Superstar Tadej Pogacar.
Auf die nächste Saison hin wechselt der 26-Jährige nun zur Schweizer Equipe Tudor. Und das Team um Fabian Cancellara könnte, mit dem nötigen Wettkampfglück in Zürich, den Träger des Regenbogentrikots verpflichtet haben. Denn bei Hirschi stimmt nicht nur die Form, auch die WM-Strecke dürfte ihm liegen. Mit 274 Kilometern und knapp 4500 Höhenmetern wartet ein hartes Rennen auf die Fahrer. «Ich werde mich nun auf die Weltmeisterschaft konzentrieren», kündigte Marc Hirschi an. «Es war bisher eine fantastische Saison und ich hoffe, dass wir sie ebenso erfolgreich beenden können.»
Im Schatten von Stefan Küngs Sieg zeigte in Madrid auch Mauro Schmid im Vuelta-Abschlusszeitfahren eine sehr starke Leistung. Der Zürcher belegte Rang 5.
Schmid, der 24-jährige amtierende Schweizer Meister, unterstrich damit, dass sein Formaufbau hinsichtlich der WM vor der Haustür stimmt. Zuvor fuhr er an der Spanien-Rundfahrt zwei Mal als Zweiter knapp an einem Tagessieg vorbei.
Wie Hirschi ist auch Schmid einer, dem die WM-Strecke liegen könnte. Und vielleicht schlägt das Pendel dann auf seine Seite aus, nachdem er in Spanien knapp anderen den Vortritt lassen musste. Mit Schmid und Küng hält das Schweizer Team, bei dem Hirschi wohl der Kapitän sein wird, jedenfalls zwei starke Karten in der Hand, wenn es gegen die Topfavoriten Pogacar (Giro- und Tour-Sieger), Remco Evenepoel (Olympiasieger) und Mathieu van der Poel (Titelverteidiger) geht.