Superlative werden im Sport gerne bemüht. Aber oft ist es auch schwierig, an ihnen vorbeizukommen. Was Marco Odermatt in Wengen und Cyprien Sarrazin in Kitzbühel zeigten, ist schwer fassbar. Oder eben: phänomenal.
Platz drei war vor einer Woche am Lauberhorn mit einem Rückstand von 1.92 Sekunden zu haben. Am Samstag in Kitzbühel betrug die Differenz, die zum Schritt auf das Podest berechtigte, 1.44 Sekunden. Der lachende Dritte hinter dem alle überragenden Duo: zweimal Dominik Paris. Der Italiener muss sich irgendwie in einer anderen Welt fühlen. Der Beste der Normalsterblichen. «Danke für dieses Kompliment», sagt er und lacht.
Die Ausserirdischen? Cyprien Sarrazin und Marco Odermatt. Wobei Letzterer in der zweiten Abfahrt auf der Streif für einmal ebenfalls abgehängt wurde. 91 Hundertstelsekunden verlor der 26-Jährige auf den entfesselten Franzosen. Es ist im Ski eine Weltreise. In Metern: 26.47. Odermatt sagt: «Selbst mit einer perfekten Fahrt hätte es mir nicht gereicht. Cyprien war unschlagbar.» Perfekt war Odermatts Fahrt nicht.
Dabei fühlte er sich am Morgen bereit. «Die Spannung, die ich spürte, war super, die Atmosphäre genial, schönstes Wetter, cooler Schnee und auch das Set-up hat super funktioniert», sagt er. In der ersten Abfahrt am Freitag war das Material noch Teil der Erklärung, warum er «nur »Dritter wurde. Der andere ist, dass der echte Hahnenkammsieg, also jener am Samstag, für Odermatt klar Priorität hat. Das hat er in Kitzbühel mehrmals betont.
Als Odermatt ins Ziel kam, sah es noch gut aus. 1.31 Sekunden betrug sein Vorsprung. Die Freude darüber schrie er heraus. Gut zwei Minuten später war sie vorbei. Sarrazin war direkt nach Odermatt gestartet, pulverisierte die Zeit des Schweizers und sprang im Ziel auf die aufblasbaren Banden. Noch so eine Parallele: Odermatt rutsche nach seinem Sieg in Adelboden gewollt über die Sicherheitsmatten. Sarrazin kletterte in Skischuhen drauf.
Odermatt hatte gespürt, dass seine Fahrt nicht ideal war. «Aber wenn man mit einem so grossen Vorsprung ins Ziel kommt, denkt man sich, vielleicht haben die Ski ja trotzdem immer voll gezogen», sagt er. Leider nein. Sarrazin schaffte das Kitzbühel-Double. 2021 war das Beat Feuz gelungen. Für das französische Skiteam ist es der erste Abfahrtssieg in Kitzbühel seit 1997. Damals gewann Luc Alphand auf der Streif, zwei Jahre holte auch er das Kitzbühel-Double. Der mittlerweile 58-Jährige war am Samstag ebenfalls vor Ort, sein Sohn Nils stand am Start, kam aber nicht ins Ziel.
Dorthin schaffte es auch Franjo von Allmen nicht. In der Zieltraverse verpasste der Schweizer ein Tor. Bei der Zwischenzeit hatte der 22-Jährige da noch auf Rang drei gelegen. Von Allmen sagt: «Ich bin nicht 100 Prozent fit, fühle mich etwas krank. Wenn ich alles reingeworfen hätte, wäre es eventuell noch aufgegangen. Aber hier will man nicht in den Netzen landen.» Der verpassten Sensation trauert er nicht nach. Er wolle lieber das Gute mitnehmen, sagt er. Für seine Entwicklung könnte es gut sein. Schon oft hat sich ein früher Exploit für Athleten in der Folge als Last erwiesen.
Zweitbester Schweizer hinter Odermatt war so Alexis Monney auf Rang acht. Auch er ist erst 24 Jahre alt. Zusammen mit Arnaud Boisset (25), der am Freitag Neunter wurde, und Josua Mettler (25) stehen sie für einen Schweizer Speednachwuchs, um den Swiss-Ski in Österreich beneidet wird. Die Österreicher warten weiter auf einen ersten Podestplatz in der Abfahrt in dieser Saison. Stefan Babinsky kam einem solchen am Samstag als Vierter nahe. 15 Hundertstel fehlten dem 27-jährigen auf Rang drei.
In Kitzbühel endete derweil die Karriere von Thomas Dressen. Der Deutsche hatte 2018 die Abfahrt auf der Streif gewonnen. Mittlerweile kämpft der 30-Jährige aber seit Jahren mit gesundheitlichen Problem. Das bewegte ihn dazu, am Ort seines grössten Triumphs dem Skiweltcup Adieu zu sagen. Den Anschluss zu den Besten konnte er nicht mehr herstellen.
Die Abfahrt hat sich durch technisch hochbegabte Athleten wie Marco Odermatt oder Cyprien Sarrazin in den vergangen Jahren allerdings auch revolutioniert. Viele fragen sich, wie sie den Anschluss halten können.
Odermatt trauert dem verpassten Sieg darum auch nicht lange nach. Er sagt: «Die Ausgangslage war für mich vor dem Rennen ja eigentlich perfekt. Entweder ich gewinne das letzte grosse Rennen, das ich noch nicht gewonnen habe, oder ich habe ein grosses Ziel für das nächste Jahr.»