Wir schreiben den Mittwoch, 15. Februar 2023. Drei Tage sind seit Marco Odermatts grandiosem WM-Titel in der Abfahrt vergangen. Drei Tage verbleiben bis zum Riesenslalom. Odermatt sitzt gemeinsam mit drei japanischen Geschäftsleuten im Schweizer Team-Hotel in Méribel am Boden des wohlig warmen Cheminéeraums. Sie debattieren über … Mode.
Kenichi Hashimoto, der Produktmanager der japanischen Kleidermarke Descente, lauscht aufmerksam den Inputs des Schweizer Skistars. Es geht um Design, Farben und Schnitte des künftigen Sortiments. Seit 46 Jahren sind die Japaner Ausrüster der Schweizer Ski-Nationalmannschaft. Erstmals erhält ein Athlet eine eigene Kollektion. Sie kommt ab Oktober in der Schweiz, aber auch in weiteren Märkten in Europa, Asien und Amerika in die Läden.
Marco Odermatt erklärt seine Bereitschaft, mitten während dem wichtigsten Wettkampf des Jahres den Fokus auf ganz andere Talente zu richten, wie folgt: «Es sind schliesslich nicht Geschäftspartner, die direkt im Nachbarsdorf wohnen. Sie sind extra aus Japan an die WM gereist, um mich und das Team anzufeuern und ich wollte ihre Hoffnung auf dieses Treffen erfüllen. Es war auch während der WM ein kleiner Aufwand für mich.»
Es ist nicht zuletzt diese Lockerheit, die den Nidwaldner zum erfolgreichsten Skifahrer der Gegenwart macht. Gerade rund um die Rennen sucht er bewusst seine mentalen Inseln, um nicht während Tagen unter Hochdruck zu stehen. Sei es bei einer gemütlichen Jassrunde, einer Schlittelpartie oder eben einem Exkurs als Modeschöpfer. Wobei der Gesamtweltcupsieger relativiert: «Wenn man mit guten Fachleuten zusammenarbeiten kann, dann sind diese gestalterischen Arbeiten keine Hexerei. Um Ideen einzubringen und Feedback zu geben, benötigt man kein riesiges Talent».
Odermatt verdient mit diesem Deal nicht nur gutes Geld, er gestaltete auch sehr aktiv mit. Etwa bei der Farbgebung. Wäre der 25-Jährige ein Popstar, der Look hätte zweifelsohne eine grelle Komponente beinhaltet. Aber das Wesen des bescheidenen Schweizer Skistars schimmert auch hier durch.
«Ich habe bewusst Farben in einem ruhigeren Ton gewählt und nicht die starken, knalligen Farben. Ich wollte etwas im Bereich der Naturtöne und das Endergebnis überzeugt mich sehr. Gerade auch der Kontrast zum ewigen Rot der offiziellen Kaderbekleidung von Swiss Ski. Es sind Farben, die man so auf den Skipisten noch nicht oft sieht», sagt der Doppel-Weltmeister.
Wichtig waren dem Olympiasieger aber auch das Zwiebelsystem bei den Oberteilen sowie der im Vergleich zur normalen Kollektion etwas grosszügigere Schnitt. Schliesslich soll die Skibekleidung Kunden in seinem Alter ansprechen. Wobei man für einen Kauf entweder etwas angespart haben oder dann Weihnachten abwarten muss. 949 Franken kostet die Jacke, 749 die Skihose – selbst für Descente im oberen Preissegment.
Bei der Lancierung der MO_D-Kollektion beim Schweizer Generalimporteur geben sich die Skilegenden die Hand. Bernhard Russi ist da und auch Sonja Nef. Verbandspräsident Urs Lehmann sagt: «Selbst, wenn Swiss Ski bei diesem Geschäft keinen Rappen verdient, ist es für uns eine Win-win-Situation, denn es stärkt die Partnerschaft zwischen Verband und Ausrüster.»
Und Lehmann sieht seine Aushängeschilder neben der Piste lieber in Textilien seiner Partner auftreten als mit fremden Produkten. 2010 kam es deswegen sogar zu einer kurzzeitigen Sperre von Lara Gut, weil sie ihren eigenen Kleiderpartner «Kjus» am Rande von Rennen etwas gar offensiv und aus Sicht der Verbandsbosse vertragswidrig ins rechte Licht rückte.
Marco Odermatt bleibt auch diesbezüglich ein Musterschüler. «Wenn er von einer Sache überzeugt ist, dann gibt Marco auch neben der Piste vollen Einsatz», sagt sein Manager Michael Schiendorf. Sein bekanntester Klient hat auch ihn mit seinem Engagement bei der Entwicklung der Bekleidungslinie überrascht. Und Schiendorfer war zugleich fasziniert von der Herzlichkeit der japanischen Geschäftsleute. «Seit sie Marco persönlich kennen, gehören sie zu seinen grössten Fans. Sie haben sogar eine eigene WhatsApp-Gruppe ins Leben gerufen.»
Marco Odermatt selbst wandelt beim Blick auf das asiatische Land auf den Spuren von Japan-Liebhaber Simon Ammann: «Auch ich bin ein Fan der japanischen Kultur, selbst wenn ich erst einmal im Land war. Aber es sind extrem nette Menschen. Die Zusammenarbeit war sehr angenehm. Ich kenne kein anderes Land, wo der Respekt untereinander einen solch grossen Stellenwert hat. Auch Wertschätzung und Dankbarkeit gehören dazu. Und bei jedem Treffen überreichten sie mir ein kleines Geschenk», sagt er lachend.
Ab dem Wochenende gilt seine ganze Aufmerksamkeit nun wieder dem Training. Nach der Rückkehr aus dem dreiwöchigen Trainingslager in Südamerika und einer zweiwöchigen Tranche Konditionsarbeit geht es am Samstag auf den Gletscher nach Zermatt. Das Abfahrtstraining kam zuletzt zu kurz, weil Odermatt wegen der schlechten Bedingungen in Chile ausschliesslich mit dem Riesenslalom-Team in Argentinien trainierte, anstatt wie geplant die Hälfte der Zeit bei den Speedfahrern zu sein. «Deshalb ist eine meiner Zielsetzungen, in der Abfahrt einen weiteren Schritt zu machen, noch nicht aufgegangen.»
Ansonsten aber lässt Marco Odermatt keinen Zweifel daran, dass bei ihm trotz all seiner Erfolge keine Genügsamkeit aufkommt. Es war für ihn nicht schwieriger, sich für die Schinderei im Sommer zu motivieren: «Das Konditionstraining fällt mir nach wie vor einfach. Ich habe während des gesamten Sommers kein Training ausgelassen, nicht eine einzige Übung geschwänzt. Und ich bin dabei immer an mein Limit gegangen.»
Ihm sei der Grund für das harte Training sogar noch bewusster als vor einigen Jahren, «weil ich genau weiss, was es braucht, um Rennen zu gewinnen. Und vor allem wie wenig es braucht, um sie nicht mehr zu gewinnen.»