Ob Öl, Gas oder Kohle: Die Preise kennen derzeit nur eine Richtung: nach oben. Wenn die Energiepreise explodieren, hat dies weitreichende Folgen. Der ärmere Teil der Bevölkerung steht vor der wenig erfreulichen Wahl: essen oder frieren. Hehre Ziele zur Bekämpfung der Klimaerwärmung werden wieder infrage gestellt. Üble Regimes wie Russland oder Iran erhalten Aufwind.
Stehen wir also vor einem stürmischen Winter? «Ja», sagt Thomas Friedman, «das ist der grosse Knall». Okay, der Kolumnist der «New York Times» neigt gelegentlich zu Übertreibungen. Aber diesmal hat er gute Gründe für seine Befürchtungen.
Dabei haben die steigenden Energiepreise eigentlich eine erfreuliche Ursache. Die Weltwirtschaft erholt sich weit schneller als erwartet von der Corona-Krise. Die Energiewirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, die rasant steigende Nachfrage zu befriedigen.
Rund um den Globus herrscht daher ein Mangel an Öl und Gas. Selbst Kohle ist wieder gefragt. Die Folgen dieses Mangels sind offensichtlich: «Werden alle Länder gleichzeitig betroffen, spielen die Preise verrückt», so Friedman. «Oder die Lichter gehen aus.»
In China ist dies bereits der Fall. Wegen Strommangels mussten Fabriken tagelang geschlossen werden. In Europa wird die Lage ebenfalls kritisch. In Europa haben die Regierungen von Spanien, Italien, Frankreich und Griechenland bereits Subventionen für die Haushalte beschlossen. Eine Wiederholung der Gilets-jaunes-Proteste, die Frankreich im Spätherbst 2018 erschütterten, soll so vermieden werden.
Besonders hart ist das Vereinigte Königreich betroffen. Friedman zitiert aus einem Finanz-Newsletter von Blain’s Morning Porridge wie folgt:
Eigene Stockfehler haben die Lage auf der Insel zugespitzt. Die Briten sind besonders abhängig vom Erdgas, dessen Preis am stärksten in die Höhe geschnellt ist. Zum Vergleich: Der Preis für Erdgas entspricht derzeit in etwa einem Ölpreis von 200 Dollar pro Fass. Weil es im Vereinigten Königreich nur begrenzte Lagerkapazitäten gibt, muss das Gas zu diesen horrenden Preisen eingekauft werden.
Die Regierung hat die Lage verschlimmert. Gegen 1,3 Millionen ausländische Arbeitskräfte sind wegen des Brexits nach Hause geschickt worden. Nun fehlen Lastwagenfahrer und Landarbeiter. Vor den Tankstellen bilden sich lange Schlangen, in den Läden sind Regale leer und auf dem Land müssen Schweine und Truthähne notgeschlachtet werden, weil das Personal fehlt.
Zu Beginn dieses Monats sind die Covid-Subventionen ausgelaufen. Gleichzeitig sind die Lohnabzüge erhöht worden, um die Sozialabgaben zu finanzieren. Selbst das konservative «Wall Street Journal» schüttelt den Kopf: «Einer der grössten Trümpfe der Konservativen ist ihre Wirtschaftskompetenz. Diesen Trumpf verspielt Boris Johnson derzeit.»
Die explodierenden Energiepreise machen sich auch auf den Finanzmärkten bemerkbar. Die Zinsen für Staatsanleihen steigen, weil die Angst vor Inflation befeuert wird. Einzelne Ökonomen befürchten bereits eine neue Stagflation. Zwei Ölschocks haben in den Siebzigerjahren dieses Phänomen – Stagnation plus Inflation – zur Folge gehabt und eine schwere Wirtschaftskrise in den Industriestaaten ausgelöst. An den Aktienbörsen fallen die Kurse.
Anfang November beginnt in Glasgow die 26. Klimakonferenz. Explodierende Energiepreise sind dabei so erwünscht wie ein Kropf. Diskussionen um Atomkraftwerke werden wieder entflammen; Versprechen, die Wirtschaft zu dekarbonisieren, infrage gestellt. Präsident Putin weist bereits jetzt schadenfroh darauf hin, dass die missliche Lage in Europa die Folge eines verstärkten Ausbaus der erneuerbaren Energie sei.
Doch der russische Präsident kämpft ebenfalls mit den Folgen der Klimaerwärmung. In Sibirien schmilzt der Permafrost und bedroht die Infrastruktur der russischen Öl- und Gasindustrie. Das «Wall Street Journal» beschreibt die Situation wie folgt:
Aus ökonomischer Sicht wären heutige Investitionen massiv günstiger, als die zu erwarteten Kosten für Folgeschäden; besonders jetzt wo das Zinsniveau derart tief sind und finanzielle Mittel vorhanden wären.
Ah und übrigens an alle die, die glauben wir tun schon was. Ja, wir reden noch…