Banker, Hedge-Fund-Manager, hohe Militärs und vermeintliche Polit-Experten sind überzeugt, dass Trump die Wiederwahl schaffen wird. Selbst auf der watson-Redaktion greift dieser Defätismus bedrohlich um sich. Tatsächlich spricht einiges für die Trump-Wiederwahl-These:
Angesichts dieser Fakten scheint der Impeachment-Prozess nicht viel mehr zu sein als ein kurzes Zwischenspiel der amerikanischen Politik, dessen Folgen schon im kommenden Frühling vergessen sein werden. Die Demokraten sind damit ihrer staatspolitischen Pflicht nachgekommen. Erreicht haben sie jedoch gar nichts.
Der Impeachment-Prozess wird wohl mit einem Freispruch enden. Die Grand Old Party (GOP) ist zu einem Kult verkommen, der keine Abweichler mehr duldet und selbst die eindeutigsten Beweise und Zeugenaussagen schlicht ignoriert.
Das bedeutet jedoch keineswegs, dass Trump vor Kollateralschäden verschont wird. Diese Schäden könnten ihn die Stimmen der unabhängigen Wähler kosten, und diese Wähler, nicht seine Basis, werden im November entscheiden, ob er im Weissen Haus bleiben darf oder nicht.
Nancy Pelosi hat die Übergabe der Anklage an den Senat ein paar Wochen verzögert. Damit hat sie nicht nur Trump zur Weissglut getrieben. Sie hat vor allem ein Zeitfenster für neue Enthüllungen in der Ukraine-Affäre geöffnet.
Pelosis Wette ist aufgegangen. In den letzten Tagen haben sich die «Bombshell»-Enthüllungen förmlich gejagt: Neue E-Mails sind aufgetaucht, die beweisen, dass der Präsident persönlich angeordnet hat, die Hilfsgelder an die Ukraine zu stoppen. Nun hat das Government Accountability Office (GAO) erklärt, Trump habe damit gegen das Gesetz verstossen. Das GAO ist eine unabhängige überparteiliche Agentur, die für den Kongress tätig ist.
Am meisten zu reden gibt jedoch ein Interview, das Lev Parnas der MSNBC-Moderatorin Rachel Maddow gewährt hat.
Er ist einer der beiden Assistenten von Rudy Giuliani, die im vergangenen Herbst am Flughafen von Washington verhaftet worden sind. Zusammen mit seinem Partner Igor Fruman hat der in der ehemaligen UdSSR geborene und fliessend Russisch sprechende Parnas für Giulianis Schattenkabinett die Drecksarbeit in Kiew verrichtet.
Wie Trumps ehemaliger Fixer Michael Cohen hat Parnas die Seiten gewechselt und packt nun aus. Er bestätigt, dass Trump persönlich die Ukraine-Affäre geleitet hat, dass er über alle Schritte informiert war und dass er niemals die Korruption bekämpfen wollte, sondern einzig an belastendem Material über die Bidens interessiert war.
Ebenfalls schildert er minutiös, wie die ehemalige und untadelige Botschafterin Marie Yovanovitch aus dem Amt gemobbt wurde, weil sie das üble Spiel von Giuliani nicht mitmachen wollte.
Schliesslich bestätigt Parnas auch, was bereits der EU-Botschafter Gordon Sondland in den Hearings ausgesagt hatte. Alle haben von diesem Plot gewusst: Vize Mike Pence, Stabschef Mick Mulvaney, Energieminister Rick Perry, Justizminister William Barr und der ehemalige Sicherheitsberater John Bolton.
Das Weisse Haus ist hektisch bemüht, den abtrünnigen Parnas zu diskreditieren. Die Sprecherin Stephanie Grisham bezeichnet ihn als «einen Mann, der schwerer Verbrechen beschuldigt wird, der nur dank einer Kaution noch auf freiem Fuss ist und verzweifelt versucht, einer Gefängnisstrafe zu entgehen». Dummerweise stimmen jedoch Parnas' Aussagen exakt mit allen bekannten Zeugenaussagen und Dokumenten überein.
In üblicher Manier behauptet Trump, er kenne Parnas nicht. Diese Taktik erweist sich jedoch als Bumerang. Parnas reagiert darauf, indem er immer neue Fotos veröffentlicht, die ihn mit dem Präsidenten zeigen. Jüngstes Beispiel ist ein kurzes Video von einem Gespräch der beiden.
Im Senat versucht derweil Mitch McConnell, der GOP-Mehrheitsführer, mit allen Mitteln zu verhindern, dass im Prozess auch Zeugen auftreten. Das schien ihm bis vor kurzem auch zu gelingen. Die neuen Enthüllungen üben jedoch einen starken Druck auf republikanische Senatoren aus, und es ist nicht mehr auszuschliessen, dass nicht nur Parnas, sondern auch Bolton, Mulvaney und andere in den Zeugenstand treten müssen.
Zweifellos ist Trumps Wiederwahl möglich, aber sie ist alles andere als eine beschlossene Sache. Vielmehr wird gelten, was der britische Premierminister Harold Macmillan einst einem jungen Journalisten erklärt hat. Gefragt, was die Wahlen entscheiden werde, gab er zur Antwort: «Ereignisse, mein Junge, Ereignisse.»