Schauspieler und Sportlerinnen haben Fans, Topmanager hingegen kaum je. Eine der wenigen, bei der das anders ist, heisst Sheryl Sandberg. Tauchte die Facebook-Vertreterin am WEF in Davos auf, wo sie Stammgast war, brach der Ausnahmezustand aus. Sofort war sie umzingelt, Selfies wurden geschossen. Sass sie auf einem Podium, hingen alle an ihren Lippen in Erwartung einer fast göttlichen Verheissung. Lud sie ins Kirchner-Museum zum Cocktail-Empfang, galt es als Ritterschlag, wenn man dabei sein durfte.
Erfolg macht in der Welt des WEF sexy, doch Erfolg provoziert auch Missgunst. Schon 2013 titelte das Magazin «Time»: «Hasst sie nicht, weil sie erfolgreich ist.»
Nachdem Sandberg am Mittwoch ihren Rücktritt auf Herbst bekannt gegeben hat, war er wieder da, der Hass. Selbst in den Leserkommentarspalten der gepflegten «New York Times» prallte er ihr entgegen.
Der meist gelikte Kommentar lautete dort: «Sie wurde reich, indem sie unsere Privatsphäre zu Geld machte, und sie schrieb ein arrogantes Buch, in dem sie den Frauen sagte, wie sie sich zu verhalten hätten.» Ein anderer Leserkommentar: «Sandberg ist der beste Beweis dafür, dass Chefinnen genauso schrecklich sein können wie Chefs.»
Natürlich ist es nicht nur Neid, der Sandberg zum Hassobjekt machte. Sie prägte die Kommerzialisierung von Facebook, dessen Mutterkonzern in Meta umbenannt wurde und zu dessen Imperium auch WhatsApp und Instagram gehören. Und das über eine sehr lange Zeit, nämlich 14 Jahre lang.
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg stellte die vormalige Google-Managerin ein, als er selbst 23-jährig und sie 38-jährig war. Zuckerberg, alles andere als ein Sympathieträger, gewann dadurch nicht nur Kompetenz, sondern auch ein Aushängeschild. Sandberg wurde zum freundlichen Gesicht von Facebook.
Sie wurde als «die Erwachsene» im Raum einer Firma beschrieben, der von jungen, testosterongesteuerten Nerds dominiert war. 2013 wurde Sandberg mit ihrem Bestseller «Lean in» zur Ikone einer Generation junger, aufstrebender Frauen. In der wenig empathischen Kultur des Silicon Valley wirkte sie wie ein Gegenentwurf. Das wurde besonders deutlich, als sie den Tod ihres Ehemanns bewältigen musste, der 2015 im Alter von nur 47 Jahren starb.
Am meisten Kritik brachte ihr die Russland-Affäre bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 ein. Russische Aktivisten hatten Facebook genutzt, um die Amerikaner im Wahlkampf zu beeinflussen, indem sie Wasser auf die Mühlen von Kandidat Trump gossen.
Die Einmischung russischer Trolle stürzte Facebook in die grösste Krise der Firmengeschichte. Zuckerberg musste vor dem Senat antraben und entschuldigte sich. Sandberg versuchte, die Russland-Einmischung zu vertuschen. Zudem betrieb sie sogenannte «opposition research», sie liess negative Nachrichten über Kritiker verbreiten. Dazu heuerte sie, die Demokratin, eine republikanische PR-Bude an – der Zweck heiligt die Mittel.
Die damaligen Enthüllungen fielen mehr auf Sandberg als auf Zuckerberg zurück, und das hing mit der Arbeitsteilung zusammen. Zuckerberg ist der Techniker, der alle Probleme mit Algorithmen lösen will; Sandberg ist die Politikerin, die aus Washington D.C. stammt und als ehemalige Mitarbeiterin von Hillary Clinton fürs Lobbying und die PR-Arbeit zuständig ist.
Seit diesen Vorfällen schrumpften Sandbergs Einfluss und Visibilität bei Facebook. Zuckerberg entschied wieder mehr allein. So war es der Mehrheitsaktionär von Meta, der nach dem Sturm aufs Kapitol im Januar 2021 beschloss, Donald Trump von Facebook zu verbannen.
Seit Zuckerberg letztes Jahr ankündigte, voll auf das Metaverse zu setzen – dieses löse das klassische Internet ab, sagte er – war Sandberg noch weniger präsent. Offenbar, so spekulierten Medien, traue er ihr nicht zu, diese Sphäre so zu kommerzialisieren, wie es ihr beim Kerngeschäft gelungen war.
Trotzdem kommt ihr Abgang gemäss «Financial Times» unerwartet. Sandberg gab keine Gründe dafür an, Zuckerberg pries in einem Facebook-Post ihre Verdienste und schrieb, ihr Rücktritt markiere das Ende einer Ära:
In der Tech-Welt wird nun spekuliert, wohin es die 52-Jährige als Nächstes zieht. Gegenüber Bloomberg sagte Sandberg, es sei ziemlich unwahrscheinlich, dass sie einen anderen Managerjob antreten oder gar in die Politik einsteigen werde. Aber, so ergänzte sie: «Ich habe gelernt: Mache nie Aussagen über deine Zukunft.» Immerhin einen Zukunftsplan verriet sie. Diesen Sommer heiratet sie noch einmal, sieben Jahre nach dem Tod ihres ersten Ehemanns.