Die Inflation scheint besiegt zu sein, ohne dass es zu einer globalen Finanzkrise gekommen wäre. Bleibt es dabei – oder zünden die hohen Zinsen mit Verspätung doch noch irgendwelche Bomben? Eine neue Studie aus den USA zeigt auf, dass es sehr eng wird. Wenn die Zinsen nicht bald sinken, könnte ein Feuerwerk an Bomben losgehen.
«Solange die Zinssätze erhöht bleiben, wird das US-Bankensystem mit einem erheblichen Insolvenzrisiko konfrontiert sein», heisst es in dieser Studie des renommierten National Bureau of Economic Research. Hunderte von Banken könnten Opfer von Runs werden, wie sie schon die Credit Suisse zu Fall brachten und mehrere US-Banken.
Zu dieser drastischen Warnung gelangen die Studienautoren, nachdem sie einige schaurige Fakten zum Markt für Büroimmobilien entdeckt haben. Zusammen lesen sich diese Fakten wie eine Finanz-Horrorgeschichte.
Noch vor knapp zwei Jahren schien alles bestens. Schulden wurden immer noch billiger, Büroimmobilien immer noch teurer. Anfang 2022 standen sie fast drei Mal höher als zwei Jahrzehnte zuvor – auf einem historischen Allzeithoch. Der Markt boomte. Dann kam die Zinswende.
Im März 2022 begann die US-Notenbank Fed ihren Kampf gegen die Inflation. In nur einem halben Jahr ging sie mit ihren Leitzinsen um volle 5 Prozentpunkte in die Höhe. Seither ist die Welt eine andere.
Die Investoren haben Geld abgezogen. Denn nun lässt sich mit anderen Anlagen wieder Geld verdienen, vor allem mit Anleihen von Staaten und von Unternehmen. Betongold ist nicht länger alternativlos.
Zugleich wirkt Corona nach. Die Pandemie hat Millionen von Büromitarbeitenden ins Homeoffice geschickt. Gerade in den USA sind sie nur sehr zögerlich zurückgekommen. Ende 2022 standen noch immer 18 Prozent aller Büros leer.
All dies hat die Preise von Büroimmobilien einbrechen lassen. An den Börsenkursen von Firmen, die auf Büroflächen spezialisiert sind, lässt sich ein Rückgang von über 30 Prozent ablesen im Vergleich zum Pandemiebeginn. Andere Indikatoren zeigen einen Einbruch um 50 Prozent.
Sinken die Zinsen nicht bald, läuft alles auf einen dramatischen Höhepunkt hinaus. 2024 verfällt für viele Unternehmen der Schutz vor den hohen Zinsen. Ihre Kredite laufen ab und müssen erneuert werden, typischerweise zu einem mehr als doppelt so hohen Zins. 2024 sind es weit über 500 Milliarden Dollar, genau 544 Milliarden.
Das wird schaurig. Bei weit mehr als der Hälfte aller Kredite wären nicht alle Kriterien erfüllt, welche Banken normalerweise erfüllt haben wollen.
Bei rund 45 Prozent ist die Belehnung viel zu hoch. Nach dem Crash der Preise kommen bei diesen Krediten auf 100 Dollar an Immobilienwert jeweils über 100 Dollar an Schulden. Bei einer Belehnung von über 100 Prozent lehnt die Bank einen Kreditantrag normalerweise sogleich ab.
Bei weiteren rund 25 Prozent der Kredite sieht es noch schauriger aus. Zu den aktuellen Zinsen übersteigen die Zinskosten gar die Einnahmen, welche die Büroimmobilie erwirtschaftet. Wenn eine Immobilienfirma einen solchen Kreditantrag neu stellen würde – sie würde von der zuständigen Bankerin je nach Laune herzhaft ausgelacht oder unsanft rausgeworfen.
Zu diesen Schlussfolgerungen gelangen die Studienautoren über einen kleinen Umweg. In die Kreditbücher der Banken hatten sie keinen Einblick. Also studierten sie die Kennzahlen von Bürohypotheken, die als Wertpapiere an der Börse gehandelt werden. Was sich bei ihnen abspielt, ist in der Vergangenheit auch immer bei den Banken geschehen.
Es ist eine wahre Kredit-Misere – und die Immobilienfirmen könnten sich, sagt Starökonom Kenneth Rogoff, bloss an die Hoffnung klammern, irgendwie das Jahr 2024 zu überleben. Bis irgendwann sinkende Zinsen «jene Welle an roter Tinte eindämmen, welche ihre Firmen zu ertränken droht».
Das ist die Finanzhorror-Geschichte im Markt für Büroimmobilien. Leider könnte es weitere Kapitel dazu geben, nämlich im Bankensystem. Dieses wackelt Anfang 2024 ohnehin bedrohlich. Die Kredit-Misere bei dem Büroimmobilien könnte es aus dem Gleichgewicht werfen.
Vor der Zinswende hatten die Banken sehr tief verzinste Anleihen in ihren Büchern angehäuft, die damals noch ein unvermeidbares Übel waren. Nach der Zinswende sind sie jedoch vermeidbar geworden, es gibt höher verzinste Alternativen. Heute sind diese niedrigverzinsten Anleihen am Markt darum viel weniger wert. Wirklich viel, viel weniger.
Die Banken würden dafür heute um die 2000 Milliarden Dollar weniger bekommen, als sie ursprünglich bezahlt hatten. Müssten sie heute alles verkaufen, wäre die Hälfte von ihnen insolvent, rund 2400 Banken. Sie hätten nicht genug Vermögenswerte, um all ihre Schulden zurückzahlen zu können.
Doch noch hält das System. Es ist so lange alles gut, wie die Banken diese tiefverzinsten Anleihen bis zum Ablaufen halten können. So lange dürfen sie die Preise, die sie ursprünglich bezahlt hatten, in den Büchern stehen lassen.
Das System würde wanken, wenn die Banken diese Anleihen vor deren Ablaufen verkaufen müssten. Freiwillig würden sie dies natürlich nie im Leben tun. Aber die Kredit-Misere bei den Büroimmobilien könnte eine Kausalkette in Gang treten, welche sie dazu zwingt.
Durch die Kreditkrise könnten 10 bis 20 Prozent aller Kredite, welche mit Büroimmobilien abgesichert sind, in Zahlungsverzug geraten. Die Studienautoren schätzen, dass die Banken dadurch insgesamt 80 oder gar 160 Milliarden Dollar verlieren könnten.
Solche Verluste könnten bei betroffenen Banken die Kunden alarmieren, auf den sozialen Medien gingen Gerüchte viral. Bald greifen Kunden zu ihren Smartphones und ziehen Geld ab. Ein digitaler Run setzt ein.
Der Geldabfluss würde die Banken zwingen, jene niedrigverzinsten Anleihen zu verkaufen, die sie nicht verkaufen wollten – zu den aktuell viel tieferen Preisen. Hohe Abschreibungen wären die Folge. Noch mehr Kunden ziehen Geld ab.
Es entstünde eine Vertrauenskrise, die sich auf das gesamte System ausbreitet. Und Krisen in den USA, im grössten Finanzmarkt der Welt, schwappen in der Regel auf Europa und die Schweiz über.
So weit muss es nicht kommen. 2023 sind viele Horrorszenarien nicht eingetroffen, die zuvor befürchtet wurden. Sollten die Büroimmobilien tatsächlich eine Kettenreaktion auslösen, wird viel von den Notenbanken abhängen. Wie in früheren Krise müssen sie schnell eingreifen, das Vertrauen in die Sicherheit von Banken und Sparkonten wiederherstellen. Bis niemand mehr Grund hätte, sein Geld abzuziehen. (aargauerzeitung.ch)