Wenn er will, kann Olaf Scholz kämpferisch auftreten. Zum Beispiel am Mittwoch bei seiner ersten Regierungserklärung im Deutschen Bundestag nach dem Aus der Ampel-Koalition. Sein Auftritt war der Auftakt zum 100-Tage-Wahlkampf für die Neuwahlen am 23. Februar 2025, etwa indem er die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine erneut ausschloss.
Die Reaktionen waren heftig. CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz bezeichnete die Regierungserklärung als «Geisterstunde». Der Kanzler habe nicht verstanden, was im Land los sei. Passend dazu sagten die «Wirtschaftsweisen», ein Expertengremium der Regierung, der deutschen Wirtschaft am Mittwoch für 2025 ein Miniwachstum voraus.
Und Olaf Scholz? Der gibt sich unverdrossen. Er ist fest entschlossen, im Februar erneut als SPD-Kanzlerkandidat anzutreten. Dabei sind die Umfragewerte des 66-Jährigen miserabel. Im «Bild»-Ranking der deutschen Spitzenpolitiker liegt er auf Platz 19 von 20, hinter Alice Weidel (AfD) und – für Scholz fast noch schlimmer – FDP-Chef Christian Lindner.
Die Parteispitze der Sozialdemokraten bleibt (noch) standhaft. Sowohl die Co-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil als auch Bundestags-Fraktionschef Rolf Mützenich und der neue Generalsekretär Matthias Miersch bekräftigten, an Scholz festhalten zu wollen. An der Basis aber macht sich angesichts der Umfragewerte von Kanzler und Partei Unruhe breit.
Im neusten RTL/ntv-Trendbarometer vom Dienstag kommt die SPD auf 16 Prozent. Die Union ist mit 33 Prozent mehr als doppelt so stark. Manche in der Partei befürchten, die SPD werde im Februar mit Scholz hinter AfD und Grünen auf dem vierten Platz landen. «Ja, Grummeln ist da», musste Rolf Mützenich am Dienstag im ZDF-«heute journal» einräumen.
Für den «Spiegel», ein Leitmedium von Rotgrün in Deutschland, ist der Fall klar: «Die Sozialdemokratie braucht einen anderen Kanzlerkandidaten. Je früher, desto besser.» Auch die «Zeit», eine weitere einflussreiche linksliberale Stimme, rückt sachte von Olaf Scholz ab. «Wer sagt's dem Kanzler?», lautet der Titel einer Analyse zu seinem Auftritt im Bundestag.
Der Angesprochene jedoch denkt nicht an einen freiwilligen Abgang. In der ARD-Talkshow von Caren Miosga am letzten Sonntag gab Scholz sich wie gewohnt frei von Selbstkritik. Er habe keine Zweifel, dass man ihn als Kanzlerkandidat aufstellen werde. Den Rückstand auf CDU/CSU in den Umfragen bezeichnete er als «sehr aufholbare Grössenordnung».
In der Umfrage von RTL/ntv aber meinten nur 13 Prozent der Wahlberechtigten, die SPD solle mit Scholz antreten. «Ein desaströser Wert», findet der «Spiegel». An eine Aufholjagd, wie sie Kanzler Gerhard Schröder 2005 in einer ähnlichen Lage gelang, glaubt das Magazin nicht: «Schröder war eine Wahlkampfmaschine, beinahe hätte er die weit enteilte Union am Ende noch eingeholt.»
In den deutschen Bundesländern wagen sich immer mehr Stimmen aus der Deckung, die es ähnlich sehen, sogar in Scholz’ Heimatstadt Hamburg. Für sie ist auch klar, wer ihn ersetzen soll: Verteidigungsminister Boris Pistorius. Dessen Beliebtheitswerte verhalten sich umgekehrt proportional zu jenen von Olaf Scholz. Bei RTL/ntv wollen ihn 57 Prozent als SPD-Kandidat.
Im jüngsten Trendbarometer schneidet Pistorius auch im Direktvergleich mit Friedrich Merz mit 39 zu 25 Prozent deutlich besser ab. Viele in Deutschland wundern sich über die Popularität des 64-Jährigen, der erst seit knapp zwei Jahren im Amt ist. Im Ranking von «Bild» kommt er als einziger deutscher Politiker auf eine Zustimmung von über 50 Prozent.
Eine Erklärung lieferte der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter, der sich schon im September als erster prominenter Sozialdemokrat für Pistorius ausgesprochen hatte. «Er entscheidet, er erklärt, er hat klare Botschaften, er redet mit der Truppe», sagte Reiter dem «Tagesspiegel»: «Er sagt, was er denkt, und er kämpft.» Das mache Pistorius «authentisch».
Boris Pistorius zeige, «welchen Unterschied eine deutliche, verständliche Sprache macht», so Reiter. Mit anderen Worten: Er ist kein «Scholzomat», der roboterhaft Floskeln absondert. Vielmehr engagiert er sich für die Aufrüstung der Bundeswehr und die Ukraine-Hilfe, obwohl er lange selbst «russophil» war (Russisch war eines seiner Prüfungsfächer beim Abitur).
In einer SPD, in der sich viele nach der Friedenspolitik des legendären Kanzlers und Partei-Übervaters Willy Brandt zurücksehnen, macht dies Pistorius nicht eben beliebt. Als «Quereinsteiger» aus Niedersachsen verfügt er auch über keine Hausmacht im Bundestag. Und mit einem «Umfrageliebling» hat die Partei schon schlechte Erfahrungen gemacht.
So war der aus Brüssel «eingewechselte» Martin Schulz 2017 als Kanzlerkandidat fulminant gestartet und am Ende gegen CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel kläglich gescheitert. Fast-Namensvetter Olaf Scholz hingegen hatte vor drei Jahren schlecht begonnen. Am Ende wurde seine SPD die stärkste Partei und Scholz zum Chef der Ampel-Regierung.
Dieses «Kunststück» will er wiederholen. Doch 2021 profitierte Olaf Scholz vom Image als kompetenter Finanzminister während der Corona-Pandemie. Und von peinlichen Fehlern der Konkurrenz, sprich von Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne). Jetzt aber wird Scholz von den Deutschen als ausgesprochen führungsschwach beurteilt.
Einfach wäre ein Wechsel nicht. Die SPD will den Kanzlerkandidaten am Parteitag definitiv bestimmen, der vermutlich im Januar stattfinden wird, nur wenige Wochen vor der Wahl. Es kann ins Auge gehen, eine «Galionsfigur» zu einem derart späten Zeitpunkt zu ersetzen, das haben die US-Demokraten mit Joe Biden und Kamala Harris schmerzhaft erlebt.
«Alles nicht optimal», räumt der «Spiegel» ein. Und dennoch: «Die Partei braucht einen Game-Change-Moment.» Also einen Ersatz für Olaf Scholz (ein Anwärter neben Boris Pistorius wäre Parteichef Klingbeil). Dass es dazu kommt, glaubt das Hamburger Magazin selbst nicht. Die SPD-Spitze werde «das mit Scholz durchziehen» – mit dem Kopf durch die Wand.
Ich mag Pistorius auch sehr, weil er eben erklärt und das ist es was die deutsche Politik braucht, einen der erklärt und dann werden auch negative Einschnitte akzeptiert.