In den Nullerjahren prägten einige Ökonomen den Begriff «Sado-Monetaristen». Darunter verstanden sie diejenigen ihrer Zunft, die auf Teufel komm raus sparen wollten, weil sie sonst den Untergang des Abendlandes befürchteten. In der deutschen Austeritätspolitik nach der Eurokrise fand die Politik der Sado-Monetaristen ihren Höhepunkt.
Um das zu benennen, was sich derzeit im Kapitol in Washington abspielt, legt Paul Krugman noch eine Schippe drauf. Der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonom spricht in seiner jüngsten Kolumne auf Substack von einer «Attacke sadistischer Zombies». Er meint damit die «big and beautiful bill», welche Trump und die Republikaner durch den Kongress peitschen wollen.
Tatsächlich stellt dieses Gesetz Robin Hood gewissermassen auf den Kopf; es nimmt von den Armen und gibt den Reichen. Das sagen nicht linke Kritiker, sondern das Congressional Budget Office (CBO), eine überparteiliche Behörde, welche die wirtschaftlichen Auswirkungen von Gesetzen ermittelt. Sie sagt voraus, dass das von Trump geplante «grosse und schöne Gesetz» die Armen 0,4 Prozent ärmer, die Reichen hingegen 4 Prozent reicher machen wird.
Mehr noch, um die massiven Steuererleichterungen für die Wohlhabenden auszugleichen, müssen Sozialleistungen massiv gekürzt werden, allen voran Medicaid, eine Krankenkassen-Subvention für untere Einkommen, und die sogenannten Food Stamps, verbilligte Nahrungsmittel für die Ärmsten. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 9 und 13 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner ihre Krankenkasse und damit den Zugang zum Gesundheitswesen verlieren werden.
Die Republikaner weisen diese Prognosen zurück. Sie machen geltend, dass keine Leistungen von Medicaid gekürzt werden, sondern einzig «Verschwendung, Betrug und Missbrauch» ausgemerzt werden soll. Sie behaupten, es gebe zahlreiche illegale Einwanderer und Arbeitsscheue, die Medicaid auf Kosten der ehrlichen Steuerzahler missbrauchen.
Über die exakte Höhe der Einsparungen – im Gespräch sind 800 Milliarden Dollar innerhalb von zehn Jahren – wird noch gestritten. Klar ist hingegen, wie diese Einsparungen erzielt werden sollen. Wer künftig Medicaid beziehen will, muss monatlich nachweisen, wie viel er gearbeitet hat.
Für jemanden, der einen festen Job und einen seriösen Arbeitgeber hat, ist dies kein Problem. Er braucht zudem den Zustupf zur Krankenkasse gar nicht. Wer hingegen Medicaid bezieht, muss oft unregelmässig bei zweifelhaften Arbeitgebern seinen kargen Lohn erwerben. Genau diese Menschen sollen nun monatlich einen Wust von Dokumenten einreichen, die sie nur mit Mühe verstehen.
«Was erreichen diese Vorschriften letztlich?», fragt Krugman rhetorisch. «Sie machen nicht, dass faule Leute arbeiten. Sie machen bloss, dass Menschen dringend benötigte Vergünstigungen weggenommen werden, weil sie den Papierkram und die administrativen Barrieren nicht bewältigen können.»
Wie recht Krugman damit hat, zeigt das Beispiel der beiden Bundesstaaten Georgia und Arkansas. Sie kennen bereits ähnliche Vorschriften. In beiden sind sie aus diesen Gründen gescheitert.
Das Gesetz ist nicht nur grausam, es ist ökonomisch gesehen auch wirkungslos. Führende Wirtschaftsmedien wie der «Economist» und die «Financial Times» sprechen sich daher entschieden dagegen aus. Sie tun dies aus zwei Gründen:
Zum einen werden trotz der Einsparungen im Sozialbereich die wegen der Steuererleichterung fehlenden Einnahmen nur teilweise kompensiert. Das CBO geht davon aus, dass die amerikanischen Staatsschulden sich bei einer Annahme des Gesetzes in den kommenden zehn Jahren um 3,3 Billionen Dollar erhöhen werden. Das bedeutet, dass das Finanzdepartement dann jährlich «mehr als eine Billion Dollar an Zinszahlungen leisten müsste, ungefähr gleich viel, wie es für die Krankenkasse für die Alten aufwendet», wie der «Economist» feststellt.
Anders als bei den Steuererleichterungen, die Trump in seiner ersten Amtszeit erliess, sind zweitens die wirtschaftlichen Auswirkungen diesmal überschaubar. «Insgesamt wird das Gesetz das Wachstum des Bruttoinlandprodukts bloss um 0,5 Prozent erhöhen», stellt die «Financial Times» fest. Zusammen mit dem Handelskrieg, den Trump angezettelt hat, sind dies schlechte Omen für die Zukunft der amerikanischen Wirtschaft.
Exorbitante Staatsschulden und die Möglichkeit einer Stagflation, diese Aussichten haben Folgen auf dem Anleihenmarkt. Die Versteigerung von 20-jährigen US-Staatsobligationen fand am Mittwoch ungewöhnlich wenig Zuspruch. Die Rendite der 30-jährigen Staatsanleihen stieg erstmals seit Jahren wieder über 5 Prozent, diejenige der zehnjährigen T-Bonds auf 4,5 Prozent. «Eine schwache Auktion schreckt die Märkte auf», vermeldet daher das «Wall Street Journal».
Höhere Zinsen auf amerikanischen Anleihen müssten gemäss dem Einmaleins der Ökonomie einen stärkeren Dollar zur Folge haben. Das Gegenteil ist der Fall, der Greenback schwächelt, ein klares Zeichen, dass das Vertrauen in die US-Währung schwindet. Für Martin Wolf, Chefökonom der «Financial Times», ist dies ein Warnzeichen. Er befürchtet, dass «Trumps Angriff auf den Dollar» negative Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft haben kann.
Wolf beruft sich dabei auf Charles Kindelberger, einen legendären Ökonomen, der die Ursachen der grossen Finanzkrisen untersucht hat. Dieser postuliert, dass eine starke und vertrauenswürdige Leitwährung das Fundament eines stabilen internationalen Finanzsystems bildet. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Dollar diese Funktion erfüllt. Zollkrieg und wachsende amerikanische Staatsdefizite machen es fraglich, ob er dies auch weiterhin tun wird.
Paul Krugman ist derweil davon überzeugt, dass hinter dem Handeln von Trump und den Republikanern gar keine ökonomische Vernunft steckt. «So wie ich es sehe, geht es bei dieser Grausamkeit nicht darum, den Dollar zu retten. Das kümmert sie kein bisschen», stellt er fest. «Sie bedauern es auch nicht, ausgerechnet den Schwächsten noch mehr Schmerz zuzufügen. Sie tun es mit Genugtuung.»