«Zwei Ökonomen haben drei Meinungen», lautet eine zynische Redensart. Sie trägt einen gewissen Kern Wahrheit in sich. Gelegentlich sind sich jedoch selbst die Volkswirte einig – beispielsweise, wenn es darum geht, wie die chinesische Wirtschaft wieder in Schwung kommen soll. Das könne nur mit einer Ankurbelung des Binnenmarktes geschehen, erklären sämtliche Vertreter der Zunft einhellig.
Die Wirtschafts-Strategen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) hingegen sehen das gar nicht so. Immer wieder versprechen sie zwar, Massnahmen zu ergreifen, um den Binnenkonsum zu fördern. In der Praxis geschieht jedoch genau das Gegenteil: Chinas Volkskongress hat soeben eine Wirtschaftspolitik beschlossen, die darauf hinausläuft, der Exportindustrie zu helfen.
Die neue Strategie trägt zwar einen hochtrabenden Titel – «new quality productive forces» –, es handelt sich aber um alten Wein in neuen Schläuchen. Anstatt Flachbildschirmen und Kinderspielzeugen werden Elektroautos, Lithium-Batterien und Solarzellen exportiert. Im vergangenen Jahr haben die Ausfuhren dieser drei Güter um 30 Prozent zugenommen und betragen nun 147 Milliarden Dollar.
In den letzten 20 Jahren sind die chinesischen Exporte in die EU geradezu explodiert. Das Leistungsbilanzdefizit hat sich verzehnfacht, von 40 Milliarden Euro auf 400 Milliarden Euro.
Zwischenbemerkung: Wir Schweizer dürfen uns nicht beklagen. 2022 haben wir Güter im Wert von 42,1 Milliarden Franken nach China exportiert und bloss die Hälfte davon importiert (20,6 Milliarden Franken).
China will seine Exporte aus zwei Gründen wieder hochfahren:
Einerseits hat die strikte Lockdown-Politik während Covid der Wirtschaft weit mehr geschadet als ursprünglich angenommen. Sie ist nach Aufhebungen der Massnahmen nicht wie erhofft angesprungen. Darunter leiden vor allem die jungen Arbeitnehmer, deren Arbeitslosigkeit sich auf einem Rekordhoch befindet.
Andererseits haben die beiden chinesischen Traditions-Rezepte gegen Wirtschaftsschwäche – Investitionen in die Infrastruktur und in Immobilien – ihre Wirkung verloren.
Den einzelnen Provinzen fehlt das Geld für noch mehr Autobahnen und Hochgeschwindigkeitszüge. Die «Financial Times» konnte Dokumente des Kabinetts einsehen und meldet, dass die Regierung resolut auf die Bremse getreten ist. Allein in der Provinz Yunnan sind mehr als 1500 Infrastrukturprojekte gestoppt worden.
Dass es in China viel zu viele leerstehende Hochhäuser gibt, ist mittlerweile ebenfalls bekannt. Die Immobilienkrise dauert nun schon seit Jahren und ist zu einem Handicap der Volkswirtschaft geworden. Auch damit ist jetzt Schluss: «Häuser sind zum Wohnen da, nicht zum Spekulieren», hat Präsident Xi Jinping verordnet.
Um aus dieser Patsche herauszukommen, müsste die chinesische Regierung somit den Konsum ankurbeln. Sie müsste «Ressourcen vom Staat an die Haushalte umverteilen – entweder mit Direktzahlungen oder dem Schenken von Aktien von Staatsunternehmen», stellen die China-Experten Daniel Rosen und Logan Wright in «Foreign Affairs» fest. «Oder die Regierung müsste ihre Steuerpolitik, ihre Subventionen für Häuser und andere Dienste verändern.»
Präsident Xi ist kein Freund solcher Massnahmen. Er hat sie kürzlich als «Wohlfahrtspolitik» verspottet. Stattdessen will er wieder das machen, was Chinas Wirtschaft nach der Öffnung in den Achtzigerjahren gross gemacht hat: Die Stellung als Werkplatz der Welt soll noch weiter ausgebaut werden, diesmal allerdings nicht mit T-Shirts und Jogging-Schuhen, sondern mit Hi-Tech.
China subventioniert daher massiv die drei erwähnten Pfeiler E-Autos, Lithium-Batterien und Solarpanels. Grundsätzlich könnte der Westen davon profitieren. Schliesslich subventioniert China damit indirekt auch unseren Kampf gegen die Klimaerwärmung. Doch die Begeisterung über das Geschenk aus Peking hält sich in überschaubaren Grenzen.
Michael Pettis, Finanzprofessor an der Peking University und viel zitierter China-Experte, erklärt denn auch gegenüber der «Financial Times»: «(Um seine Ziele zu erreichen,) muss China seinen Anteil an der globalen Herstellung ausweiten. Der Rest der Welt müsste sich dieser Ausweitung anpassen. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Rest der Welt dies auch tun wird.»
Wahre Worte gelassen ausgesprochen. Der Rest der Welt reagiert mit Panik, geht es doch diesmal um weit mehr als billige Flachbildschirme. Deutschland sieht seine Autoindustrie in Gefahr. VW, BMW und Mercedes müssen befürchten, von BYD, Geely und SAIC überrollt zu werden. Die Autoindustrie ist das Herz der deutschen Wirtschaft. Dass sich die Deutschen dagegen wehren, ist eine Frage der Zeit und eine Frage des Wie.
In den USA hat Donald Trump bereits angekündigt, er werde – sollte er wieder ins Weisse Haus einziehen und sollten die Chinesen den Umweg über Mexiko wählen –, die Elektroautos mit einem Strafzoll von 100 Prozent belegen. Der Ex-Präsident ist freilich ein Maulheld, er hat soeben bei TikTok eine 180-Grad-Kehrtwende vollzogen.
Der amtierende Präsident hingegen handelt. Im sogenannten «Chip War» hat Joe Biden begonnen, die amerikanische Halbleiter-Industrie massiv zu subventionieren und den Export der höchstentwickelten Chips nach China zu verbieten. Das tut offensichtlich weh – so sehr, dass Peking bei der Welthandelsorganisation eine Klage gegen die USA wegen Handelsverzerrung eingereicht hat. Angesichts der massiven Subventionen, mit denen die chinesische Regierung ihre Exportwirtschaft unterstützt, ist dies jedoch bloss ein schlechter Witz.
Nicht nur der Westen beginnt sich gegen eine neue Welle von chinesischen Exporten zu wappnen. Auch bei den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) macht sich Unmut breit. Brasilien hat angekündigt, Dumping bei chinesischen Stahl-Importen zu untersuchen. Ähnliche Massnahmen werden auch in Indien und Südafrika diskutiert. Bisher werden sie von Peking ignoriert.
In den Siebziger- und Achtzigerjahren hat Japan die Welt ebenfalls mit billigen Exporten geflutet. Mit zwei Abkommen, dem Plaza Accord (1985) und dem Louvre Accord (1987), konnte diese Flut in geordnete Bahnen gelenkt werden.
Die Aussichten auf eine ähnliche Lösung mit China sind alles andere als rosig. «Es ist alarmierend, dass Peking keinerlei Anstalten macht, sein Handelsungleichgewicht zu korrigieren», stellen Rosen/Wright fest. «Indem es sich nicht darum bemüht, seine Handelspolitik zu überdenken, begibt sich China auf einen Weg, der unweigerlich in einer Konfrontation mit der entwickelten und der unterentwickelten Welt enden wird.»
"Klage gegen die USA wegen Handelsverzerrung eingereicht hat" dann muss ich schon mehr als Schmunzeln.
China wehr sich gegen Handelsverzerrung und tätigt diese in vielen Bereichen.
So verlieren diese Staaten Einfluss und Druckmittel