Anleger werden in zwei Kategorien unterteilt: Value- und Momentum-Investoren. Die Value-Investoren richten ihre Kaufentscheide nach dem Wert einer Aktie. Bekanntester Vertreter dieser Gattung ist Warren Buffett. Die Momentum-Investoren hingegen schauen darauf, welche Aktien am meisten gefragt sind, und springen auf einen fahrenden Zug auf.
Wäre Trump eine Aktie, müssten beide Investoren-Typen verkaufen. Und das sind die Gründe:
Dass Donald Trump ein charakterloser Narzist ist und niemals hätte ins Weisse Haus einziehen dürfen, haben manche von uns bereits geahnt. Bob Woodward hat nun mit seinem Buch «Fear» den endgültigen Beweis dafür geliefert. Was er aufdeckt, kommentiert sein ehemaliger Watergate-Co-Autor Carl Bernstein mit den Worten: «Wir befinden uns in einem nationalen Notstand.»
Tatsächlich decken allein schon die vorab in der «Washington Post» erschienenen Auszüge des Buches – es kommt am 11. September in die Buchläden – erschreckende Zustände auf. «Trump ist ein Idiot», wird sein Stabschef John Kelly zitiert. «Er ist vollkommen durchgeknallt. Wir leben in Crazytown.»
Woodward schildert den West Wing des Weissen Hauses als Schlangengrube der übelsten Sorte. Niemand traut keinem, alle intrigieren gegen jeden, und der Präsident hat von nichts eine Ahnung. Sein Verteidigungsminister Jim Mattis versucht, einen Dritten Weltkrieg zu verhindern, sein ehemaliger Wirtschaftsberater Gary Cohn versteckt derweil Briefe, um einen Handelskrieg zu unterbinden.
In der Russland-Affäre haben Trumps Anwälte zu verzweifelten Massnahmen gegriffen. John Dowd hat mit ihm ein Probeverhör durchgeführt, um ihn auf ein allfälliges Interview mit dem Sonderermittler Robert Mueller vorzubereiten. Das Resultat war katastrophal. «Legen Sie kein Zeugnis ab», lautete das Dowds Fazit. «Sonst landen Sie in einer orangen Gefängniskluft.» Dowd hat inzwischen gekündigt.
Natürlich hat das Weisse Haus Woodwards-Buch umgehend in die Fake-News-Ecke gestellt. Alles sei erstunken und erlogen, erklärte Pressesprecherin Sarah Huckabee Sanders. Schliesslich hat man auf diese Weise bereits zwei weitere Enthüllungsbücher abgewehrt: Michael Wolffs «Fire and Fury» und «Unhinged» von Omarosa Manigault Newman.
Diesmal dürfte diese Masche kaum funktionieren. Wolff ist ein zweifelhafter Klatschjournalist und Omarosa eine noch zweifelhaftere, ehemalige Trump-Verehrerin. Woodword boxt in einer ganz anderen Gewichtsklasse. Er gehört zu den renommiertesten US-Journalisten überhaupt und ist für seine pingelige, nur den Fakten verpflichtete Arbeitsweise bekannt.
Auch für «Fear» hat Woodward eine Heerschar von Mitarbeitern verpflichtet, die hunderte von Stunden Tonbandaufnahmen ausgewertet haben. Er habe keinerlei Bedenken, was Woodwards Arbeitsmethode betreffe, tweetete denn auch Ari Fleischer. Er war Pressesprecher bei George W. Bush und musste seinerzeit öfters Mal harte Kritik von Woodward einstecken.
Woodwards Enthüllungs-Buch kommt für den Präsidenten zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. In den jüngsten Umfragen hat er sehr schlecht abgeschnitten. 60 Prozent aller Amerikanerinnen und Amerikaner sind mit seiner Amtsführung unzufrieden. Im Vorfeld der Zwischenwahlen vom 6. November beträgt der Vorsprung der Demokraten derzeit 14 Prozent.
Angesichts dieser Zahlen sprechen einzelne Analysten nicht mehr von einer «blauen Welle», sondern von einem «blauen Tsunami» (blau ist die Farbe der Demokraten). Will heissen: Die Demokraten werden eine entscheidende Mehrheit im Abgeordnetenhaus erreichen, und möglicherweise gar eine im Senat.
Der blaue Tsunami wird hauptsächlich von den Frauen getragen. Auch in den weissen Vorstädten haben die gebildeten unter ihnen die Nase voll von Trump. Den Demokraten gelingt es, ihre Basis zu begeistern. Verantwortlich dafür sind junge und progressive Kandidaten. So hat in Massachusetts soeben Ayanna Pressley die Vorwahlen gegen einen etablierten Vertreter gewonnen.
Mobilisiert werden die Frauen auch durch eine mögliche Ernennung von Brett Kavanaugh in den Obersten Gerichtshof. Kavanaugh steht nicht nur im Verdacht, sich schützend vor Trump zu stellen, er gilt auch als dezidierter Abtreibungsgegner.
Deshalb haben die Frauen Angst, er könnte mit einer konservativen Mehrheit im Obersten Gerichtshof das «Roe v. Wade»-Gesetz rückgängig machen, das die Abtreibung erlaubt. 70 Prozent aller Amerikanerinnen wollen das Recht auf Abtreibung beibehalten.
Schädlich für Trump ist sein Abnützungskrieg gegen den Justizminister Jeff Sessions. Neuerdings wirft er ihm vor, nicht verhindert zu haben, dass zwei zur Wiederwahl anstehende republikanische Abgeordnete vor Gericht stehen.
In New York muss sich Chris Collins wegen Insidergeschäften verantworten. In Kalifornien wird Duncan Hunter angeklagt, rund 250’000 Dollar Wahlspenden veruntreut zu haben. Collins und Duncan waren die ersten Unterstützer von Trump im Repräsentantenhaus.
Wie immer schreckt Trump vor übelsten Beschimpfungen nicht zurück. Jeff Sessions bezeichnet er als «Dummkopf aus dem Süden». Damit verärgert er selbst seine treuesten Anhänger in Dixieland. «Wir sind eine ziemlich schlaue Truppe», erklärt Johnny Isakson, Senator aus dem Bundesstaat Georgia. «Wir haben zwar den Bürgerkrieg verloren, aber wir gewinnen jetzt den Wirtschaftskrieg.»
Das wohl deutlichste Zeichen, dass Trump das Momentum verloren hat, setzt indes Nike. Der Sportartikelhersteller hat Colin Kaepernick als neuen Werbeträger für den Swoosh erkoren. Das ist ein Schlag ins Gesicht des Präsidenten. Kaepernick ist der Erfinder des Kneelings, mit dem schwarze Footballplayer gegen die Rassendiskriminierung protestieren.
Trump hat gegen das Kneeling einen eigentlichen Kulturkrieg vom Zaun gebrochen. Das Vorgehen von Nike zeigt, dass er damit wohl falsch liegt. Gegen die Marketing-Profis des Swoosh anzukämpfen, dürfte keine gute Idee sein.