Das spanische High-Fashion Label Balenciaga ist bekannt dafür, mit kontroversen Kollektionen an den Grenzen des guten Geschmacks zu kratzen. Provokation wird hier gross geschrieben. Den Leuten gefällt's – aktuell rangiert Balenciaga unter den begehrtesten Luxusmarken der Welt. Nun aber sind ihre Macher mit einer Werbekampagne deutlich übers Ziel hinaus geschossen. Sie wollen sich aus der Verantwortung stehlen.
Am 16. November gehen die Kampagnenbilder der Frühjahrskollektion 2023 unter dem Namen «Gift Shop» online. Jene für Kinder zeigt Mädchen im Spielgruppenalter, die teils unnatürlich breitbeinig mit BDSM-inspirierten Rucksäcken im Teddybär-Look posieren. Unter BDSM (Bondage, Dominanz, Sadismus, Masochismus) fallen sexuelle Sadomaso-Praktiken.
Auf einem der Bilder ist ein Auszug aus einem Gerichtsurteil über Kinderpornografie zu sehen, auf einem anderen einer weiteren Kampagne, bei der Schauspielerin Nicole Kidman mitwirkte, ein Buch des Malers Michael Borremans. Dessen liebstes Motiv sind blutüberströmte, von Gewalt gezeichnete Kinder.
Wenige Stunden nach Veröffentlichung fordern die ersten prominenten und weitere Social-Media-Nutzer dazu auf, das Label zu boykottieren, da es Kindesmissbrauch verherrliche. Zahlreiche Stars und Influencer posten im Laufe der folgenden Woche Videos auf TikTok und Instagram, die sie beim Entsorgen von Balenciaga-Schuhen und Kleidungsstücken zeigen.
Erst vor fünf Tagen nimmt Balenciaga die Werbeaktion vom Netz. Eine Entschuldigung bleibt aus. Inzwischen fluten zahlreiche Kollagen das Netz. Unter anderem wird das Konterfei des verstorbenen Sexualstraftäters Jeffrey Epstein vor dem abgeänderten Markennamen Baalenciaga gezeigt. Baal bedeutet Dämon im historischen Christentum.
Nach vielen Tagen des Schweigens und hunderten entsprechenden Aufrufen ihrer Fans und Follower lässt sich am Sonntag das Aushängeschild des Labels, die amerikanische Unternehmerin und vierfache Mutter Kim Kardashian, zu einem Statement bewegen. Sie sei von der Kampagne angewidert und erwäge eine Beendigung der Zusammenarbeit. Sie sei bloss so lange still gewesen, um Zeit für eine Rücksprache mit den Verantwortlichen zu haben.
Bei den Fans kommt ihr Zuwarten nicht gut an: In den Kommentarspalten zu Kardashians Posts auf Instagram kündigen zahlreiche an, sie zu entfolgen; sie sei eine Heuchlerin. Gerüchten zufolge hat Kardashian von der Kampagne vor deren Veröffentlichung gewusst.
Am Montagabend äussern sich die Verantwortlichen bei Balenciaga zum ersten Mal. In einem Statement auf Instagram werden Fehler zugegeben und Entschuldigungen ausgesprochen – jedoch wird die Schuld auf andere geschoben, unter anderem die Produktionsfirma am Set sowie den involvierten Fotografen. Dem Vernehmen nach wird Balenciaga die Produktionsfirma auf 25 Millionen Dollar verklagen.
Marketingexperten sprechen indes von einer bewussten Provokation vonseiten des Unternehmens. Es gilt zudem als erwiesen, dass Vertreter von Balenciaga am Set zugegen gewesen seien. Die «New York Times» geht davon aus, dass der Imageschaden erschütternde Dimensionen für Balenciaga annehmen dürfte. Bereits wurde Kreativdirektor Demna eine Auszeichnung der Organisation Business of Fashion abgesprochen.
Herrbaal nochmal, das kommt davon, wenn man zuwenige Religionshistoriker auf der Redaktion beschäftigt!