Seit mehreren Jahren herrscht in Europa eine gigantische Stromschwemme und am Mittwoch erreicht uns aus der Zentrale der Swissgrid, der Betreiberin des Schweizer Übertragungsnetzes, folgende unglaubliche Hiobsbotschaft:
Im angebrochenen Winter drohe in der Schweiz ein Strom-Engpass, weil es zu wenig Transformatoren gebe, die den Strom von 380 kV auf 220 kV heruntertransformieren können.
Tags zuvor hatte der Verband der europäischen Stromnetzbetreiber Entso-e, bei dem die Swissgrid Mitglied ist, noch vermeldet, die Stromversorgung Europas für den Winter sei gesichert.
Laut der Swissgrid, in deren Verwaltungsrat auch die Strombarone sitzen, wird die
Transformation des 380 kV-Stromes nötig, weil die beiden AKW Beznau I und II
ausser Betrieb und auch die Speicherseen unterdurchschnittlich gefüllt sind.
Deshalb müsse ein Teil des Stroms importiert werden und dieser hat eine
Spannung von 380 kV, wie auch die beiden AKW Leibstadt und Gösgen.
Man reibt sich die Augen. Wie ist eine solche Schildbürgerei möglich?
Seit Jahrzehnten propagiert die Stromlobby den Ausbau des 380-kV-Netzes, das der Bevölkerung mit dem Argument der sicheren Landesversorgung verkauft wird, und jetzt muss die Stromlobby implizit eingestehen, dass das 380-kV-Netz vor allem dem Stromhandel über unsere Köpfe hinweg dient und dass sie es kläglich versäumt hat, genügend Zapfstellen zu dieser milliardenteuren Strom-Pipeline zu bauen.
Das Versäumnis findet auch in der neusten Planungsbroschüre «Strategisches Netz 2025» der Swissgrid seinen Niederschlag, denn dort wird vor allem der Ausbau des Stromnetzes auf 380 kV propagiert. Von einem Transformatoren-Problem ist da nicht die Rede.
Swissgrid-Sprecherin Irene Fischbach begründet dies auf Anfrage von Infosperber damit, dass der Bau der Leitungsprojekte «grössere öffentliche Aufmerksamkeit generiert und deren Bewilligungsverfahren und Realisierung viel länger dauern».
Aber auch die Transformation sei «im strategischen Netz adressiert», denn es seien sechs zusätzliche Transformatoren vorgesehen. Einer davon sei bereits realisiert, einer sei im Bau und drei könnten «erst umgesetzt werden, wenn die 380-kV-Leitungen realisiert sind».
Warum hat aber die Swissgrid nicht rechtzeitig mehr Transformatoren gebaut und
stattdessen den Bau der 380-kV-Leitungen priorisiert? Swissgrid redet sich in ihrer
Medienmitteilung heraus: «Eine Transformierung 380/220 kV bringt nur dann eine
Verbesserung der Netzstabilität und der Versorgungssicherheit, wenn an den
Unterwerken 220- und 380 kV-Leitungen zusammentreffen. Deshalb braucht es
beides.»
Dieser Darstellung widerspricht der Energie-Experte Heini Glauser, der Mitglied der Arbeitsgruppe Leitungs- und Versorgungssicherheit (AG LVS) des Bundes war:
Im strategischen Netzplan 2015 habe es 25 Knotenpunkte, wo sich die 220 kV- und 380 kV-Ebene treffen. Dass man zuerst neue 380 kV-Leitungen bauen müsse, sei eine billige Ausrede.
Die Swissgrid-Botschaft hat politisches Kalkül: Nach der Publikation der Swissgrid-Mitteilung folgte sogleich jene des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), der den sofortigen Ausbau des Stromnetzes, die Unterstützung der Wasserkraft und die Fortführung der beiden AKW Beznau verlangte.
Über das Transformatoren-Problem hingegen schwieg sich der VSE wohlweislich aus, denn mit Blick auf die lockenden Gewinne im internationalen Stromhandel hat die Strombranche offenbar in der Vergangenheit die Inlandversorgung aus dem Blickfeld verloren.
Die PR-Rechnung der Stromlobby ist medial einmal mehr aufgegangen: Sämtliche Medien transportierten brav die politische Botschaft der Stromlobby.
Wenigstens hier fehlt es nicht an nützlichen Transformatoren.