Die Konsumenten in der Schweiz sind schon länger nicht mehr in Kauflaune. Zwar ist die monatlich vom Seco gemessene Stimmung nicht mehr ganz so schlecht wie im Herbst 2023, doch der negative Indexwert im Juli von -32 bewegt sich nach wie vor weit unter dem langjährigen Quartalsdurchschnitt (-16).
«Die Stimmung ist schlechter als die Lage», relativiert die Ökonomin Felicitas Kemeny, die beim Seco die Entwicklung des Privatkonsums beobachtet. Vier Jahre nach der Pandemie, die einen auch im langjährigen historischen Vergleich ungemein scharfen Einbruch bei den Konsumausgaben bewirkt hatte (-3,4 Prozent im Jahr 2020), und zwei Jahre nach der ebenso denkwürdigen Erholung (+4,3 Prozent im Jahr 2022) ist der an sich träge Wert 2023 wieder auf sein langjähriges Mittel (+1,5 Prozent) zurückgekehrt.
Von Beschaulichkeit ist in manchen Branchen aber noch immer weit und breit nichts zu sehen. Das gilt in einem besonders hohen Mass für den Modemarkt, der gerade ein «echt schwieriges» erstes Halbjahr hinter sich gebracht hat, wie die Eigentümerin einer grösseren Schweizer Ladenkette vor wenigen Wochen gegenüber CH Media gesagt hatte.
«Glücklicherweise konnten sich die Verkaufszahlen im Juli etwas stabilisieren», sagt Dagmar Jenni, Direktorin des Verbandes Schweizer Detailhändler, auf Anfrage von CH Media und ergänzt: «Das schlechte Frühjahr wird dadurch bei weitem nicht kompensiert. Für das Segment Fashion und Schuhe gehen wir im stationären Handel für die ersten sieben Monate des Jahres 2024 von einem Verkaufsrückgang von 6 Prozent zum Vorjahr aus.»
Die Krise der Modebranche ist kein spezifisch schweizerisches Phänomen. Eine Mitgliederbefragung des Verbandes italienischer Modehändler ergab unlängst einen durchschnittlichen Umsatzrückgang seit Anfang Jahr von 4,6 Prozent. Im Juli seien die Verkäufe sogar um mehr als 8 Prozent eingebrochen, ungeachtet der attraktiven Preise im Sommerschlussverkauf.
Was auffällt: Zu den Verlierern gehören zahlreiche internationale Marken der Kategorie Super-Luxus, die man aufgrund ihrer besonders betuchten Klientel als vergleichsweise konjunkturresistent betrachten könnte. Aber die Halbjahreszahlen einiger dieser Toplabels haben es in sich: Gucci, Yves Saint Laurent, Bottega Veneta, drei Flaggschifflabels der französischen Kering-Gruppe verlieren in den ersten sechs Monaten des Jahres zwischen 44 Prozent und 28 Prozent an Umsatz. In der Pariser Nachbarschaft, bei LVMH und Dior, geht es in Sachen Mode zwar weit weniger steil abwärts. Aber die Aktien auch dieser beider Gesellschaften notieren an der Börse 20 Prozent tiefer als vor 12 Monaten. Das Krisensignal ist eindeutig.
Zwei Wochen vor Beginn der Woche grosser Modeschauen in Mailand diagnostiziert die «Camera Nazionale della Moda Italiana» auch der italienischen Modebranche ein schwaches Jahr. Die Verkäufe dieser Schlüsselindustrie würden im laufenden Jahr um 3,5 Prozent auf unter 100 Milliarden Euro zurückgehen, lautet die auf den ersten Blick eher harmlos klingende Verbandsprognose.
Doch diese unterstellt steigende Verkäufe von Schmuckwaren und anderen Accessoires bei deutlich geringeren Absatzzahlen im Textil- und Ledergeschäft. Trotzdem sagte Verbandspräsident Carlo Capasa auf der Medienkonferenz in der lombardischen Kapitale beschwichtigend, das sei kein schlimmes Szenario: «Die Modeindustrie kennt keine systemische Krise wie die Automobilbranche.» Ja, es gäbe diese Zyklen, aber im Grossen und Ganzen wachse die Modeindustrie immer, sagte der Branchenfunktionär.
Die Aussage ist interessant, weil sie ein langfristig sehr konstantes Ausgabeverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten unterstellt. Diese Annahme mag auf einer gesamtwirtschaftlichen Ebene zwar zutreffend sein, wenn man sich die eingangs erwähnte Grundkonstanz des privaten Konsums als wichtige Komponente des Bruttoinlandproduktes vor Augen hält.
Doch innerhalb dieser Komponente kann es tatsächlich zu grossen strukturellen Verschiebungen kommen, wie sie eben die Automobilindustrie gerade zu erleben scheint. Ein Automobilkauf gehört zu den sogenannten «diskretionären» Konsumausgaben. Das sind Ausgaben, die losgelöst vom täglichen Bedarf getätigt werden können oder auch nicht. Auch die Mode gehört zu dieser Kategorie.
«Der Mix der Konsumausgaben ist über die Zeit definitiv keine Konstante», sagt die Seco-Ökonomin Felicitas Kemeny. Sie verweist auf nahe liegende Beispiele wie die verbesserte Isolation der Häuser, die Heizkosten spart und Geld für anderen Konsum freisetzt. Umgekehrt weiss man von alternden Gesellschaften, dass die Ausgaben für Gesundheit wachsen - zum Beispiel auf Kosten von Ferienreisen.
Spannend ist die Frage, ob auch die zweijährige Ausnahmesituation während der Coronapandemie den Konsum nachhaltig verändert haben könnte. Einigermassen verlässliche Antworten wird man erst in einigen Jahren aus Statistiken herauslesen können. Aber die Anbieter von Konsumgütern, unter ihnen auch die Modeunternehmen, müssen versuchen, früher zu sinnvollen Schlüssen zu kommen.
Naheliegend ist etwa der Gedanke von Felicitas Kemeny, dass das in grossen Teilen des Arbeitsmarktes inzwischen fest etablierte «Homeoffice» langfristige Auswirkungen auf die Nachfrage nach Bekleidung haben könnte. Eine repräsentative Bekleidung ist im Homeoffice selbstredend weniger gefragt als im öffentlichen Raum. Die Seco-Ökonomin kann sich vorstellen, dass die vielen Videokonferenzen während der Pandemie stattdessen die Ausgaben für Gesichtskosmetik gesteigert haben.
Man braucht wenig Mut, um zu behaupten, dass die Pandemie einige strukturelle Veränderungen im Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten rund um die Welt bewirkt hat. Wie es scheint, erleben einige glamouröse Modemarken, die Hersteller von Luxusautos oder auch die Uhren- und Schmuckindustrie gerade ein paar Verschiebungen, über deren Bedeutung man sich in der Branche erst noch bewusst werden muss.
Möglicherweise sind die erratischen Bewegungen, wie man sie seit einiger Zeit in den Aktienkursen solcher Unternehmen beobachten kann, ein Zeichen dafür, dass vieles nicht so bleiben wird, wie es der italienische Verbandsfunktionär Carlo Capasa am liebsten hätte. (aargauerzeitung.ch)