Grosse Firmen sollen für Verstösse gegen Menschenrechte und Umweltstandards in den Lieferketten haften: Diese Forderung stiess beim Schweizer Stimmvolk vor bald fünf Jahren auf Anklang. Die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative wurde im November 2020 von einer knappen Mehrheit befürwortet. Ihre Annahme scheiterte einzig am Ständemehr.
Das Ergebnis gilt als Paradebeispiel dafür, dass die Schweizer Bevölkerung nicht mehr automatisch den Parolen der Wirtschaft folgt. Die Koalition für Konzernverantwortung nahm deshalb Anfang Jahr einen neuen Anlauf. Sie lancierte eine zweite Volksinitiative, mit grossem Erfolg. In nur zwei Wochen wurden mehr als 180’000 Unterschriften gesammelt.
Das ist rekordverdächtig. Rückenwind für die Konzernverantwortungsinitiative 2.0 gab es durch das Lieferkettengesetz der Europäischen Union. Es war letztes Jahr nach einem intensiven Tauziehen verabschiedet worden. Den Gegnern der ersten Initiative kam damit ihr wichtigstes Argument abhanden, die Warnung vor einem Alleingang der Schweiz.
Gleichzeitig wurde die Initiative entschärft. So ist die rechtsstaatlich heikle Beweislastumkehr nicht mehr enthalten. Zu Jahresbeginn waren die Perspektiven für die neue Initiative deshalb positiv. Am nächsten Dienstag wird die Konzernverantwortung 2.0 bei der Bundeskanzlei in Bern eingereicht, doch nun ziehen am Horizont dunkle Wolken auf.
Denn ihr «Vorbild», die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD), ist unter Beschuss. Die EU-Kommission will ihre Einführung unter dem Schlagwort Bürokratieabbau um ein Jahr verschieben, auf 2028, und sie «entschlacken». Doch jetzt gibt es Appelle aus Deutschland und Frankreich, den beiden mächtigsten EU-Ländern, sie vollständig zu kippen.
Den Anfang machte der neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Bei seinem Antrittsbesuch bei EU-Kommissionspräsidentin und Parteikollegin Ursula von der Leyen in Brüssel verlangte er die Abschaffung der EU-Richtlinie. Am Montag legte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am «Choose France»-Investorengipfel in Versailles nach.
In seiner Rede forderte der Staatschef, die Richtlinie müsse nicht nur um ein Jahr verschoben werden, sondern ganz «vom Tisch». Er sei in dieser Hinsicht «klar auf einer Linie mit Kanzler Merz und einigen anderen Kollegen», sagte Macron. Das sind neue Töne. Zwar will die Brüsseler Kommission die berüchtigte Überregulierung in der EU reduzieren.
Von einer Abschaffung aber war nie die Rede. Allerdings hat die US-Regierung von Präsident Donald Trump die Lieferkettenrichtlinie als Beispiel für aus ihrer Sicht unfaire Handelspraktiken der EU beschrieben. Ihre Beseitigung könnte zum «Pfand» gegenüber Washington werden, und die neue deutsche Regierung hat sich ohnehin dem Bürokratieabbau verschrieben.
Die SPD, der Koalitionspartner von Friedrich Merz, will von einem derart radikalen Schritt jedoch nichts wissen. Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil betonte, man werde an der EU-Richtlinie festhalten. «Eine Abschaffung des EU-Lieferkettengesetzes liegt nicht auf dem Tisch», sagte auch René Repasi, der Chef der SPD-Delegation im Europaparlament.
Der Konflikt drohe «zum ersten Streitthema der neuen Koalition zu werden», schrieb die «Zeit». Die Sozialdemokraten verweisen auf den Koalitionsvertrag. Darin einigte man sich mit CDU/CSU, das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz abzuschaffen. Dafür hatte sich sogar der frühere grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck ausgesprochen.
Es soll durch eine «bürokratiearme» Umsetzung der EU-Richtlinie ersetzt werden. Doch nun will der Bundeskanzler sie «abschiessen». Einfach wird dies nicht, denn es ist undenkbar, dass die Mitte-links-Mehrheit im Europaparlament geschlossen dafür ist. Nötig wäre gemäss «Politico» die heikle Unterstützung von Rechtsaussen-Gruppierungen.
Manfred Weber, der Chef der EVP-Fraktion im Parlament, der auch Merz’ CDU angehört, sprach sich am Mittwochabend in Brüssel gegen die völlige Abschaffung aus, denn «die Grosskonzerne sollten schon ihre Verantwortung übernehmen». Er wäre aber sehr dafür, das Gesetz auf die grossen Unternehmen zu beschränken und die Mittelständler vollständig herauszunehmen.
Skeptisch zeigt sich auch die liberale Renew-Fraktion mit der Macron-Partei Renaissance. Die Richtlinie solle für die Firmen vereinfacht, aber nicht zurückgenommen werden, teilte der einflussreiche Abgeordnete Pascal Canfin gegenüber «Politico» mit. Der Druck der mächtigen EU-Politiker ist für die Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz dennoch unerfreulich.
Dominique de Buman, Vorstandsmitglied und ehemaliger CVP/Mitte-Nationalrat, schrieb auf Anfrage von watson, es gebe offensichtlich Kräfte, die auf EU-Ebene versuchen, die bereits verabschiedete Konzernverantwortungsrichtlinie nachträglich wieder aufzuheben. «Schaut man sich die EU-Prozesse an, ist das aber sehr unwahrscheinlich», so de Buman.
Tatsächlich müssten neben dem EU-Parlament auch 55 Prozent der Mitgliedstaaten zustimmen, die 65 Prozent der Bevölkerung vertreten. Allein die Debatte aber ist problematisch. Hinzu kommen die wirtschaftlichen Turbulenzen, die durch Donald Trumps Zölle ausgelöst wurden. In einem garstigen Umfeld haben es «idealistische» Volksinitiativen schwer.
Davon lässt sich de Buman nicht beirren: «Die vielen Fälle von Menschenrechtsverletzung und Umweltverschmutzung, in die Konzerne wie Glencore involviert sind, zeigen, dass die Schweiz dringend aktiv werden muss, um diese skrupellosen Geschäfte zu stoppen», hielt er gegenüber watson fest. Er verweist auf die rekordverdächtige Unterschriftensammlung.
Sie zeige, «wie gross die Unterstützung für unser Anliegen in der Bevölkerung ist». Die Koalition für Konzernverantwortung muss dennoch hoffen, dass sich Bundesrat und Parlament nicht von diesem Rekordtempo anstecken lassen und die Initiative ihrerseits im Eilverfahren zur Abstimmung bringen. Sonst könnte es schwierig werden.
Schliesslich ist der Profit für die Bonzen und leiden tun die Armen. Da muss man Prioritäten setzen.
Einfach nur Krank.
Denkt denn niemand an die Dividenden der armen, gebeutelten Aktieninhaber?
Politiker und Manager denken äusserst oft kurzfristig, weil sie gewählt werden und dicke Boni erhalten wollen…
Gut für die Bürger und den Planeten ist fies nicht…