Die orangen Fahnen waren nicht zu übersehen. Und sie zeigten Wirkung: Im November 2020 sagte das Stimmvolk mit 50,7 Prozent überraschend Ja zur Konzernverantwortungsinitiative (Kovi). Einzig das Ständemehr verhinderte ihre Annahme. Für Bürgerliche und Wirtschaftsverbände war das Resultat trotzdem ein Schock, von dem sie sich bis heute nicht erholt haben.
Nun nimmt die Koalition für Konzernverantwortung einen neuen Anlauf. Am Dienstag lancierte sie die Kovi 2.0. In nur 30 Tagen will sie die 100’000 Unterschriften beschaffen. Motiviert wird sie durch zwei Aspekte: Der 2022 in Kraft getretene indirekte Gegenvorschlag ist aus ihrer Sicht eine «Alibi-Übung», die nur «Hochglanz-Broschüren» hervorbringt.
Noch immer würden Schweizer Firmen gegen Menschenrechte und Umweltstandards verstossen, argumentieren die Initianten. Als Beispiele nennen sie die «üblichen Verdächtigen»: Rohstoffkonzerne wie Glencore, der Agrarchemie-Konzern Syngenta, die Schweizer Goldraffinerien oder Schokoladeproduzenten wie Lindt & Sprüngli.
Letzter geriet vor einem Jahr in Zusammenhang mit Kinderarbeit bei Zulieferern in die Schlagzeilen. Für die Initianten sind solche Beispiele der Beweis, dass die mit dem Gegenvorschlag eingeführte Pflicht zur Berichterstattung wirkungslos ist. Noch wichtiger aber ist ein zweiter Punkt: das Lieferkettengesetz der Europäischen Union.
Es wurde letztes Jahr beschlossen, mit Hängen und Würgen und einigen Abstrichen. Doch damit ist das Hauptargument der Initiativgegner von 2020 obsolet geworden. So warnte etwa die damalige Justizministerin Karin Keller-Sutter vor einem Alleingang der Schweiz. Jetzt droht sie im Gegenteil hinter die internationale Entwicklung zurückzufallen.
«Die Schweiz ist nun bald das einzige Land in Europa ohne Konzernverantwortung», sagte der Aargauer GLP-Nationalrat Beat Flach am Dienstag vor den Medien. Dies hat auch bürgerliche Gegner von damals überzeugt, etwa die frühere Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala oder den Berner Mitte-Nationalrat Lorenz Hess. Sie unterstützen die neue Initiative.
Das damalige «Aushängeschild», der ehemalige Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty, ist mittlerweile verstorben. Weiter an Bord ist der frühere Nationalratspräsident Dominique de Buman (CVP/Mitte). Er und seine Mitstreiter beharren darauf, dass Politik und Wirtschaft ihre Versprechen einhalten, sich an der internationalen Entwicklung zu orientieren.
Beim Dachverband Economiesuisse aber wiegelt man ab. «Die Europäische Union hat übertrieben. Die stark ausgebauten Regeln sind keine gute Basis für eine Schweizer Gesetzgebung», sagte der zuständige Bereichsleiter Erich Herzog der «NZZ am Sonntag». Brüssel sei zu bürokratisch unterwegs und habe den Kontakt zur Realität verloren.
Allerdings gibt es in der Wirtschaft auch Stimmen, die eine einheitliche Regelung befürworten. Darunter finden sich viele KMU, die als Zulieferer möglicherweise von der neuen EU-Vorgabe betroffen sind. Der Bundesrat will darauf eingehen und einen Bericht über direkte und indirekte Auswirkungen von internationalen Richtlinien auf KMU erarbeiten.
Die Initianten gehen teilweise auf die Befürchtungen der Wirtschaft ein. Sie haben die neue Initiative im Vergleich mit der ersten Kovi in umstrittenen Punkten «entschärft». Wie in der EU sollen nur Unternehmen ab 1000 Mitarbeitenden und 450 Millionen Euro Umsatz erfasst werden. Zulieferer sollen nicht mehr betroffen sein, sondern einzig Tochterunternehmen.
Gekippt wurde auch der heikelste Punkt, die juristisch fragwürdige Beweislastumkehr. Demnach hätten Unternehmen bei einer Klage ihre Unschuld beweisen müssen, was einem rechtsstaatlichen Grundprinzip widerspricht. Die neue Initiative verlangt «eine angemessene Regelung für die Erbringung von Beweisen». Und sie hat wie die EU Klimaziele formuliert.
Es bleibt die Kritik an der Bürokratie, der sich im letzten Herbst sogar der grüne deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck anschloss, allerdings bezogen auf das deutsche Lieferkettengesetz. In der EU gibt es offenbar Bestrebungen, die neue Richtlinie zu «entbürokratisieren». Das aber würde der Kovi 2.0 vermutlich mehr nützen als schaden.
Die Koalition für Konzernverantwortung verfügt jedenfalls über eine schlagkräftige Organisation. Wer sich in den letzten Monaten während einer Session im Bundeshaus aufhielt, konnte fast sicher einer Vertreterin oder einem Vertreter über den Weg laufen, die für die neue Initiative lobbyierten. Und auch die orangen Fahnen sind wieder zu sehen.
Das Ziel von 100’000 Unterschriften in einem Monat ist ambitiös. Es soll mit mehr als 1000 Standaktionen im Verlauf des Januars in der ganzen Schweiz erreicht werden. Mut macht den Initianten eine im Dezember 2022 eingereichte Petition, für die mehr als 200’000 Unterschriften gesammelt wurden, doppelt so viel wie angestrebt.
Die Chancen der neuen Konzernverantwortungsinitiative sind mehr als intakt. Als Hindernis bleibt das Ständemehr. Und die Initianten müssen hoffen, dass die Schweizer Wirtschaft zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht in einer Krise steckt. Ansonsten müssen sich Economiesuisse und Co. warm anziehen. Denn im zweiten Anlauf kann es klappen.
Vielleicht sehen das auch Bundesrat und Parlament so. Und erarbeiten dieses Mal einen Gegenvorschlag, der nicht nur Hochglanz-Broschüren produziert.
Wäre auch hier wieder für ein „JA“, weil:
Steht Geld wirklich über menschlichem Leid und der Schädigung von Umwelt? Sind es solche Werte, für die wir als schweizer Bürger stehen möchten und wahrgenommen werden?!
Geht es uns nicht gut genug um da vorbildlich voran zu gehen? Klar, vor 20-30 Jahren wusste man es nicht besser, jetzt aber!
Ich arbeite im Gesundheitswesen und auch dort steht Geld insgeheim über manch anderem… das ist scheisse und wir sollten echt über unsere gesellschaftlichen Werte nachdenken.
Wie war damals beim Verbot der Kinderarbeit 1877, da waren konservative Kräfte auch dagegen.