Es ist der grösste Auftrag, den sich der Ostschweizer Zug-Hersteller Stadler Rail je gekrallt hat: Bis zu 504 «Citylink»-Fahrzeuge liefert die Firma an sechs deutsche und österreichische Verkehrsbetriebe, etwa nach Karlsruhe oder Salzburg.
Patron Peter Spuhler kann sich die Hände reiben: Der Auftrag hat inklusive Optionen und Wartungsverträgen ein Volumen von über vier Milliarden Franken.
Die Citylink-Kompositionen sind eine Mischung aus Trams und Zügen. Ihr grosser Pluspunkt: Sie können sowohl im Stadt- wie Überlandverkehr verkehren und werden ganz den Wünschen der Verkehrsbetriebe ausgestattet. In einem weltweit bislang einzigartigen Vorgang haben die sechs Verkehrsbetriebe die Citylink gemeinsam ausgeschrieben und bestellt, um die Stückkosten so um einen Fünftel zu reduzieren. Unterschiedlich ist jedoch je nach Betreiber die Ausstattung. So variiert die Länge der Fahrzeuge, die Anzahl Türen. Einzelne Tramzüge haben sogar WCs oder Velo- und Gepäckhalterungen.
Die über 13'000 Mitarbeitende zählende Stadler Rail ist übrigens längst nicht nur in der Schweiz präsent: Die Citylink-Züge baut Stadler in seinem spanischen Werk in Valencia. Dieses gehörte zuvor der deutschen Vossloh, die Stadler 2016 schluckte.
Der Tramlink-Coup ist der zweite Milliardenauftrag innert weniger Wochen für Stadler. Im Oktober 2021 ergatterte sich Spuhler den grössten Fahrzeugauftrag, der in der Schweizer Bahngeschichte je vergeben wurde. Damals bestellten die SBB 286 Flirt-Züge für den Regionalverkehr. Noch ist der Auftrag allerdings nicht in trockenen Tüchern – Konkurrent Alstom hat Rekurs eingereicht. So oder so wurde das mit Abstand erfolgreichste Modell von Spuhler weltweit bereits gegen 2500 Mal verkauft.
Der «flinke, leichte Intercity- und Regionaltriebzug» – kurz FLIRT – ist sinnbildlich für die grosse Wandlungsfähigkeit des Ostschweizer Zugherstellers und der zentrale Erfolgsfaktor. «Stadler hat sich mit dem Flirt als äussert anpassungsfähig erwiesen. Man hat es geschafft, dem Kunden stets zu liefern, was er wollte», erklärte Bahnexperte Walter von Andrian in der NZZ die Erfolgsgeschichte.
Die Flirt verkehren inzwischen in 21 Ländern auf vier Kontinenten, dies in allen möglichen Varianten. In Algerien etwa verkehren 60 Flirt-Züge mit jeweils 1000 Stehplätzen, in Norwegen fahren sie als Intercity. Der Flirt wurde ab 2002 in nur 21 Monaten für die Stadtbahn Zug entwickelt.
Der Flirt war 2021 nicht der einzige Grossauftrag, den die SBB bei Stadler platzierte: Für 1,3 Milliarden Franken bestellten die Bundesbahnen 60 weitere Interregio-Doppelstockzüge vom Typ Kiss.
Kürzlich hat Stadler Rail mit einem Akku-Zug alle Rekorde gebrochen und sogar einen Eintrag ins Guinessbuch geschafft. Ein rein batteriebetriebener «Flirt-Akku» legte in Norddeutschland eine Strecke von 224 Kilometer zurück – dies trotz eisigen, akkufeindlichen Temperaturen.
Anders als hierzulande sind in Deutschland, Grossbritannien und vielen anderen Ländern manche Bahnstrecken nicht elektrifiziert; auf ihnen dominieren bislang umweltschädliche Züge mit Diesel-Loks. Akku-Züge springen dabei in die Bresche, ohne dass teure Oberleitungen gebaut werden müssen. 99 Order aus Deutschland sind bislang eingegangen. Da ist noch viel Luft nach oben.
Mit dem Flirt H2 hat Stadler auch einen emissionsfreien Wasserstoffzug entwickelt. Ein Flirt H2 soll ab 2024 im Süden Kaliforniens verkehren. Zudem hat die Tiroler Zillertalbahn bei Stadler fünf Wasserstoffzüge bestellt.
Ob U-Bahnwagen für Berlin, Diesellocks für Kiwi-Rail in Neuseeland, Trams für Mailand oder neue Kompositionen für die Gornergrat-Bahn: Spuhler ist kein Auftrag zu exotisch. Qualität statt Quantität: Die Ingenieure verstehen es wie bei keinem anderen Hersteller, massgeschneiderte Züge innert kürzester Zeit zu bauen.
Jüngst hat Stadler zudem zwei Firmen im Bereich Signaltechnik übernommen. Auch in diesem wichtigen Geschäftsbereich will Stadler weiter wachsen.
Mit dem 250 km/h schnellen «Smile» ist Stadler Rail in die prestigeträchtige Sparte der Hochgeschwindigkeitszüge vorgestossen. Unter dem Namen Giruno verkehren die Züge für die SBB seit 2019 auf der Gotthardstrecke Richtung Italien.
Das Problem: Bislang konnte Stadler erst 29 Bestellungen für den Smile verbuchen, alle von der SBB.
Seit diesem ersten Verkaufserfolg setzt Stadler alles daran, weitere Bahngesellschaften als Kunden für den Hochgeschwindigkeitszug zu gewinnen, auch um die stattlichen Entwicklungskosten wieder einzuspielen. Bislang ohne Erfolg: 2019 zog Stadler Rail mit dem Smile in Taiwan hauchdünn den Kürzen bei einem Auftrag über 50 Intercity. Stattdessen ging der Auftrag an Hitachi.
Die Chinesen drängen immer stärker auf den Bahnmarkt – auch in Europa. Der chinesische Gigant CRRC hat kürzlich einen Auftrag der österreichischen Westbahn ergattert. Der Erfolg der Chinesen bei einem Kunden, der zuvor dreimal bei Stadler bestellt hatte, ist ein Warnsignal. Während die Qualität der Züge inzwischen europäischen Massstäben entspricht, kämpften die Chinesen bislang mit den komplizierten Zulassungsverfahren in Europa. Die staatliche CRRC hat diese Hürde nun geschafft. Die Chinesen werden weiter versuchen, Stadler, Alstom/Bombardier & Co. in ihren Stammgefilden weitere Kunden abzujagen – und einen weiteren Preisdruck auslösen.
Seit 30 Jahren ist Peter Spuhler (63) der starke Mann bei Stadler Rail. Der frühere SVP-Nationalrat machte aus einer 18 Personen zählenden Mini-Firma einen Milliardenkonzern mit 13'000 Mitarbeitenden. Bis im Frühling 2018 leitete er die Firma im Doppelmandat als Verwaltungsratspräsident und CEO. Das Amt des Konzernchefs übergab er damals seinem Stellvertreter. 2020 musste Thomas Ahlburg das Feld wegen «strategischer Differenzen» wieder räumen. Seither führt Spuhler die Firma übergangsweise wieder als «One-Man-Show» mit Doppelmandat. Er sei es gewohnt, mehrere Hüte anzuhaben und könne mit der Belastung umgehen, sagte Spuhler damals.
In dieser Konstellation scheint es fast unmöglich, einen Nachfolger für den CEO ad interim zu finden. Nicht unwahrscheinlich, dass der Patron die Stellung hält, bis sein ältester Sohn Lucas reif für das Amt ist. Dieser ist 30 Jahre alt und hat 2022 die Leitung der gesamten Produktion im Werk in St.Margrethen SG übernommen.
Im September 2021 erlebte Stadler eine Blamage: Das österreichische Bundesverwaltungsgericht erklärte eine Milliarden-Auftragsvergabe für bis zu 186 Doppelstockzüge an die ÖBB für nichtig. Offenbar hatte Stadler das Angebot mit einer Schweizer Version einer digitalen Signatur unterzeichnet, die von EU und Österreich nicht anerkannt wird.
Stadler hingegen moniert, dass die entsprechende Signatur schon bei unzähligen anderen Verfahren verwendet worden sei. Spuhler hat Rekurs eingereicht und angekündigt, auch bei einer allfälligen Neuausschreibung durch die ÖBB erneut ein Angebot abzugeben.
Das ist missverständlich, wenn nicht gar grotenfalsch.
Die Vossloh AG in Werdohl, Deutschland gehört mehrheitlich den Nachlassverwaltern von Heinz Hermann Thiele. Vossloh ist nach wie vor ein Bahntechnikunternehmen, dass auf Befestigungssysteme für Schienen und andere Bahninfrastruktur spezialsiert ist.
Stadler hat 2016 lediglich den span. Teil des ehem. Vossloh-Schienenfahrzeugbaus erworben, von dem sich Vossloh mittlerweile komplett getrennt hat.