Die Post-Finanztochter Postfinance hat theoretisch alles richtig gemacht für ein gendergerechtes Stelleninserat: Sie sucht nach «Softwareentwickler:innen». Die Jobbeschreibung ist hingegen kontrovers. «Du willst den Unterschied zwischen 0 und 1 herausarbeiten. Nicht den zwischen XX und XY?», wirbt Postfinance mit Verweis auf Codes und Geschlechtschromosomen. Und: «Wir suchen Softwareentwickler:innen, die Ihre Arbeitszeit dem Banking der Zukunft und nicht dem Kampf für Gleichberechtigung widmen wollen».
Geschaltet wurde das Stelleninserat auf der Karriereplattform LinkedIn – und sorgt für Verwunderung und Kritik. «Ihr solltet den Unterschied zwischen misogynem Mist und unbedarftem LinkedIn-Post herausarbeiten», antwortet etwa ein Nutzer. Mittlerweile ist die Anzeige nicht mehr aktiv. Das sei so geplant gewesen, heisst es bei der Postfinance.
Wenig Verständnis für das Stelleninserat hat Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt. Mit dem Text werte Postfinance den Kampf für Gleichberechtigung massiv ab, sagt sie – «als wäre er irgendein Hobby für gelangweilte Frauen». Postfinance vermittle die Botschaft, dass gebildete Frauen ihre Zeit nicht für etwas überflüssiges wie den Kampf für Gleichberechtigung, sondern für das Banking der Zukunft einsetzten.
Es sei nicht zuletzt der fehlenden Gleichberechtigung geschuldet, dass sexualisierte und häusliche Gewalt an Frauen in der Schweiz noch immer so verbreitet seien. Nicht nur erfahre jede dritte Frau sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und jede fünfte Frau sexuelle Handlungen gegen ihren Willen, Frauen würden auch alleine deswegen getötet, weil sie Frauen sind. «Der Kampf für Gleichberechtigung ist, im Gegensatz zum Banking der Zukunft, ein überlebenswichtiges Thema», sagt Lavoyer. «Und er sollte es auch für eine Firma wie die Postfinance sein.»
Lavoyer spricht von einer «unsäglich miserablen Leistung» von Postfinance. «Was ist das für eine Haltung, das Engagement für Gleichberechtigung abzuwerten?», fragt sie. «Wie kann es sein, dass so eine Werbung geschaltet wird? Dass wohl mehrere Personen die Werbung abgesegnet und für gut befunden haben?» Hinzu komme, dass das Inserat Angestellten nicht das Vertrauen gebe, dass sie auf offene Ohren und Unterstützung treffen würden, wenn sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert würden.
Postfinance hingegen fühlt sich missverstanden – und als eigentliche Vorreiterin im Kampf für Gleichberechtigung. Bei vielen kam die Botschaft aber anders an. «Cool, endlich ein nicht-wokes Finanzinstitut», schreibt Dominik Feusi, der Chef der Bundeshaus-Redaktion des «Nebelspalter», angereichert mit einem vergifteten Kompliment.
Cool, endlich ein nicht-wokes Finanzinstitut. Eines das sein Augenmerk auf den Kundennutzen legt. Altruistisch halt. @PostFinance pic.twitter.com/3aiuG0jg2k
— Dominik Feusi 👉🏻 (fi.) – (@feusl) May 14, 2022
Postfinance-Sprecherin Dörte Horn verteidigt ihre Bank. «Die Botschaft dieses Werbemittels ist, dass Gleichberechtigung bei Postfinance in der Kultur fest verankert und so normal ist, dass die Mitarbeiter:innen keine Zeit im Job dafür aufwenden müssen», schreibt sie. «Stattdessen können sie sich lieber um das kümmern, was ihnen Freude bereitet – in diesem Fall ist es das Coden.»
Aber: «Dieses eine Werbemittel aus der IT-Gesamtkampagne wurde nicht so verstanden, wie wir es intendiert hatten», räumt Horn ein. «Wir hätten uns nie vorstellen können, dass man diese Botschaft bewusst anders verstehen kann, vor allem mit dem Wissen, dass Postfinance eine beliebte Arbeitgeberin ist und sich genau für gesellschaftliche Themen wie Gleichberechtigung einsetzt.» Offensichtlich habe man «den sprachlichen Interpretationsspielraum unterschätzt».
Für künftige Kampagnen werde Postfinance «noch genauer hinschauen, um Missverständnisse zu verhindern», schreibt Horn. Wie viel Geld das Finanzinstitut in die Kampagne gesteckt hat, verrät es nicht.
Möglicherweise kann die Post-Tochter aus der Episode etwas lernen: A/B-Testing, also das Ausprobieren zweier Versionen, ist nicht nur in der Softwareentwicklung nützlich – auch die Marketingverantwortlichen könnten sich damit künftig einigen Ärger ersparen.
Also alles was recht ist, aber man kann es auch übertreiben.
Um A/B-Testing im Marketing zu betreiben, muss man ja sowohl "Version A" wie auch "Version B" erstmal veröffentlichen...
Damit VERDOPPELT sich aber das Risiko, einen Shitstorm zu generieren, weil sich die woken Twitterlinge ja entweder von Version A oder eben auch von Version B getriggert fühlen könnten 😂