Wirtschaft
Schweiz

Postfinance tritt mit Gleichberechtigungs-Inserat ins Fettnäpfchen

Postfinance sucht Leute, die Arbeitszeit «nicht dem Kampf für Gleichberechtigung widmen» 😳

Die Post-Tochter sucht nach Mitarbeitenden, die «den Unterschied zwischen 0 und 1 und nicht zwischen XX und XY» herausarbeiten wollen. Das kommt nicht bei allen gut an.
16.05.2022, 14:4116.05.2022, 14:41
Stefan Ehrbar / ch media
Mehr «Wirtschaft»

Die Post-Finanztochter Postfinance hat theoretisch alles richtig gemacht für ein gendergerechtes Stelleninserat: Sie sucht nach «Softwareentwickler:innen». Die Jobbeschreibung ist hingegen kontrovers. «Du willst den Unterschied zwischen 0 und 1 herausarbeiten. Nicht den zwischen XX und XY?», wirbt Postfinance mit Verweis auf Codes und Geschlechtschromosomen. Und: «Wir suchen Softwareentwickler:innen, die Ihre Arbeitszeit dem Banking der Zukunft und nicht dem Kampf für Gleichberechtigung widmen wollen».

Bild

Geschaltet wurde das Stelleninserat auf der Karriereplattform LinkedIn – und sorgt für Verwunderung und Kritik. «Ihr solltet den Unterschied zwischen misogynem Mist und unbedarftem LinkedIn-Post herausarbeiten», antwortet etwa ein Nutzer. Mittlerweile ist die Anzeige nicht mehr aktiv. Das sei so geplant gewesen, heisst es bei der Postfinance.

«Dieser Kampf ist überlebenswichtig»

Wenig Verständnis für das Stelleninserat hat Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt. Mit dem Text werte Postfinance den Kampf für Gleichberechtigung massiv ab, sagt sie – «als wäre er irgendein Hobby für gelangweilte Frauen». Postfinance vermittle die Botschaft, dass gebildete Frauen ihre Zeit nicht für etwas überflüssiges wie den Kampf für Gleichberechtigung, sondern für das Banking der Zukunft einsetzten.

Es sei nicht zuletzt der fehlenden Gleichberechtigung geschuldet, dass sexualisierte und häusliche Gewalt an Frauen in der Schweiz noch immer so verbreitet seien. Nicht nur erfahre jede dritte Frau sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und jede fünfte Frau sexuelle Handlungen gegen ihren Willen, Frauen würden auch alleine deswegen getötet, weil sie Frauen sind. «Der Kampf für Gleichberechtigung ist, im Gegensatz zum Banking der Zukunft, ein überlebenswichtiges Thema», sagt Lavoyer. «Und er sollte es auch für eine Firma wie die Postfinance sein.»

«Unsäglich miserable Leistung»

Lavoyer spricht von einer «unsäglich miserablen Leistung» von Postfinance. «Was ist das für eine Haltung, das Engagement für Gleichberechtigung abzuwerten?», fragt sie. «Wie kann es sein, dass so eine Werbung geschaltet wird? Dass wohl mehrere Personen die Werbung abgesegnet und für gut befunden haben?» Hinzu komme, dass das Inserat Angestellten nicht das Vertrauen gebe, dass sie auf offene Ohren und Unterstützung treffen würden, wenn sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert würden.

Postfinance hingegen fühlt sich missverstanden – und als eigentliche Vorreiterin im Kampf für Gleichberechtigung. Bei vielen kam die Botschaft aber anders an. «Cool, endlich ein nicht-wokes Finanzinstitut», schreibt Dominik Feusi, der Chef der Bundeshaus-Redaktion des «Nebelspalter», angereichert mit einem vergifteten Kompliment.

Postfinance-Sprecherin Dörte Horn verteidigt ihre Bank. «Die Botschaft dieses Werbemittels ist, dass Gleichberechtigung bei Postfinance in der Kultur fest verankert und so normal ist, dass die Mitarbeiter:innen keine Zeit im Job dafür aufwenden müssen», schreibt sie. «Stattdessen können sie sich lieber um das kümmern, was ihnen Freude bereitet – in diesem Fall ist es das Coden.»

Aber: «Dieses eine Werbemittel aus der IT-Gesamtkampagne wurde nicht so verstanden, wie wir es intendiert hatten», räumt Horn ein. «Wir hätten uns nie vorstellen können, dass man diese Botschaft bewusst anders verstehen kann, vor allem mit dem Wissen, dass Postfinance eine beliebte Arbeitgeberin ist und sich genau für gesellschaftliche Themen wie Gleichberechtigung einsetzt.» Offensichtlich habe man «den sprachlichen Interpretationsspielraum unterschätzt».

Für künftige Kampagnen werde Postfinance «noch genauer hinschauen, um Missverständnisse zu verhindern», schreibt Horn. Wie viel Geld das Finanzinstitut in die Kampagne gesteckt hat, verrät es nicht.

Möglicherweise kann die Post-Tochter aus der Episode etwas lernen: A/B-Testing, also das Ausprobieren zweier Versionen, ist nicht nur in der Softwareentwicklung nützlich – auch die Marketingverantwortlichen könnten sich damit künftig einigen Ärger ersparen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
So ist es als Frau im Bundeshaus #metoo
Das könnte dich auch noch interessieren:
97 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
fandustic
16.05.2022 15:30registriert Juni 2021
Kampf für die Gleichberechtigung und dann äussert sich eine Expertin für sexuelle Gewalt und erzählt im Zusammenhang mit einem Werbeslogan der Postfinace von häuslicher Gewalt, sexueller Gewalt und getöteten Frauen??
Also alles was recht ist, aber man kann es auch übertreiben.
31750
Melden
Zum Kommentar
avatar
Felix Meyer
16.05.2022 15:20registriert September 2019
Eigentlich ist ja klar wie es gemeint ist (-> die Postfinance ist bezüglich Gleichberechtigung so fortschrittlich, dass man als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin eben nicht dafür kämpfen muss). Klar kann man es auch anders verstehen, wenn man sucht, findet man überall etwas auszusetzen...
25857
Melden
Zum Kommentar
avatar
Müller Lukas
16.05.2022 15:03registriert August 2020
Wie sinnlos ist bitte der letzte Absatz?
Um A/B-Testing im Marketing zu betreiben, muss man ja sowohl "Version A" wie auch "Version B" erstmal veröffentlichen...
Damit VERDOPPELT sich aber das Risiko, einen Shitstorm zu generieren, weil sich die woken Twitterlinge ja entweder von Version A oder eben auch von Version B getriggert fühlen könnten 😂
15532
Melden
Zum Kommentar
97
    Seit 2016 kosten Plastiksäckli im Laden 5 Rappen – das könnte sich wieder ändern

    Die fünf Rappen pro Plastiksack an der Ladenkasse könnten gemäss der «SonntagsZeitung» bald verschwinden. Der Handelsverband Swiss Retail Federation prüft, einen entsprechenden Vertrag auf Ende Jahr zu kündigen, wie die Zeitung schrieb.

    Zur Story