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Schweiz

1 Euro für 1 Franken: Die Folgen für Industrie, Restaurants und Löhne

1 Euro für 1 Franken: Die Folgen für Industrie, Restaurants und Löhne

«Dann muss die Nationalbank eingreifen», heisst es von der Gastronomie, und von Exporteuren: «Irgendwann ist der Zeitpunkt erreicht, an dem sie das nicht noch mehr können.» Das sagt die Wirtschaft zu den Folgen der Euro-Parität.
08.03.2022, 05:5608.03.2022, 07:52
Niklaus Vontobel, Florence Vuichard und Daniel Zulauf / ch media
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Der Krieg in der Ukraine bewegt die Preise, weltweit und auch in der Schweiz. Öl wird teurer, Gas, Aluminium, Weizen – die Liste ist ellenlang. Inmitten dieser grossen Verschiebungen wertet sich auch der Franken auf, der Euro wird wieder geschwächt.

ARCHIVBILD - EURO UEBERSCHREITET ZUM ERSTEN MAL SEIT JANUAR 2015 DIE MARKE VON 1,15 FRANKEN - Coins of 1 Euro (left) and coins of 1 Swiss Franc (right), pictured on July 21, 2011. (KEYSTONE/Martin Rue ...
Gleichviel wert: 1 Euro und 1 Franken.Bild: KEYSTONE

Nun steht die europäische Einheitswährung wieder auf der Parität zum Franken: Für einen Euro zahlt man noch einen einzigen Franken. Am Montagmorgen war es für kurze Zeit gar noch etwas weniger.

Damit ist der Euro so billig wie seit Januar 2015 nicht mehr. Der bisherige Tiefpunkt wurde damals erreicht. Doch seine grosse Abwertung begann schon Jahre zuvor, mit der Finanzkrise von 2008. Zuvor zahlte man 1.70 Franken für einen Euro, und damit 70 Prozent mehr als heute. Die Abwertung hat die Schweiz verändert, den Alltag der Konsumenten und Konsumentinnen. Löst die erneute Euroschwäche nun nochmals einen Wandel aus?

Kommt es zu Entlassungen und Konkursen in der Gastronomie?

Die Gastronomie ist gerade dabei, sich von der Coronakrise zu erholen. Nun kommt der nächste Schlag: Der Euro schwächt sich ab, es wird wieder günstiger, im nahen Ausland ins Restaurant zu gehen. Wie sehr schmerzt dies die Restaurants und Bars?

Casimir Platzer vom Branchenverband Gastrosuisse sagt dazu: «Im Moment können wir einigermassen mit dem aktuellen Frankenkurs leben – aber natürlich gibt es Grenzen.» Ein deutlich stärkerer Schweizer Franken könne mittelfristig für viele zu einer Herausforderung werden, insbesondere für die Betriebe in den Tourismusorten und nahe der Landesgrenze. Für Platzer ist darum klar:

Casimir Platzer, Praesident GastroSuisse, spricht waehrend einer Medienkonferenz zu "Aufhebung der Corona-Massnahmen", am Dienstag, 25. Januar 2022 in Bern. Vereinigungen und Vertreter recht ...
Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer.Bild: keystone
«Wenn die aktuelle geopolitische Lage weiter eskaliert und ein Abrutschen deutlich unter die Parität droht, dann wird eine Intervention der Schweizerischen Nationalbank notwendig.»

Wird der Tourismus in eine Krise gestürzt?

Von «einer Anhäufung von Problemen, die zusammen eine echte Herausforderung darstellt», spricht Martin Nydegger, Direktor von der Marketingorganisation Schweiz Tourismus. Ob der Coronakrise bleiben Gäste aus den USA und Asien noch immer der Schweiz fern. Der Krieg in der Ukraine verunsichert die Touristinnen und Touristen in der ganzen Welt, weshalb viele von Reisen absehen. Erdöl kostet so viel wie seit dem Jahr 2008 nicht mehr, was unter anderem den Benzin- und Kerosinpreis steigen lässt und damit die Reisekosten.

Martin Nydegger, Direktor Schweiz Tourismusan der Jahresmedienkonferenz von Schweiz Tourismus auf dem Flughafen Zuerich in Kloten am Donnerstag, 24. Februar 2022. (KEYSTONE/Walter Bieri )
Oberster Schweiz-Verkäufer Martin Nydegger.Bild: keystone

Und nun noch die Kursparität. Man habe zwar gelernt, den starken Franken möglichst wettzumachen, sagt Nydegger. Man gibt zu gleichen Preisen extra Leistungen, setzt auf höhere Qualität und senkt die Kosten. Doch nun seien solche Massnahmen noch dringlicher. Nydegger: «Die Parität ist für uns eine weitere Hürde, die wir überwinden müssen.»

Werden Schweizer Hotels nun die Preise senken müssen?

Andreas Züllig, Präsident von Hotellerie Suisse, warnt vor den Folgen der Pandemie (Archivbild).
Andreas Züllig, oberster Hotelier.Bild: KEYSTONE

Hotelübernachtungen im Ausland seien nicht auf einen Schlag deutlich attraktiver geworden, sagt Andreas Züllig. Der Präsident des Branchenverbands Hotelleriesuisse betont, die Schweizer Hotellerie sei nach wie vor absolut wettbewerbsfähig. Die aktuelle Situation sei nicht vergleichbar mit dem Januar 2015.

Damals sei es ein Schock gewesen, als der Euro innert weniger Minuten von 1.20 Franken auf die Parität gefallen sei. Die aktuelle Parität hingegen habe sich schon länger abgezeichnet. Der Tourismus habe sich darum darauf einstellen und sein Angebot anpassen können. Dabei kam ihm zugute, dass die Preise im nahen Ausland in den letzten Jahren deutlich schneller gestiegen seien als in der Schweiz.

Züllig sagt: «Auch zum aktuellen Wechselkurs bietet die Schweizer Hotellerie darum sehr viel Leistung zu wettbewerbsfähigen Preisen.»

Sind Tickets für Seilbahnen nun im Ausland viel billiger?

Auch bei den Ticketpreisen für Seilbahnen komme es zu keiner grossen Verschiebung, heisst es vom Verband Seilbahnen Schweiz. Wie Direktor Berno Stoffel vorrechnet, habe der Euro schon diesen Winter nur 1.03 bis 1.04 Franken gekostet.

Bleibe er auf der Parität, habe dies kaum Einfluss auf das Preisgefüge. Für ausländische Gäste werden Schweizer Tickets um 3 Prozent teurer, für Schweizer Gäste werden österreichische Tickets um 3 Prozent billiger. Stoffel sagt: «Für so eine kleine Ersparnis buchen die allerwenigsten Gäste ihre Ferien um.»

Zumal die Schweizer Seilbahnen heute mehr Leistung bieten würden, als bei der letzten Euro-Parität. Dynamische Preise waren damals nahezu unbekannt, heute sind sie weit verbreitet. An manchen Tagen zahlen Gäste darum so wenig wie früher in den Achtzigerjahren. Wie die «Schweiz am Wochenende» zu einem grossen Preisvergleich schrieb: «Geiz darf geil sein – nun auch in den Schweizer Bergen».

Erhält der Einkaufstourismus neuen Schub?

Vergleichsweise gelassen reagiert der Detailhandel. Die Sorgentelefonate der Mitglieder seien bis anhin ausgeblieben, sagt Dagmar Jenni, die Direktorin des Branchenverbands Swiss Retail Federation.

Das dürfte verschiedene Gründe haben: Erstens «überschattet der Krieg in der Ukraine alles», betont Jenni. Zweitens bereiteten die anhaltenden Lieferschwierigkeiten dem Detailhandel noch immer mehr Sorgen. Und drittens akzeptiert die Branche bis zu einem gewissen Grad den Einkaufstourismus als Teil der Realität.

Denn die Gruppe jener, die gern und häufig über die Grenze fahren, um einzukaufen, ist relativ stabil. «Neue Kundensegmente sind nicht hinzugekommen», sagt Jenni. Auch hierfür gibt es mehrere Erklärungen: So gibt es in der Schweiz laut Jenni durchaus eine gewisses Verständnis für etwas höhere Preise, da schliesslich hierzulande auch höhere Löhne und Vorleistungskosten bezahlt würden.

Zudem habe der heimische Detailhandel seine Preise in den letzten 25 Jahren in absoluten und relativen Zahlen stark gesenkt - um ganze 28 Prozent, wie das Forschungsinstitut Bak Economics in einer im Juli vor einem Jahr erschienenen Studie vorrechnet. Gleichzeitig seien die Konsumgüter und -Dienstleistungen ausserhalb des Detailhandels um 17 Prozent teurer geworden.

Das mag man in der Schweiz so sehen. In Deutschland macht man andere Erfahrungen, wie es von der Handelskammer Hochrhein-Bodensee heisst. Eine Sprecherin sagt: «Ein guter Frankenkurs führt eigentlich fast immer zu steigenden Umsätzen durch den Einkaufstourismus.»

ZUM JAHRESTAG DER AUFHEBUNG DES EURO-MINDESTKURSES GEGENUEBER DEM SCHWEIZERFRANKEN AM FREITAG, 15. JANUAR 2016, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - Einkaufstouristen spazieren du ...
Bald noch voller? Einkaufsstrasse in Konstanz.Bild: KEYSTONE

Doch an diesem Währungseffekt kann man sich nicht freuen. Denn anderes dürfte den Umsatz drücken: In Deutschland besteht weiterhin Maskenpflicht; die Menschen sind wegen dem Krieg in der Ukraine verunsichert; in Deutschland steigen die Preise gerade viel schneller als in der Schweiz.

Ist die Industrie am Ende ihres Lateins?

Dem exportorientierten Industriesektor setzt die rasche Aufwertung des Frankens mächtig zu. Sowohl der grosse Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem) wie auch Swissmechanic, die Organisation der kleineren Industriezulieferfirmen betonen die zunehmenden Probleme mit dem Wechselkurs. Zentrales Problemfeld sind die erodierenden Profitmargen der Betriebe. «Die Möglichkeit, in Innovation und Digitalisierung zu investieren, nimmt entsprechend ab», konstatiert Swissmem.

Auch Swissmechanic zeichnet ein ungemütliches Zukunftsbild: «Unsere Unternehmen haben in den letzten Jahren ihre Effizienz stetig gesteigert, doch irgendwann ist der Zeitpunkt erreicht, an dem sie das nicht noch mehr können.» Swissmem geht davon aus, dass die Firmen versuchen werden, einen Teil des Kostenschubes, der nebst dem Wechselkurs natürlich vor allem auch Rohstoffe, Energie und Vorprodukte betrifft, an die Kunden weiterzugeben. «Aber das dürfte nicht für jedes Unternehmen möglich sein.»

Ruft die Wirtschaft nach dem Staat?

Die Mitgliedsfirmen von Swissmechanic üben sich nach Auskunft des Verbandes in Schadensbegrenzung, in dem sie immer öfter zu Tageskursen offerieren. Der kleinere der beiden Industrieverbände fragt rhetorisch: «Was ist das Massnahmenpaket der Politik und des Staatssekretariats für Wirtschaft, um die schleichende Erosion des Werkplatzes Schweiz zu reduzieren? Eine verloren gegangene Produktion zurückzugewinnen, ist enorm schwierig.»

Swissmem fordert unter anderem, dass staatliche Leistungen preisgünstiger werden. «Das ist mit einer verstärkten Digitalisierung möglich.» Mit Forderungen an die Nationalbank halten sich beide Verbände auffallend deutlich zurück.

Nationalrat Fabio Regazzi, Mitte-TI, spricht waehrend einer SGV Medienkonferenz ueber das CO2-Gesetz, am Mittwoch, 23. Juni 2021 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Gewerbepräsident Fabio Regazzi.Bild: keystone

Zurückhaltung gibts auch von Seiten des Gewerbes – jedenfalls vorerst, wie Verbandspräsident Fabio Regazzi betont. «Die Situation ist derzeit so dramatisch», sagt dieser mit Verweis auf den Krieg in der Ukraine. «Das bindet unsere ganze Aufmerksamkeit.» Aber falls dieses Wechselkurs-Verhältnis noch lange anhalte, oder sich gar noch verschlechtere, dann würden die Hilferufe in Richtung Nationalbank und Politik zunehmen. Regazzi betont: «Die Situation ist wirklich alles andere als einfach für die Betriebe.»

Muss man sich um die Löhne in der Industrie sorgen?

«Besorgniserregend» sei die Abschwächung des Euros, findet Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, zumal der Wertverlust in hohem Tempo voran geht. So werde der schwache Euro zu einem weiteren Hindernis für die Wirtschaft. Dabei werde der Krieg ohnehin noch Folgen haben, weil sich beispielsweise das Erdöl verteuert oder Touristen wegbleiben.

Folgen haben könne die Euroschwäche etwa für die Löhne in der Industrie, auch für die Arbeitsplätze. Denn die Konkurrenten in Deutschland würden deutlich geringere Löhne zahlen als noch vor zwei oder drei Jahren, wenn man die Inflation herausrechne. Die Euroschwäche verschaffe ihnen einen zusätzlichen Vorteil, die Schweizer Industrie sei im Nachteil. Lampart sagt darum: «Wir erwarten von der Nationalbank schon, dass sie sich gegen eine rasche Abschwächung stemmt.» (saw/aargauerzeitung.ch)

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39 Kommentare
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MacB
08.03.2022 07:44registriert Oktober 2015
Jetzt kann der Platzer sogar Nationalbank...ein Pfundskerli das.
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Philguitar
08.03.2022 06:21registriert Dezember 2018
Ach Du unsere liebe Wirtschaft. Immer wieder das gleiche Lied! Helft uns! Ob Bundesrat oder Nationalbank. Ob Corona oder Ukraine Konflikt. Was gewisse Parteien wenn es gegen die EU geht immer loben, Innovationen etc. ist im Momment Vorallem bitti betti. Aber wir sind ja froh müssen wir nicht nach Brüssel um unsere Anliegen vorzubringen sondern nur in die Schweizer Redaktionen.
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bebby
08.03.2022 06:14registriert Februar 2014
Seit 2015 ist der Wechselkurs mehr oder weniger stabil geblieben. Da die Inflation im Euroraum deutlich höher ist als in der Schweiz, ist eine Aufwertung des CHF gegenüber dem EUR völlig normal. Gegenüber dem USD ist gar nichts passiert.
Es geht hier wohl eher um die psychologische Grenze.
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