465 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt spielt sich im Sternbild Kleiner Löwe ein eindrückliches kosmisches Spektakel ab: Zwei Galaxien sind dort im Begriff, miteinander zu verschmelzen – ein Vorgang, der bereits vor hunderten Millionen Jahren begonnen hat und voraussichtlich weitere hunderte Millionen Jahre dauern wird. Die kleinere elliptische Galaxie PGC 32628 und die grössere Spiral-Galaxie PGC 32620 bilden zusammen das Galaxienpaar Arp 107, das schon vom Hubble-Teleskop abgelichtet wurde.
Nun hat die US-Weltraumbehörde NASA neue Bilder dieser sogenannten wechselwirkenden Galaxien veröffentlicht. Sie stammen vom James-Webb-Weltraumteleskop, das Arp 107 mit seiner NIRCam (Near-Infrared Camera) und seinem MIRI (Mid-Infrared Instrument) ins Visier genommen hat. Aus den von diesen Instrumenten gewonnenen Daten haben die Astronomen ein Bild zusammengesetzt, das eine Fülle von Informationen über die Sternentstehung liefert und weiteren Aufschluss darüber gibt, wie die galaktische Kollision verläuft.
So entdeckte das James-Webb-Teleskop eine nahezu transparente weisse «Brücke», welche die beiden Galaxien verbindet und aus Gas und Sternen besteht, die aus den beiden Sternhaufen herausgerissen wurden. Das Infrarotlicht macht zudem alte Sterne deutlich sichtbar, die in beiden Galaxien hell leuchten. Sie werden in Weiss wiedergegeben. Rote und orange Farbtöne wiederum zeigen junge Sterne und aktive Sternentstehungsgebiete. Alles zusammen verleihe Arp 107 «dank der beiden leuchtenden ‹Augen› und des breiten, halbrunden ‹Lächelns› eine fröhliche Ausstrahlung», schreibt die NASA.
Die grössere der beiden Komponenten von Arp 107, die Spiralgalaxie, zählt zu den sogenannten Seyfertgalaxien. Diese Galaxien gehören zur Klasse der aktiven Galaxienkerne (AGN), die enorme Mengen Energie aus ihrem Zentrum abstrahlen. Die hellsten dieser AGNs besitzen in ihrem Zentrum einen Quasar; ein supermassereiches Schwarzes Loch, das von einer rotierenden Scheibe leuchtender Materie, der Akkretionsscheibe, umgeben ist. Seyfertgalaxien strahlen in der Regel weniger stark als Quasar-Galaxien – deshalb sind sie für das James-Webb-Teleskop leichter zu beobachten, das niederenergetisches Infrarot-Licht nutzt.
Arp 107 weist einige Gemeinsamkeiten mit einer anderen Galaxie auf, die ebenfalls das Ergebnis einer galaktischen Kollision ist: der Wagenradgalaxie (PGC 2248). Diese sogenannte Ringgalaxie, die gut 400 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist, verdankt ihre Form dem Zusammenprall einer kleineren Galaxie mit einer grossen Scheibengalaxie. Als die kleine Galaxie mitten durch die grössere hindurchzog, löste dies enorme Schockwellen aus, wodurch Gas und Staub aufgewirbelt wurden, die dann Regionen mit starker Sternentstehungsaktivität bildeten.
Bei Arp 107 erfolgt der Zusammenstoss aber nicht so wie bei der Wagenradgalaxie – die kleinere Galaxie traf die Spiralgalaxie nicht in deren Mitte, daher konnte diese ihre Struktur grösstenteils beibehalten. Lediglich die charakteristischen Spiralarme sind beinahe vollständig verschwunden. Wenn die Verschmelzung der beiden Galaxien vollendet ist, werden sie eine grössere, unregelmässig geformte Galaxie bilden.
Die Kollision der beiden riesigen Sternhaufen ist ein chaotischer Vorgang. Doch sie führt zur Geburt neuer Sterne, wie die Aufnahme von MIRI im mittleren Infrarotbereich eindrücklich zeigt. Diese jungen Sterne, die in der Spiralgalaxie entstehen, sind blau dargestellt und von Staubpartikeln und organischen Molekülen umgeben, wie sie für Sternentstehungsgebiete typisch sind.
Kollisionen können in Galaxien, die nicht aktiv neue Sterne bilden, neue Gasreservoirs bilden und das Gas so komprimieren, dass es dicht genug für die Bildung von Sternen ist. Nicht alle Kollisionen wirken sich jedoch so aus; sie können das Gas auch zerstreuen und den Galaxien dadurch das Material entziehen, das dicht genug für die Geburt neuer Sterne ist. (dhr)