Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters – aber wer findet einen Ringplaneten wie den Saturn nicht schön? Tatsächlich haben aber auch alle anderen Gasriesen in unserem Sonnensystem Ringe; sie sind nur nicht so deutlich zu sehen wie jene des Saturn. Möglicherweise besass einst auch unser vergleichsweise kleiner Nachbar Mars einen Ring, wie Astronomen vermuten.
Eine neue Studie, die im Fachjournal «Earth and Planetary Science Letters» veröffentlicht wurde, gibt nun Hinweise darauf, dass auch unser Heimatplanet von einem Ringsystem umgeben war – und zwar vor gut 460 Millionen Jahren. Damals, mitten im Erdzeitalter Ordovizium, gab es allerdings noch längst keine Menschen, die durch den zweifellos fantastischen Anblick der Ringe zu poetischen Höhenflügen inspiriert worden wären. Noch gab es keine Wirbeltiere auf dem Land; lediglich einige Gliederfüsser krochen gerade zaghaft aus dem Meer.
Gleichwohl war das Ordovizium eine ziemlich bewegte Epoche. Nach der allmählichen Erwärmung der Erde im vorhergehenden Kambrium, als zahlreiche vielzellige Tierarten in der sogenannten Kambrischen Explosion entstanden, kühlte sich das Klima im Laufe des Ordoviziums deutlich ab. Gegen Ende dieses Erdzeitalters kam es sogar zu einer der kältesten Perioden in den vergangenen 500 Millionen Jahren, der sogenannten Hirnantischen Vereisung. Zugleich deuten geologische Spuren auf kollidierende Erdplatten, Erdbeben und eine starke Vulkantätigkeit hin. Und auf eine Serie von auffällig häufigen Asteroideneinschlägen – so viele, dass man in alten Gesteinen sogar heute noch Bruchstücke von Asteroiden findet.
Das Forschungsteam der Monash University im australischen Melbourne um den Geowissenschaftler Andrew G. Tomkins hat sich mit diesem ordovizischen Trümmerregen befasst. Es entdeckte, dass 21 noch nachweisbare Einschlagskrater von Asteroiden aus dem Ordovizium allesamt innerhalb einer Zone von 30 Breitengraden um den Äquator lagen – obwohl mehr als 70 Prozent der heute noch erhaltenen Gesteine damals ausserhalb dieser Region lagen. Zwar haben sich die Kontinentalplatten seither längst verschoben, doch die ursprüngliche Lage der Krater lässt sich ungefähr bestimmen.
Die Häufung der Einschläge entlang des Äquators ist nicht durch Zufall zu erklären, denn normalerweise sind die Einschläge gleichmässig über die Oberfläche verteilt, wie man beispielsweise auf dem Mond sehen kann. Der Befund stellt also eine Anomalie dar, die von den herkömmlichen Theorien nicht erklärt werden kann.
Tomkins Team kam daher zum Schluss, dass nicht etwa Bruchstücke aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter zu den gehäuften Einschlägen in dieser Zone um den Äquator führten, denn dies sei ausserordentlich unwahrscheinlich. Vielmehr seien Vorgänge in unserer direkten kosmischen Nachbarschaft dafür verantwortlich: Das lokal begrenzte Einschlagmuster um den Äquator herum sei durch die nahe Begegnung eines grossen Asteroiden mit der Erde vor rund 466 Millionen Jahren entstanden, vermuten die Wissenschaftler.
Der kosmische Bolide wäre demnach innerhalb der Roche-Grenze an unserem Planeten vorbeigezogen und aufgrund der enormen Gezeitenkräfte des irdischen Gravitationsfeldes auseinandergebrochen. Die Roche-Grenze bezeichnet in diesem Fall die Umlaufbahn, innerhalb derer ein Himmelskörper, der durch seine eigene Schwerkraft zusammenhält, durch Gezeitenkräfte auseinandergerissen wird.
Wenn die Bestandteile des betreffenden Asteroiden nur lose durch seine Gravitation zusammengehalten wurden, wäre er bereits bei einem Abstand von etwa 15'800 Kilometern zur Erde auseinandergefallen. Da der Asteroid der Erde also nicht zu nahe kam, stürzten die Einzelteile nicht auf sie, sondern bildeten einen Trümmerring um unseren Planeten, wie er heute bei den Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun vorhanden ist: Die Erde wäre mithin für eine Weile beringt gewesen.
«Im Laufe der Jahrmillionen fiel das Material aus diesem Ring nach und nach auf die Erde und verursachte die in den geologischen Aufzeichnungen beobachtete Häufung von Meteoriteneinschlägen», wird Tomkins in einer Mitteilung der Universität zitiert. Tatsächlich nahm die Zahl der Einschläge in den nächsten 40 Millionen Jahren deutlich zu, massiert auf einer Linie entlang des Äquators. «Wir sehen auch, dass Schichten in Sedimentgestein aus dieser Zeit ausserordentliche Mengen an Meteoritentrümmern enthalten», stellt Tomkins fest.
Überdies könnte das Ringsystem auch eine Rolle bei der globalen Abkühlung während der erwähnten Hirnantischen Eiszeit gespielt haben. Zum einen warf der Ring möglicherweise einen Schatten auf die Erde, der das Sonnenlicht blockierte und so die Temperaturen fallen liess. Tomkins kommentiert dies wie folgt: «Die Vorstellung, dass ein Ringsystem die globalen Temperaturen beeinflusst haben könnte, fügt unserem Verständnis darüber, wie ausserirdische Ereignisse das Klima der Erde beeinflusst haben könnten, eine neue Ebene der Komplexität hinzu.»
Zum anderen war die mehr als 25 Millionen Jahre andauernde Frostperiode, die sich bis in das nachfolgende Erdzeitalter Silur hinein erstreckte, aber auch eine direkte Folge des Staubs, den die Asteroideneinschläge in die Atmosphäre wirbelten, glaubt Tomkins. Das Bombardement aus dem All habe zudem bereits vor der starken Abkühlung zu massiven Klimaschwankungen und Veränderungen in den Umweltbedingungen geführt.
Dies könnte einen Anstoss zu einer schnelleren Evolution, hin zu einer grösseren Vielfalt an Lebensformen, gegeben haben, spekuliert das Forschungsteam. Die massive Vereisung grosser Gebiete auf dem Höhepunkt der Eiszeit verursachte zwar ein Artensterben, doch bereits zuvor hatten sich jene Tierstämme entwickelt, die fortan das Leben auf der Erde dominieren sollten. (dhr)