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Astronomen fangen Radiosignal aus der «dunklen Zeit» des Alls ein

Astronomen fangen Radiosignal aus der «dunklen Zeit» des Alls ein

25.01.2023, 13:2626.01.2023, 20:09
Daniel Huber
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Ein internationales Team von Astronomen aus Montreal und Indien hat ein Radiosignal eingefangen, das vor der unvorstellbar langen Zeit von 8,8 Milliarden Jahren ausgesendet wurde. Die extrem schwache Strahlung konnten sie mithilfe des Giant Metrewave Radio Telescope (GMRT) im indischen Pune auffangen, dem weltgrössten Radioteleskop für Wellenlängen im Meterbereich. Sie geht von neutralem Wasserstoff aus; jedes Wasserstoffatom sendet zwar nur verschwindend wenig Strahlung aus, aber die riesigen Wasserstoffwolken im All glimmen dadurch. Neutraler Wasserstoff leuchtet nicht im sichtbaren Licht, seine Strahlung kann aber mit Radioteleskopen aufgefangen werden.

One of the dishes of the Giant Metrewave Radio Telescope (GMRT) near Pune, Maharashtra, India.
Eine der Teleskopschüsseln des Giant Metrewave Radio Telescope (GMRT) in Pune. Bild: National Centre for Radio Astrophysics

Wasserstoff ist das mit Abstand häufigste Element im All. Er bildet zum einen den Hauptbestandteil der Sterne; zum andern wabern aber grosse Mengen an Wasserstoff in riesigen Wolken durch den Kosmos. Das Element liegt hauptsächlich in Form von einzelnen Atomen – sogenannter atomarer Wasserstoff H – oder in Form von Molekülen – molekularer Wasserstoff H2 – vor.

Atomarer Wasserstoff existiert erst, seit das All 380'000 Jahre alt war. Vorher war es zu heiss im Kosmos, weshalb es Wasserstoff lediglich in ionisierter Form gab. Danach vereinigten sich Protonen und Elektronen durch die expansionsbedingte Abkühlung des Alls zunächst zu atomarem Wasserstoff und darauf – nach weiterer Abkühlung – zu Wasserstoff-Molekülen aus je zwei Atomen. Aus molekularem Wasserstoff entstanden allerdings Sterne, die mit ihrer ultravioletten Strahlung molekularen wiederum in atomaren Wasserstoff und diese Einzelatome schliesslich in ionisierten Wasserstoff zerlegten.

Ionisierung
Atome und Moleküle haben im gewöhnlichen, neutralen Zustand genauso viele Elektronen wie Protonen. Besitzt ein Atom oder Molekül jedoch ein oder mehrere Elektronen weniger oder mehr als im Neutralzustand, hat es dadurch eine elektrische Ladung und wird als Ion bezeichnet. Ionen mit Elektronenmangel sind positiv geladen, solche mit Elektronenüberschuss negativ. Zur Entfernung von Elektronen muss Ionisierungsenergie aufgewendet werden.

Wasserstoff in atomarer Form liegt vor allem in den dichten Bereichen der Galaxien vor. Die eingangs erwähnte Strahlung wird frei, wenn dieser neutrale Wasserstoff seinen Quantenzustand ändert; der Spin des Elektrons ändert sich von einer parallelen zu einer antiparallelen Einstellung. Durch diesen sogenannten Spin-Flip-Übergang wird ein Energiebetrag frei, der einer Frequenz von 1420 Megahertz entspricht und eine Wellenlänge von 21 Zentimetern aufweist. Die Strahlung wird daher auch 21-cm-Linie oder HI-Linie genannt.

Wasserstoffatom mit paralleler (F = 1) und anti­paralleler (F = 0) Einstellung des Elektrons. Der Übergang wird als Spin-Flip bezeichnet.
https://de.wikipedia.org/wiki/HI-Linie#/media/Datei:Hydrogen-S ...
Proton und Elektron drehen sich wie Kreisel, können aber nur zwei Ausrichtungen haben: parallele (F = 1) oder antiparallele (F = 0) Spin-Achsen. Der Übergang wird als Spin-Flip bezeichnet. Grafik: Wikimedia

Dass das Elektron eines Wasserstoffatoms bei einer Umkehr seiner Drehrichtung eine charakteristische Strahlung abgeben müsste, berechnete der niederländische Astrophysiker Hendrik Christoffel van de Hulst bereits 1944. Die Bedeutung der 21-cm-Linie für die Astronomie erkannten dann Colin Stanley Gum, Frank John Kerr und Gart Westerhout 1951. Nur durch die Beobachtung des 21-cm-Signals ist es möglich, die Wolken in der Milchstrasse und das Gas in anderen Galaxien zu kartografieren. Dies ist auch von Belang, um die Masse von Galaxien abzuschätzen und die Bewegung von zahlreichen Objekten zu bestimmen.

Die Astronomen erhoffen sich zudem, über das 21-cm-Signal neue Einblicke in die tiefe Vergangenheit des Alls, das sogenannte dunkle Zeitalter, und daran anschliessende Epochen – etwa die Reionisierungsepoche – zu erhalten. Das dunkle Zeitalter begann etwa 400'000 Jahre nach dem Urknall – als das Universum so weit abgekühlt war, dass die Bildung von stabilem, neutralem Wasserstoff möglich wurde – und dauerte bis zum Aufleuchten der ersten Sterne und der dadurch ausgelösten Reionisierung.

Solch ein tiefer Blick in die kosmische Vergangenheit ist nun eben Arnab Chakraborty von der McGill University in Montreal und Nirupam Roy vom Indian Institute of Science (IISc) in Bangalore gelungen. Das 21-cm-Signal, das sie auffangen konnten, stammt aus der Sternentstehungs-Galaxie SDSSJ0826+5630 und wurde ausgesendet, als das heute 13,7 Milliarden Jahre alte Universum erst 4,9 Milliarden Jahre alt war. «Das entspricht einem Zeitrückblick von 8,8 Milliarden Jahren», stellt Chakraborty in einer Mitteilung der McGill University fest.

Image of the radio signal from the galaxy.
Das Radiosignal von SDSSJ0826+5630. Bild: Chakraborty & Roy/NCRA-TIFR/GMRT

Die Astronomen konnten auch die Gaszusammensetzung in der Galaxie messen. Sie stellten fest, dass die Atommasse des Gasinhalts in dieser speziellen Galaxie fast doppelt so gross ist wie die gesamte Masse der für uns sichtbaren Sterne. Ihre Ergebnisse haben sie in den «Monthly Notices of the Royal Astronomical Society» veröffentlicht.

Möglich wurde der tiefe Blick ins All durch einen Effekt, der als Gravitationslinse bekannt ist. Dabei krümmt eine enorme Masse, die sich zwischen dem Beobachter und dem beobachteten Objekt befindet, die Raumzeit, sodass das vom Objekt dahinter ausgehende Licht zur Masse hin abgelenkt wird. Wie Nirupam Roy es formuliert:

«Die Gravitationslinse vergrössert das von einem weit entfernten Objekt ausgehende Signal und hilft uns, einen Blick in die Anfänge des Universums zu werfen. In diesem speziellen Fall wird das Signal durch die Anwesenheit eines anderen massiven Körpers, einer anderen Galaxie, zwischen dem Ziel und dem Beobachter gebeugt. Dies führt effektiv zu einer Vergrösserung des Signals um den Faktor 30, sodass das Teleskop es auffangen kann.»
Nirupam Roy

Dies zeigt laut den Studienautoren die Möglichkeit, entfernte Galaxien in ähnlichen Situationen mit Gravitationslinsen zu beobachten. Überdies eröffne es aufregende neue Möglichkeiten zur Untersuchung der kosmischen Entwicklung von Sternen und Galaxien mit den heutigen Niederfrequenz-Radioteleskopen.

Kollision der Galaxien: Milchstrasse und Andromeda

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Kollision der Galaxien: Milchstrasse und Andromeda
Der Ist-Zustand: Milchstrasse (das fast vertikale Sternenband rechts) und Andromeda-Galaxie (links) nähern sich gegenseitig mit rund 110 Kilometern pro Sekunde an. (bild: nasa)
quelle: nasa
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Mit einem Teleskop zur Sonne

Video: srf/SDA SRF
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quelle: nasa, esa, hubble/william ostling
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47 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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mrmikech
25.01.2023 14:06registriert Juni 2016
Finde es immer wieder ein spezielles gefühl abends die Sterne zu sehen, und zu wissen dass das licht millionen jahren unterwegs war, um dann dich zu treffen.
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Lexy94
25.01.2023 18:17registriert Oktober 2022
Das ist mal ein guter Artikel. Als Physik- und Astronomie Interessierter finde ich es immer schade, wenn Artikel sich nur auf die absoluten Basics beziehen. Man ist dann schnell in der Situation, dass einem Dokus nichts mehr Neues vermitteln können und Fachberichte aber doch zu viel Vorwissen voraussetzen. Hier wurde etwas weiter ausgeholt...
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MalEhrlich
25.01.2023 19:58registriert November 2021
Wow, gewaltige Dimensionen!

Mit einem guten Freund fachsimple und philosophiere ich ab und zu mal über das Universum. Besonders wenn es um die Vorstellung geht, wie gross und was das Universum eigentlich ist, ist es unendlich? Aber wie kann man sich einen unendlichen Raum vorstellen?
Das erweckt in mir eine Art von "Angst", die Angst der Unwissenheit und die Erkenntnis dass wir eigentlich nichts in diesem Raum sind.

Ich liebe solche Diskussionen :-)

"Schöne Abig" und schätzt euer Leben, es ist endlich.
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